Ein philippinisches Dorf kämpft seit Jahren gegen ein Kohlekraftwerk und nun auch gegen Atomenergie.
Der Fischer Fred de la Cruz steht am Strand und blickt besorgt aufs Meer. Der Sand unter seinen Füßen ist vom Kohlestaub geschwärzt. Denn rund 100 Meter weiter brummt ein Kohlekraftwerk, das im Jahr 2016 direkt neben das Dorf Lamao in der Provinz Bataan im Norden der Philippinen gebaut wurde. Seither hat sich die Lebensqualität der rund 400 Dorfbewohner:innen verschlechtert (das Südwind-Magazin hat berichtet).
„Früher konnten wir vom Fischfang gut leben, aber durch die Verschmutzung des Meeres wird der Fischbestand immer kleiner. Was soll nur aus den nächsten Generationen werden?“, klagt de la Cruz. Sein Blick ist auf ein Frachtschiff gerichtet, das am Ende eines langen Stegs angelegt hat. Es ist mit Kohle beladen, die mittels Bagger ausgeladen wird. Immer wieder fällt etwas davon von der Baggerschaufel ins Wasser. „Die Verschmutzung ist überall“, erzählt Veronica Cabe. Sie ist Koordinatorin des Nuclear and Coal-Free Bataan Movement, einer lokalen Organisation, die sich gegen Kohle- und Atomkraft einsetzt. „Im Wasser, auf dem Land und in der Luft: Deshalb bezeichnen wir Kohle als die schmutzigste Energiequelle.“
Landesweit gibt es 26 Kohlekraftwerke, die für fast die Hälfte der Stromversorgung auf den Philippinen verantwortlich sind. Auch wenn die Regierung unter Ferdinand Marcos Jr. – er ist seit Ende Juni 2022 philippinischer Präsident – angekündigt hat, nachhaltige Energie zu fördern, sind Umweltaktivist:innen skeptisch. „Gleichzeitig erlaubt die Regierung weiterhin den Ausbau von Kohlekraftwerken. Das ist für uns ein Widerspruch“, sagt Cabe.
Sorgen um Atomkraftwerk
Abgesehen davon sorgt ein weiteres Vorhaben für kontroverse Diskussionen: die Inbetriebnahme eines Atomkraftwerks in der Provinz, etwa 50 Kilometer westlich von Lamao.
Bereits im Jahr 1976 begann der Bau des Bataan Nuclear Power Plant (BNPP) – unter der Diktatur von Ferdinand Marcos, dem Vater des heutigen Präsidenten. Zwar wurde es etwa acht Jahre später fertiggestellt, dann jedoch nie in Betrieb genommen. Die hohen Kosten und Sicherheitspannen hatten bereits während des Baus für Verzögerungen gesorgt und nicht zuletzt zu Skepsis in der Bevölkerung, in der sich Widerstand bildete.
Nachdem Marcos im Jahr 1986 schließlich gestürzt worden war, tauchte das Atomkraftwerk in Diskussionen rund um Energiesicherheit immer wieder auf. Die Idee wurde allerdings mehrmals verworfen, die Anlage blieb ungenutzt.
Reaktorunfälle wie jene in Tschernobyl oder Fukushima wirkten abschreckend. Nun steht das Atomkraftwerk aber wieder auf der Agenda, quasi als Vermächtnis, das Ferdinand Marcos Jr. von seinem Vater geerbt hat.
Großes Gefährdungspotenzial
Umweltschutzorganisationen sind vor allem deshalb alarmiert, weil das BNPP in einem Gebiet steht, das von Erdbeben gefährdet ist. Auch ein aktiver Vulkan befindet sich in der Nähe. Bei einem nuklearen Unfall wäre außerdem die Haupt- und Millionenstadt Manila bedroht, die nur 100 Kilometer Luftlinie entfernt liegt.
Der Widerstand wird heutzutage von einer neuen Generation von Aktivist:innen weitergeführt. „Wir kämpfen gemeinsam für unsere Rechte und für die Rechte unserer Umwelt“, sagt Jochelle Magracia. Die 19-Jährige ist in Lamao geboren. Sie hat gemeinsam mit anderen Jugendlichen die Organisation „Young Bataeños for Environmental Advocacy Network“ gegründet, kurz: Young BEAN. Sie sind in der gesamten Provinz vernetzt und haben etwa 100 Mitglieder. Sie lehnen alle Formen der fossilen Energie ab, ebenso die Atomenergie.
Mit Energie gegen das Kraftwerk
Im Rahmen einer selbst organisierten Umfrage hat Young BEAN im September 2022 die Stimmung der Menschen erhoben, die in der Nähe des geplanten Atomkraftwerks leben. Die Mehrheit sei dagegen, so das Ergebnis.
Allerdings versprechen sich manche Personen auch Jobmöglichkeiten sowie eine Entwicklung der Region durch Investitionen in Straßenbau und andere Infrastruktur. „Vielen ist nicht bewusst, dass erneuerbare Energiequellen wie Erdwärme oder Solarenergie eine Alternative bieten können“, so Cabe vom Nuclear and Coal-Free Bataan Movement, die die jungen Aktivist:innen bei der Umfrage unterstützt hat. „Wenn man es den Menschen erklärt, bevorzugen sie erneuerbare Ressourcen, da sie Atomkraft als unsicher betrachten“, meint Cabe. Für die kommenden Monate sind weitere Studien und Befragungen geplant.
Dass die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks BNPP bereits in den 1970er Jahren verhindert wurde, motiviert die Aktivist:innen. Es war ein Sieg der „people power“ gegenüber der „nuclear power“, sagen sie. Die Kraft des Widerstands war stärker als die Atomkraft.
Marina Wetzlmaier ist freie Journalistin mit philippinischem Background aus Wels/Oberösterreich und war Anfang August 2022 zuletzt vor Ort in Lamao.
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