„Es ist nicht alles düster“

Von Redaktion · · 2008/12

Nach mehreren langjährigen Aufenthalten auf drei Kontinenten lebt der Erfolgsautor Ilija Trojanow seit etwas mehr als einem Jahr in Wien. Doch meistens ist er ohnehin auf Reisen, „Welten sammeln“. Mit dem kosmopolitischen Schriftsteller sprach Südwind-Redakteur Werner Hörtner über kulturelle Differenz und Identität, über das Fremde und literarische Zukunftspläne.

Südwind: Sie leben jetzt seit etwas über einem Jahr in Wien – auch wenn Sie nur zwei Monate davon in der Stadt verbracht haben. Wie stehen Sie jetzt zu der Entscheidung, sich in Wien niedergelassen zu haben?
Ilija Trojanow:
Völlig beglückt! Und nach den letzten Wahlen habe ich das Gefühl, hier gibt es Arbeit für mich. Man will ja dahin gehen, wo man sich sinnvoll einbringen kann …

Ihre Biographie zeigt, dass Sie viele Länder und Kulturkreise bereist und dort gelebt haben. Da haben Sie kulturelle Differenzen kennen gelernt und auch die Versuche, sie zu instrumentalisieren. Wir in Österreich haben das im vergangenen Wahlkampf wieder einmal deutlich erlebt. Was könnte man machen, um dieser Instrumentalisierung der kulturellen Differenzen entgegen zu wirken?
Ich möchte damit beginnen, die Behauptung anzuzweifeln, dass die meisten Leute xenophob sind, weil sie in ihrem Alltag eine unerträgliche Überfremdung erleben. Ich halte das für einen völligen Unfug. Im Gegenteil, ich glaube, dass viele Leute noch nie einen Ausländer getroffen haben. Ich halte es für sehr wichtig, einmal die große Lüge zu zertrümmern, dass es reelle Gründe für Fremdenfeindlichkeit gibt: zu viele Moslems, zu viele unsaubere Juden, so viele schmarotzerische Afrikaner usw.
Nummer zwei: Es gibt überhaupt kein reales Argument dafür, dass Migration einem Land, einer Kultur, einer Wirtschaft schadet. Im Gegenteil. Migration ist, weltgeschichtlich gesehen, eine Notwendigkeit, weil Migration zu Austausch, zu Know-how, zu neuen kulturellen Formen und Lösungen führt. Und außerdem ist Europa zum jetzigen Zeitpunkt völlig abhängig von der Migration, weil die eigene Bevölkerung ständig abnimmt. Das heißt Migration ist keine Gefahr, sondern eine Notwendigkeit. Die Wirtschaftsleute sagen das ja auch ganz klar.
Das Dritte ist, dass man einige dieser Instrumentalisierungen ganz ernst nehmen muss, weil sie bestimmte Ängste bei den Leuten ausnutzen. Es ist wie die Angst, die Kinder davor haben, im Dunkeln zu schlafen. Da würde man pädagogisch sagen, man muss das Kind davon überzeugen, dass es nichts zu befürchten hat vor dem Dunkeln. Wenn aber Leute Angst davor haben, dass in Brüssel undemokratische Strukturen entstehen, die jegliche Einflussnahme der österreichischen Bürger langfristig verhindern werden, so hat das ganz reelle, nicht von der Hand zu weisende Gründe. Da müsste es eine ehrliche offene Debatte geben, die es aber beim Europa-Thema von den Eliten her noch nicht gibt. Im Gegenteil, die Eliten, die mit einer sehr großen Europa-Begeisterung der Bevölkerung begonnen haben, dachten, sie können nun alles machen und müssen die einzelnen Stufen weder erklären noch gutheißen lassen.

Die Anti-Brüssel-Rhetorik also als Tummelplatz der Rechten?
Ja, da ist ein großes Misstrauen entstanden, und völlig zu Recht. Da finde ich es völlig schäbig, unprofessionell und verantwortungslos, dass andere Parteien das nicht zum Thema machen und es den Rechten überlassen.
Und das Letzte, was man nicht oft genug sagen kann, ist, dass es im Bereich Migration eigentlich keine wesentlichen Probleme gibt. Manche Staatsstrukturen sind absolut unakzeptabel, zum Beispiel was Asylansuchen angeht. Aber trotz der unglaublichen Geschichte von Rassismus in Europa ist das Zusammenleben im Großen und Ganzen friedlich und tolerant. Ich bin auch dagegen, wenn manche Leute ständig übertreiben, den unverbesserlichen europäischen Spießbürger beschwören, der auf den Afrikaner herunter schaut. Das ist sehr gefährlich, da man bei solchen Weltsichten schnell in die Position kommt, dass man sagt: Da kann man halt nichts machen – die Weißen sind eh Rassisten, die Europäer sind eh arrogant, die Erste Welt ist eh ausbeuterisch.

