Inmitten des Booms der letzten Jahre entwickelte sich die Windenergiebranche zu einem besonderen Börsenliebling: Allein zwischen 2005 und 2007 verdoppelte sich die installierte Kapazität von Windkraftwerken weltweit von 47 auf 94 Gigawatt (GW), vorangetrieben durch neue Projekte vor allem in den USA, Spanien und China. Der Rekord an Neuinstallationen von 2007, knapp 20 GW, dürfte im Vorjahr mit 21 GW noch übertroffen worden sein, denn laut dem Fachmagazin Windpower Monthly waren per Ende 2008 bereits 115 GW installiert. Der rasante Ausbau der Windenergie bescherte der Branche neben vollen Auftragsbüchern auch den Vorteil eines „Verkäufermarkts“: Die Nachfrage überstieg das Angebot, womit die Preise von Windturbinen erhöht werden konnten, obwohl sie aufgrund höherer Stückzahlen und technologischer Reife hätten sinken müssen.
So toll sieht es derzeit nicht mehr aus. Ein Grund ist die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise, von der die Branche zweifellos betroffen ist. Drastisch gesunkene Preise fossiler Energieträger reduzieren die Attraktivität der Windenergie, und sogar in China bestehen wieder Überkapazitäten in der Stromproduktion. Der Börsenwert des Sektors fiel laut Windpower Monthly im letzten Quartal 2008 um knapp 55%, weit stärker als der Gesamtmarkt.
Ein zweiter Grund ist der rasche Ausbau der Produktionskapazitäten in China durch nationale und ausländische Unternehmen. China ist bereits seit 2008 der weltweit wichtigste Standort der Branche oder wird diese Stellung im laufenden Jahr erreichen. Damit könnte sich die Situation umkehren: Zumindest in China selbst könnte schon 2009 das Angebot die Nachfrage übersteigen („Käufermarkt“), meinen AnalystInnen – was sich negativ auf die Gewinnmargen auswirken sollte, zuerst vor Ort und weltweit, wenn Chinas Unternehmen ihrerseits auf Exportmärkte vorstoßen.
Entsprechende politische Regulierung vorausgesetzt – auf Basis einer neuen Ernsthaftigkeit in Sachen Klimaschutz – sollte sich die Krise jedoch bloß als kleine Delle in einem generellen Aufwärtstrend niederschlagen. Das potenzielle Marktwachstum hat die weltweite Branchenorganisation, der Global Wind Energy Council (GWEC), im Oktober 2008 skizziert – mit einem „moderaten“ und einem „fortgeschrittenen“ Szenario. Im letzteren Fall würde das jährliche Auftragsvolumen (Neuinstallationen von Anlagen plus Ersatzturbinen) bis 2020 auf 142 GW pro Jahr anwachsen – eine Versiebenfachung gegenüber 2007.
Auch wenn das Wachstum der Branche ab 2020 abflacht oder sogar stagniert (siehe Grafik), steht ein fetter Kuchen zur Verteilung an. Wer wird wie viel davon abbekommen? Bisher haben die Anbieter aus Europa und den USA ihre Position halbwegs gehalten. Doch schon der Aufstieg des indischen Windenergiekonzerns Suzlon zur Nr. 5 weltweit (ca. 10% Marktanteil 2007; 50% Marktanteil in Indien) zeigte, welche Chancen eine rasch wachsende Branche für dynamische Neueinsteiger bietet.
Suzlon ist eine Art „bunte Kuh“ der Branche. Das 1995 von Firmenchef Tulsi Tanti gegründete Unternehmen entstand in einem Markt, der sich völlig von Märkten reicher Länder unterscheidet: Die Nachfrage in Indien kommt großteils von Unternehmen, die mehr Unabhängigkeit von der notorisch unzuverlässigen Elektrizitätsversorgung anstreben. Besonders an Suzlon ist auch der Standort der Zentral für Forschung & Entwicklung in Hamburg sowie das Ziel, die ganze Wertschöpfungskette zu integrieren und sich als Komplettanbieter zu positionieren – vom Entwurf einer Anlage bis hin zur Wartung. Dazu wurde u.a. 2006 der belgische Getriebehersteller Hansen Transmissions übernommen, während mit dem kürzlichen Erwerb einer Mehrheit an der deutschen Repower das fehlende Marktsegment der Turbinen jenseits der 2,5-MW-Grenze (für Offshore-Anlagen) zugekauft wurde. Produziert wird allerdings weitgehend dort, wo es billiger ist – in Indien und China, wo auch Hansen Transmission im März 2009 ein Werk eröffnen wird.
