Somaliland ist seit 1991 ein De-facto-Staat, doch die internationale Staatengemeinschaft hat die selbsternannte Republik am Horn von Afrika nie anerkannt.
Selbst als 85-Jährige hat Edna Adan Ismail noch zahlreiche Termine. Die Frauenrechtsaktivistin, Hebamme und ehemalige Ministerin lebt mitten in Hargeisa – der Hauptstadt des seit 1991 de facto unabhängigen Somalilands.
Vor dem Gespräch bittet sie in ihr Büro, um Fotos vom 18. Mai 1991 zu zeigen. An jenem Tag hat sich Somaliland von Somalia losgesagt. Vorausgegangen war ein jahrelanger Bürgerkrieg. Die Somalische Nationalbewegung (SNM) – gegründet wurde sie 1981 in London von Somalis, die überwiegend dem Isaaq-Clan angehörten – wollte die Herrschaft des somalischen Diktators Siad Barre (von 1969 bis 1991) nicht mehr hinnehmen.
Der Isaaq-Clan stammt aus jener Gegend, die das heutige Somaliland ausmacht. Der Wunsch, wieder selbstständig zu werden, wuchs.
Hargeisa war damals durch die Bombenangriffe des Barre-Regimes komplett zerstört. Kein Haus soll mehr gestanden haben. Adan Ismail war dabei und gehört heute zu jenen, die die Anerkennung als eigener Staat auf internationaler Ebene einfordern.
Seit März 2022 ist sie Präsidentin der Organisation für nicht repräsentierte Völker und Nationen (UNPO) mit Sitz in Brüssel. Die UNPO vertritt beispielsweise die indigenen Mapuche in Argentinien und Chile oder nicht anerkannte oder besetzte Staaten wie Tibet.
Auch auf dem afrikanischen Kontinent fordern eine Reihe von Regionen ihre Unabhängigkeit: etwa der anglophone Teil Kameruns oder ein schmaler Streifen im Osten Ghanas, Western Togoland genannt. Und eben Somaliland, das heute 3,5 Millionen Einwohner:innen zählt (über eine Million davon in Hargeisa), auf keiner Landkarte verzeichnet ist und nur von Taiwan – ebenfalls nicht anerkannt – als souverän betrachtet wird.
Koloniale Grenzziehung. Eines der Argumente gegen Somalilands Unabhängigkeit lautet, dass sie eine Kettenreaktion auslösen und die koloniale Grenzziehung aufweichen würde. Das fürchtet jedenfalls die Afrikanische Union (AU). Die Ex-Ministerin Adan Ismail hält dagegen: „Wir schützen sie sogar.“
Die Region war während der Kolonialzeit britisches Protektorat (Britisch-Somaliland), das benachbarte Somalia dagegen italienische Kolonie. 1960 war das einstige britische Protektorat schließlich fünf Tage lang ein eigener Staat, bis es sich mit dem heutigen Somalia vereinte. Seit 1998 will auch das benachbarte Puntland, ebenfalls völkerrechtlich Teil von Somalia, unabhängig sein, strebt aber eine Lösung für Gesamt-Somalia an.
Die Unabhängigkeit Somalilands stehe nicht im Widerspruch zur Auffassung der AU, ist Adan Ismail überzeugt. Vor allem würde man sich aber aus guten Gründen von Somalia abgrenzen: Dem Land bescheinigt die Weltbank zwar eine „anhaltende Periode des politischen und institutionellen Fortschritts“. Den Stempel „failed“ oder „failing state“ – gescheiterter oder scheiternder Staat – trägt es seit ein paar Jahren nicht mehr. Doch die Situation bleibt schwierig: Die der Al-Kaida nahestehende Miliz Al-Shabaab ist weiter aktiv und verübte allein in der zweiten Hälfte 2022 drei schwere Anschäge in der somalischen Hauptstadt Mogadischu.
