Mit Mauricio Funes tritt am 1. Juni erstmals in der Geschichte El Salvadors ein Präsident der Linken sein Amt an. Der Wahlsieg ist vor allem seiner persönlichen Popularität als kritischer Journalist zu verdanken.
Der ehemalige Fernsehjournalist Mauricio Funes hat sich am 15. März gegen seinen Rivalen von der rechten ARENA durchgesetzt – als Kandidat der zur Partei gewandelten Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN). Funes hätte sich nach 20 Jahren Regierung der extremen Rechten mitten in der Weltwirtschaftskrise kaum schwierigere Begleitumstände aussuchen können, doch gleichzeitig kommt ihm die politische Entwicklung des Kontinents auch entgegen. Mittlerweile werden die meisten Länder Lateinamerikas von linken Präsidenten regiert, und selbst aus Washington ist unter Barack Obama zumindest Wohlwollen für einen politischen Wechsel zu erwarten.
Die FMLN, militärisch ungeschlagen, musste nach den Friedensverträgen von Chapultepec im Jänner 1992 bei Präsidentschaftswahlen drei aufeinanderfolgende Niederlagen einstecken. In den Gemeindevertretungen regieren die ehemaligen Rebellen zwar längst eine Bevölkerungsmehrheit, doch für einen Umschwung auf höchster Ebene hatte es nie gereicht. Wenn es diesmal gelungen ist, die gesellschafts- und wirtschaftspolitisch ultrarechte ARENA zu besiegen, so ist das nicht nur auf deren Versagen zurückzuführen. Es ist auch der Entscheidung der historischen Guerillaführer zu danken, ihre eigenen Ambitionen hintanzustellen und einen Mann aufzustellen, der für viel breitere Gesellschaftsschichten wählbar war. Selbst viele, die während der zahlreichen Säuberungen und inneren Machtkämpfe als „Verräter“ aus der FMLN gedrängt wurden, gaben ihre Stimme gerne dem 48-jährigen ehemaligen Fernsehjournalisten, der linke wie rechte InterviewpartnerInnen mit kritischen Fragen zu fordern pflegte.
Funes weiß, dass der Erfolg zu einem großen Teil sein persönlicher ist, und er gibt sich entsprechend selbstbewusst. Auch sein Vize, Salvador Sánchez Cerén, der als ehemaliger Oberkommandierender der größten FMLN-Teilorganisation FPL den Parteiapparat hinter sich weiß, ließ schon im Wahlkampf aufhorchen. Er versicherte, dass die Auswahl des künftigen Kabinetts Angelegenheit des Präsidenten sei.
Die anstehenden Veränderungen werden, so hat es der designierte Präsident in seinen ersten Stellungnahmen angedeutet, nicht so radikal sein, wie es die einen fürchten und die anderen wünschen. Die Abkehr vom US-Dollar als Währung steht genauso wenig auf der Tagesordnung wie Schikanen gegen die mächtige Land- und Finanzoligarchie. Das scheint den politischen Gegner tatsächlich beruhigt zu haben. Selbst die Zeitung „Diario de Hoy“, als Sprachrohr der reaktionärsten Magnaten sicherlich eine autorisierte Stimme, gab sich in einem Leitartikel unerwartet versöhnlich: „Funes gab noch in der Nacht des 15. März eine Botschaft der Öffnung ab. Und ARENA, vom Ergebnis sichtbar getroffen, antwortete in würdiger Art. Die Unternehmerschaft hofft jetzt auf einen offenen und ehrlichen Dialog mit der neuen Regierung.“
Viel skeptischer zeigt sich da noch Joaquín Villalobos, der sich vom militaristischen Comandante der schlagkräftigsten FMLN-Fraktion zum Berater mehrerer Regierungen und Kolumnisten der rechten Presse gewandelt hat. Er bescheinigt zwar der ARENA demokratischen Charakter, sieht aber in der FMLN ein doktrinäres Instrument der Kommunistischen Partei und ein leichtes Opfer der regionalen Expansionsgelüste des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez: „Die demokratische Völkergemeinschaft muss auf die neue Regierung zugehen, um zu verhindern, dass sie zum Spielball des Obristen wird (gemeint ist Chávez; Anm.). Wir haben durch ständige Spaltung und Polarisierung schon genug gelitten, und politischer Revanchismus würde uns nur noch mehr Armut und weniger Demokratie bringen.“
Tatsächlich haben FMLN-Bürgermeister von Venezuela Treibstoff zu Vorzugspreisen bekommen und wurden dadurch in die Lage versetzt, populäre Projekte zu finanzieren.
Funes sucht seine Orientierungshilfe aber weniger in Caracas als in Brasilia. Seine erste Reise nach geschlagener Wahl führte in nach Brasilien, die Heimat seiner Frau Wanda Pignato. Aus dem als Privatbesuch angelegten Erholungsurlaub wurde allerdings auch ein politisch bedeutsames Treffen. Denn auf Drängen Präsident Lulas, der seinen künftigen Amtskollegen zu langen Gesprächen einlud, verlängerte das Paar seinen Aufenthalt mehrere Tage.
Der ehemalige mexikanische Außenminister Jorge Castañeda, ein intimer Kenner sämtlicher Strömungen der lateinamerikanischen Linken, betrachtet das neue El Salvador als in die regionale Entwicklung eingebettet. In einem Kommentar sieht er sich außerstande vorherzusagen, ob die weltweite Rezession in Lateinamerika eher „die Radikalisierung der Linken fördern wird, so wie es Chávez offenbar beabsichtigt, oder zur Mäßigung kraft Resignation beiträgt – das heißt, die revolutionären Zielsetzungen werden wegen der ungünstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen aufgeschoben“. Für El Salvador dürfte diese Entscheidung bald bevorstehen.
Der Autor ist freier Mitarbeiter des Südwind-Magazins und lebt in Wien.