Noch weit schneller unterwegs als Suzlon sind chinesische Unternehmen. Zwischen 2004 und 2007 gelang es chinesischen Windturbinen- und Komponentenherstellern, ihren Anteil am Inlandsmarkt mehr als zu verdoppeln – auf rund 56%. Bei Getrieben hatte eine nationale Firma, China High Speed Transmission, schon 2006 einen Marktanteil von 80%. Auch bei Wälzlagern, wo bisher Importabhängigkeit bestand, wurde 2008 per Joint Venture mit dem US-Konzern Timken eine inländische Produktion gestartet. Dass die Lernkurve der chinesischen Hersteller steil ist, entnehmen AnalystInnen auch der chinesischen Zollpolitik: Per 1. Jänner 2008 wurden Zölle für Komponenten und Rohmaterialien für Windturbinen eingeführt, und mit Mai 2008 wurde dann die zollfreie Einfuhr von Turbinen bis 2,5 MW beendet, beides Anzeichen erhöhter nationaler Kapazitäten.
Generell ist dieser Erfolg auf die staatliche Förderung der Windenergie in China und auf die Konditionen bei der Vergabe von Windenergieprojekten zurückzuführen. Bis 2007 erhielt jener Anbieter den Zuschlag, der den niedrigsten Einspeisetarif akzeptierte. Das waren dann zumeist staatliche chinesische Firmen, die offenbar auf Gewinne verzichteten, wie der GWEC vermutet. Außerdem müssen 70% der Windturbinenkomponenten aus dem Inland stammen. Doch wurde die chinesische Konkurrenz auch von den ausländischen Anbietern selbst „aufgepäppelt“ – etwa indem sie Lizenzen vergaben und Joint ventures gründeten, um sich einen Anteil am chinesischen Markt zu sichern, womit der technologische Aufholprozess in China zweifellos beschleunigt wurde.
Ein Beispiel ist der Marktführer Goldwind mit Sitz in Ürümqi, der ursprünglich unter Lizenz des deutschen Prototyp-Entwicklers Vensys produzierte. Nach einem atemberaubenden Wachstum – um 100% pro Jahr seit acht Jahren, nach Goldwind-Angaben – wurde das Know-how-Problem im April 2008 gelöst, und zwar durch die Übernahme (70%-Anteil) von Vensys für rund 60 Millionen Euro. Das Unternehmen produziert nun eigene (getriebelose) 1,5-MW-Turbinen und entwickelt ein 3-MW-Modell, das ab 2009 getestet werden soll.
Infos zur Windenergiebranche
Stromproduktion. 2007 und 2008 wurden jeweils rund 20 Gigawatt Windenergiekapazität neu installiert. Dies entspricht bei durchschnittlicher Auslastung der Errichtung von ca. 40 Freudenauer Donaukraftwerken pro Jahr.
Anbieter. Rund 95% des Geschäftsvolumens von 2007 entfielen auf nur zehn Turbinenhersteller. Marktführer war die dänische Vestas, gefolgt von GE Wind (USA) und Gamesa (Spanien). Der Marktanteil deutscher Firmen (v.a. Enercon, Siemens und Nordex) lag bei ca. 27%. Mit rund 10% war Suzlon (Indien) die Nr. 5 der Branche, weitere 8-10% entfielen auf chinesische Unternehmen (v.a. Goldwind und Sinovel).
Beschäftigung: Die Windenergiebranche einschließlich der Komponentenhersteller (Wälzlager, Rotorblätter, Getriebe etc.) beschäftigte 2007 weltweit rund 350.000 Menschen.
Sobald die Kapazitätsengpässe in China und weltweit überwunden sind, dürfte die Konkurrenz zunehmen und ein Konsolidierungsprozess einsetzen. Ab diesem Zeitpunkt wird die Latte für einen Markteintritt sehr hoch liegen, weil hohe Stückzahlen nötig sind, um mit der Konkurrenz mithalten zu können. Trotzdem ist damit zu rechnen, dass sich zumindest potente Industrie- oder Energieunternehmen einen Teil vom Kuchen abschneiden wollen. Etwa kündigte der koreanische Konzern Hyundai Heavy Industries im Vorjahr an, ab 2009 in die Turbinenproduktion einzusteigen (1,65 MW-Turbinen vor allem für den US-Markt).
Dass ab 2010 weltweit mit der Konkurrenz chinesischer Anbieter zu rechnen ist, sowohl bei Windturbinen als auch bei Rotorblättern, wird von der Branche schon vorweggenommen, wie eine Erhebung des Messeveranstalters HusumWindEnergy Anfang 2008 ergab. Erster Vorbote war ein Ende 2007 unterzeichneter mehrjähriger Vertrag mit der chinesischen MingYang Wind Power Technology über Turbinenlieferungen in die USA. Goldwind hat kürzlich erstmals Turbinen an Kuba verkauft, andere chinesische Hersteller verhandeln bereits mit potenziellen Käufern im Ausland. Für die bisherigen „Platzhirschen“ der Branche könnte sich das Engagement in China – der „Tanz mit dem Drachen“ – als riskanter erweisen als gedacht.