Regierungen, Agrobusinessunternehmen und Investmentfonds entdecken das Potenzial von Afrikas Landwirtschaft – mit noch unabsehbaren Auswirkungen.
Dass auf den Finanzmärkten nicht gerade Vernunft herrscht, dürfte derzeit allgemeiner Konsens sein. Eine gewisse Tollheit scheint aber auch den Landwirtschaftssektor erfasst zu haben: Im Sommer des Vorjahrs hieß es etwa, die südkoreanische Daewoo Logistics hätte – praktisch zum Nulltarif – 1,3 Mio. Hektar Land in Madagaskar auf 99 Jahre gepachtet, knapp die Hälfte des Ackerlandes des Inselstaats, um Mais und Palmöl zu produzieren. Seit dem gewaltsamen Machtwechsel in Madagaskar Mitte März, zum Teil auf Widerstand gegen diese Pläne zurückzuführen, ist das Projekt vom Tisch. Die neuen Machthaber erklärten den Deal für ungültig. Aber es gibt ja noch Varun International: Das indische Unternehmen will in Madagaskar 465.000 Hektar auf 50 Jahre pachten, um Reis, Mais und Dal (rote Linsen) anzubauen – allerdings per Kontraktanbau und ohne Vertreibung von BäuerInnen, wie betont wird.
Ebenfalls im Sommer 2008 hatte der ehemalige Wall Street Banker Phil Heilberg über eine Subfirma seines Unternehmens Jarch Capital einen Mehrheitsanteil an einem Agrounternehmen im Südsudan erworben – und damit Nutzungsrechte auf ca. 440.000 Hektar. Was Heilberg dafür gezahlt hat, bleibt geheim; ob sich die Investition rentiert, steht in den Sternen. "In Sudan herrscht Anarchie und es ist kein toller Ort für Investitionen", räumte Heilberg Ende Jänner gegenüber der BBC ein, "aber ich sehe einfach ein gewaltiges Potenzial in diesem Land, das vom Krieg heimgesucht wurde."
Die Agrarpreise sind mittlerweile zwar wieder gesunken, aber an spektakulären Vorhaben besteht weiter kein Mangel. Anfang April sah sich die Opposition in Sambia gezwungen, heftigen Protest gegen kolportierte Pläne Chinas einzulegen, zwei Mio. Hektar des südafrikanischen Landes mit der Ölpflanze Jatropha zu bepflanzen, um Biodiesel zu erzeugen. Bloß ein paar Tage später unterzeichnete der nigerianische Konzern Stallion Group mit der Regierung in Abuja eine Absichtserklärung über den kommerziellen Reisanbau auf einer Million Hektar – mit einem Investitionsvolumen von weit mehr als einer Mrd. US-Dollar.
Diese gigantischen Projekte sind Teil eines weltweiten Phänomens, die Spitze eines Eisberges. Der Höhenflug der Nahrungsmittelpreise inmitten drohender Versorgungsengpässe im Vorjahr hat weltweit zu einem sprunghaften Anstieg des Interesses an Erwerb, Pacht oder anderer Kontrolle von landwirtschaftlich nutzbarem Land geführt. Zahlreiche Länder, darunter die Golfstaaten, Saudi-Arabien, Libyen, Südkorea und China, wollen die zukünftige Ernährung ihrer Bevölkerung durch Produktion im Ausland sichern; private Akteure wie Kapitalbeteiligungsfonds und Investmentbanken setzen auf langfristig hohe Preise von Agrarprodukten. Die Investitionen erfolgen weltweit, konzentrieren sich jedoch auf Regionen mit noch ungenutzten Flächen oder hohem Ertragssteigerungspotenzial. Dazu gehört neben Ländern wie der Ukraine und Kasachstan vor allem Afrika südlich der Sahara.
