Die neue Präsidentin Samia Suluhu Hassan gibt Grund zur Hoffnung auf mehr Demokratie.
Mwanza: Normalerweise drängeln hupende Taxis durch die Straßen von Tansanias zweitgrößter Stadt. Doch an einem schwülen Jännertag bebte die Uferpromenade unter den Füßen Tausender Demonstrierender. Sie färbten die Siedlung am Südufer des Victoriasees in Rot, Blau und Weiß, den Farben der oppositionellen „Partei für Demokratie und Fortschritt“. Ihre Finger streckten sie zum Victory-Zeichen in die Luft und es ertönte ein Freudenschrei in Richtung ihres Anführers, Freeman Mbowe.
Noch vor wenigen Wochen wäre eine solche Kundgebung aufgelöst worden. Vermutlich mit Schlagstöcken und Tränengas. So war es unter dem autokratischen Präsidenten John Magufuli üblich. Der Staatschef, Spitzname „Bulldozer“, hatte 2016 ein Verbot für öffentliche Oppositionsversammlungen ausgesprochen. Im Jahr zuvor war der Populist mit dem Versprechen an die Macht gelangt, mit Tansanias verstaubter Bürokratie und Korruption aufzuräumen.
Aber bald schon verwandelte er das ostafrikanische Land in eine Diktatur. Journalist:innen und Kritiker:innen ließ er ebenso ins Gefängnis werfen wie „Impf-Befürworter:innen“ während der Covid-Pandemie. Er selbst starb im März 2021 – an Herzversagen, wie es offiziell hieß. Die Opposition vermutet, dass der Corona-Leugner Opfer seiner eigenen Gesundheitspolitik wurde.
Erste Muslima als Präsidentin
Über Nacht kam Magufulis Stellvertreterin Samia Suluhu Hassan ins Amt: Sonnenbrille, Lippenstift, bunter Hidschab. Die erste Muslima im höchsten Amt gibt sich progressiv. „Die Situation für Medien und Menschen, die die Regierung kritisieren, hat sich seit Präsidentin Samias Amtsantritt signifikant gebessert“, sagt Daniel Lema, Demokratieforscher bei der Denkfabrik Freedom House. Aktivist:innen würden nicht länger verhaftet oder gefoltert. „Wir hören auch nicht länger von Entführungen, plötzlichem Verschwinden oder böswilligen Klagen wie unter der früheren Regierung“, so Lema.
Spürbar wurde der frische Wind zu Jahresbeginn, als Hassan nach sieben Jahren das Oppositionsverbot aufhob. „Nachdem ich Präsidentin wurde, habe ich erkannt, wie dringend wir Versöhnung brauchen“, so Hassan.
Kurz darauf kehrte der tansanische Oppositionspolitiker Tundu Lissu in seine Heimat zurück. Er hatte sechs Jahre in Belgien gelebt. Dorthin war er 2017 geflohen, als unbekannte Täter ihn mit 16 Schüssen niederstrecken, zum Sterben zurückließen und er wie durch ein Wunder überlebte.
Lissus Rückkehr sei „ein Schritt, der demokratische Werte und Prinzipien in Tansania wieder verankert“, ist Ringisai Chikohomero überzeugt. Laut dem Forscher an der panafrikanischen Denkfabrik „Institute for Security Studies“ gelte es aber, die „entscheidende Phase“ abzuwarten, also die nächste Wahl 2025. Denn die meisten von Präsidentin Hassans Reformen bestehen bisher nur aus mündlichen Zusagen; immer noch sind etliche restriktive Gesetze aus der Magufuli-Ära in Kraft. Auch in Hassans Amtszeit wurden vereinzelt wieder Oppositionelle verhaftet und Zeitungen geschlossen. Ihre Reformen drohen zu scheitern und das ausgerechnet an ihrer eigenen Partei. Die „Chama Cha Mapinduzi“, die „Partei der Revolution“ dominiert Tansanias Politik seit der Unabhängigkeit 1961. Nach wie vor gibt es unter ihren Mitgliedern viele Magufuli-Anhänger:innen.
Menschenrechtssituation verbessert
Magufuli hatte einst auch Schwangere und junge Mütter von der Schule verbannt. Tansanias Teenagerschwangerschaftsrate zählt zu den höchsten der Welt; laut UNICEF bringen 22 Prozent der Frauen vor ihrem 18. Geburtstag ein Kind zu Welt.
Damit sie wieder ihr Recht auf Bildung wahrnehmen können, zog Anna Henga, Direktorin des „Legal and Human Rights Centre“, 2019 vor das „Afrikanische Expertenkomitee für das Recht und Wohl von Kindern“ (ACERWC). Zwar sind die Entscheidungen dieser Behörde der Afrikanischen Union nicht bindend, aber sie tragen politisches Gewicht. Vor sechs Monaten gab sie Henga recht und drängte auf eine Rückkehr aller Schwangeren zur Schule.
Die Direktorin des „Legal and Human Rights Centre“ ist optimistisch, dass Hassans Regierung dieser Forderung nachkommt sowie auch andere Rechtsreformen umsetzt. Unter Hassan herrsche nach langem wieder der „politische Wille“ dazu, sagt Henga. So habe sich die Menschenrechtssituation in Tansania trotz Aufholbedarf „zum Besseren gewandt“.
Markus Schönherr ist freier Journalist in Pretoria und berichtet für deutschsprachige Medien aus dem südlichen Afrika.
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