Somaliland will anders sein, ein Musterbeispiel für Stabilität und Demokratie am Horn von Afrika. Das ist etwa Mohamud Adan Jama, Sprecher der größten somaliländischen Oppositionspartei Waddani, wichtig zu betonen. Damit es bloß nicht zur Verwechslung kommt, sagt er.
Menschenrechtler:innen warnen allerdings, dass Sicherheitskräfte Demonstrant:innen zunehmend willkürlich verhaften. Bei Protesten gegen die Verschiebung der Präsidentschaftswahl starben 2022 mindestens fünf Personen, über 100 wurden verletzt.
Wertvolle Kamele
Rund 3,5 Millionen Einwohner:innen zählt Somaliland. Die Viehwirtschaft macht 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, während in der übrigen Landwirtschaft nur zwischen 8 und 15 Prozent erwirtschaftet werden. Das macht das Land besonders anfällig für Rückgänge der Agrarproduktion, wenn – wie derzeit – Regenzeiten ausbleiben. Je länger die Dürre anhält, desto mehr Pflanzen gehen ein und desto weniger Nahrung steht den Tieren zur Verfügung. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt bis heute in pastoralen Lebensformen, also in einer extensiven Weidewirtschaft auf natürlich bewachsenem Grasland.
Es gibt Schätzungen, dass zudem etwa 25 Prozent der Bevölkerung indirekt von der Viehwirtschaft abhängig sind, weil sie beispielsweise Tiere transportieren oder Fleisch verarbeiten. Typisch für Somaliland sind die großen Kamelherden. Auch in der Millionenstadt Hargeisa tauchen sie auf – wenn nicht lebendig, dann als Bild auf den Mauern von Restaurants, was heißt: Kamelfleisch auf der Speisekarte. K. G.
Ende November wurde sogar ein Journalist nach einer Reihe von Facebook-Posts, die sich mit Präsident Muse Bihi Abdi beschäftigen, festgenommen, schreibt das somaliländische Menschenrechtszentrum HRC. Der somaliländische Präsident soll mutmaßlich in das Geschäft mit Khat, der Kau-Droge aus den Blättern des Khatstrauchs, verwickelt sein.
Die schlechtere Menschenrechtssituation könnte dem Image des Landes schaden, sorgt sich das HRC.
Von Investor:innen ignoriert. Für Essa Kayd Mohamoud ist Somaliland immer noch „offen, friedlich und widerstandsfähig“. Er sitzt an seinem großen Schreibtisch im Außenministerium. Seit 2020 ist er Außenminister, kann aber nicht an internationalen Treffen teilnehmen. Doch nicht nur auf politischer Ebene, auch auf wirtschaftlicher ergeben sich Konsequenzen der Isolation. Somaliland gehört nicht zum Swift-Netzwerk, weshalb kein Geld ins Land und keines aus dem Ausland überwiesen werden kann. Geldtransfer-Dienste sind zwar so sehr verbreitet, dass sogar Bettler:innen sie nutzen. Für die Wirtschaft ist das aber extrem unpraktisch.
Seine Botschaft zur stabilen Sicherheitslage des Landes richtet sich also zudem an Investor:innen. Wenn nicht einmal die Nachbarstaaten den De-facto-Staat anerkennen, so könnte es doch als Wirtschaftsstandort und Handelspartner betrachtet werden.
2016 unterzeichnete das Unternehmen DP World aus Dubai einen Vertrag mit Somalilands Regierung über die Modernisierung des großen Hafens des Landes in der Stadt Berbera. Investitionssumme: 442 Millionen US-Dollar. Der Hafen ist für Somaliland von großer wirtschaftlicher Bedeutung, nicht zuletzt in Sachen Versorgung des Nachbarn Äthiopien, immerhin ein Binnenstaat mit 117 Millionen Einwohner:innen.
Und solche Abkommen haben zudem Signalwirkung. Ob sich dadurch Somalilands politischer Status ändert, bleibt allerdings abzuwarten.
Katrin Gänsler lebt und arbeitet seit 2010 als Korrespondentin, Autorin und Reporterin in Westafrika.
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