Afrika ist kein zufälliges Objekt der Begierde. Jahrzehntelang wurde der Agrarsektor vernachlässigt, die Infrastruktur ist höchst mangelhaft, ob Energieversorgung, Straßen oder Häfen, und vor allem klappt die Investitionsfinanzierung nicht: Die Landwirtschaft ist das Rückgrat der meisten Länder der Region, erhielt aber bisher nur 1% der Kredite. Resultat: Die Hektarerträge liegen zumeist weit unter dem weltweiten Durchschnitt – bei Reis in Nigeria beispielsweise sind sie nur halb so hoch wie in Indien. Die massiven Preissteigerungen am Weltmarkt der letzten Jahre zusammen mit der Importabhängigkeit haben vielen afrikanischen Regierungen die Dringlichkeit einer Steigerung der Agrarproduktion vor Augen geführt. Das erklärt zum Teil die Bereitschaft, auf alle möglichen Angebote finanzkräftiger Investoren einzugehen.
Auf Ebene der Nichtregierungsorganisationen herrscht vielfach Alarmstimmung. Diese neue "Landnahme", befürchtet etwa GRAIN, könnte zu einem Konzentrationsprozess in der Landwirtschaft führen, der kleinbäuerlichen Produktion den Garaus machen und der Landbevölkerung die Existenzgrundlagen entziehen (siehe Nähere Informationen). Die massiven Investitionen der Golfstaaten u.a. in Äthiopien und im Sudan veranlassten FAO-Generaldirektor Jacques Diouf bereits im Vorjahr, vor der Etablierung "neo-kolonialer" Strukturen zu warnen. Im März forderte der Leiter des International Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington, Joachim von Braun, Verhaltenskodices auf nationaler Ebene für derartige zwischenstaatliche Abkommen, die einen nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen, die Einbeziehung der lokalen ProduzentInnen und die Achtung gewohnheitsrechtlicher Eigentumsverhältnisse gewährleisten sollten.
Anfang April schloss sich auch der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Ernährung, Olivier de Schutter, der Forderung nach einem Verhaltenskodex an und erweiterte sie auf private Agrobusiness-Investoren. Die Regierungen sollten technische Richtlinien erhalten, damit sie Verträge aushandeln könnten, die die menschliche Entwicklung bestmöglich fördern, was "von ihnen derzeit nicht behauptet werden kann", wie de Schutter formulierte.
In Afrika südlich der Sahara trifft das Interesse von außerhalb der Region mit einer parallelen, internen Entwicklung zusammen – einem generellen Aufschwung der Investitionen in den Landwirtschaftsektor. Mit der raschen Urbanisierung und der Entstehung einer neuen Mittelschicht hat das Wachstum der Inlandsmärkte zuletzt an Dynamik gewonnen und eine Kommerzialisierung der Agrarproduktion eingeleitet. Treibende Kräfte sind u.a. Einzelhandelsketten wie Pick'n'Pay, Massmart, Shoprite, Woolworths (Südafrika) oder Nakumatt (Kenia), die grenzüberschreitend expandieren, multinationale Nahrungsmittelkonzerne auf der Suche nach neuen Märkten, aber genauso inländische Agrobusinessunternehmen, in Nigeria etwa Dangote Sugar und Nigerian Breweries.
Offenbar ist eine Wende in der afrikanischen Landwirtschaftspolitik im Gange. Das neue Interesse am Sektor markiert vielleicht sogar den Beginn einer afrikanischen "Grünen Revolution", so Jon Maguire, ein Manager von Africa-Agri Asset Management in Malawi gegenüber dem Nachrichtenportal TradeInvest Africa. Africa-Agri ist übrigens einer der wenigen "ethischen" der zahlreichen Fonds, die in Afrika Milliarden investieren. Dass diese "Grüne Revolution" nachhaltiger ausfallen wird als ihre Vorläuferin – in ihren Folgen auf Umwelt und Gesellschaft – scheint derzeit aber keineswegs gesichert. Das Scheitern des Daewoo-Projekts in Madagaskar gibt vielleicht Anlass zur Hoffnung, dass das Schlimmste verhindert werden könnte.
Nähere Informationen
"Seized! The 2008 land grab for food and financial security", Oktober 2008 (www.grain.org/briefings_files/landgrab-2008-en.pdf)
Aktuelles: http://farmlandgrab.blogspot.com
Investitionen in Afrika: www.tradeinvestafrica.com
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