Meiner Meinung nach haben Phänomene wie Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung häufig Gründe wie existenzelle Unzufriedenheit, eine innere Leere oder auch soziales Elend. Wenn das stimmt, dann ist es wohl sehr schwierig, die Menschen von diesen Denkmustern wegzubringen, da ja zuerst die Ursache behoben werden müsste.
Ja, wenn Ihre Vermutung stimmt … Ich habe aber das Gefühl, dass es ganz entscheidend davon abhängt, was für eine Propagandamaschinerie angeworfen wird in Zeiten, in denen sehr bewusst Rassismus kultiviert und reproduziert wird. Ich denke, dass man sich in anderen Epochen so eine Haltung einfach nicht leisten könnte.

Und dieser Rassismus, den man ganz unterschwellig, manchmal aber auch deutlicher, bei gebildeten, sogar scheinbar toleranten Mitbürgern vorfindet? Welchen Ursprung hat der wohl?
Es gibt eine kulturelle Tradition der Überheblichkeit, nicht nur gegenüber Ausländern, sondern auch gegenüber Frauen oder bestimmten Randgruppen im eigenen Land, die als deppert gelten usw. Wenn man das Jahrhunderte lang immer wiederholt, dann wird das zu einem kulturellen Code.

Ihr Bild von der visionären Humanität gefällt mir sehr gut. Aber in dem strukturellen Umfeld, das ich um mich herum erblicke, ist das eindeutig eine Minderheitenposition. Und der Versuch, dieses Umfeld zu öffnen, zu humanisieren, ist sehr zäh.
Es ist zäh, ja, aber wir machen alle zusammen einen Fehler Wir leiden unter dem Zustand dieser Welt, weil wir immer das sehen, was noch nicht geleistet ist. Wir sehen die Not, das Elend, die Ungerechtigkeit, die vor uns liegt. Das liegt auch in der Natur der Sache. Wenn man ein bisschen Humanität hat, kann man sich nicht zurücklehnen und sagen: Wunderbar, in dem Bereich ist es nun ganz okay. Doch es ist nicht alles düster, man muss die Leute immer wieder daran erinnern, welche schönen und großen Bewegungen es gab und gibt. Die dominanten medialen Darstellungen klammern das ja immer aus. Ungarn 1956 ist ein gutes Beispiel dafür. Das wurde wie ein kleiner Aufstand abgehandelt, dabei war es eine atemberaubende Revolution, bei der ein totalitärer Staat in drei Tagen weggefegt wurde. Also ein Beispiel, das man eigentlich in Schulen lehren müsste. Und so etwas gibt es immer wieder.
Es gibt auch gute Entwicklungen im kleinen Bereich. Wenn man sich z.B. das Verlagswesen anschaut. Es gibt heute in Deutschland eine Vielfalt von Publikationen über Nord-Süd-Beziehungen, über Ernährung / Unterernährung, über Ungerechtigkeit, interkulturelle Beziehungen usw., die teilweise viele Leser und Leserinnen erreichen. Natürlich immer noch eine Minderheit, aber doch eine beachtliche und kulturell dominante Minderheit. Insofern sind diese Versuche nötig – und nicht erfolglos. Man muss weitermachen.

Ihre erste, Ihre Muttersprache ist Bulgarisch. Dann lebten Sie in allen möglichen Weltgegenden. Dennoch ist Deutsch die Ihnen am nächsten stehende Sprache. Wie ist es dazu gekommen?
Ich glaube, ich habe wirklich eine Liebesbeziehung zur deutschen Sprache. Sie gefällt mir unglaublich gut. Sie gefällt mir sinnlich, musikalisch, von den Gestaltungsmöglichkeiten her, die sie mir gibt. Das ist passiert, als ich begonnen habe zu schreiben, mit 15, 16, 17. Ich habe in Kenia gelebt und das eine und andere auf Englisch geschrieben. Doch es hat sich herauskristallisiert, dass mir das Deutsche besonders liegt.

Zwischen Sprache und Identität besteht eine enge Beziehung. Wie sieht dann das bei Ihnen mit der Identität aus?
Welche Identität?

Das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Nation, zu einer Region.
Da müssen wir jetzt grundsätzlich werden! Meiner Ansicht nach hat das nichts mit Identität zu tun. Ich habe nur eine Identität, nämlich die physikalische. Man kann mich anfassen, ich bin da, und die Leute, die mir lieb sind, die erkennen mich alle. Das ist Identität, wodurch ich sozusagen erkannt werde.
Zweitens: Was soll denn Zugehörigkeitsgefühl heißen? Das finde ich völlig überflüssig. Es mag Leute geben, die ein Bedürfnis danach haben, die sollen sich dann einem Fußballverein anschließen oder sonst wem. Aber ich empfinde überhaupt kein Zugehörigkeitsgefühl, das homogen ist. Ich fühle mich vielen verschiedenen Gruppen und Überzeugungen, Gedichten und Musikstilen zugehörig. Diese Ansammlung von Zugehörigkeiten ist natürlich individuell.
Der menschliche Geist und das menschliche Gehirn sind von einer atemberaubenden Flexibilität, und nur die Tatsache, dass wir in der Schule überwiegend verdummt werden, ist verantwortlich dafür, dass die Leute Angst haben vor Veränderung, vor Sprache. Der Mensch kann locker zehn Sprachen lernen, das haben Gehirnforscher schon längst bewiesen. Mir sagt das Wort Identität gar nichts. Es führt eigentlich dazu, dass man wieder verengt.

Was sind nun Ihre literarischen Vorhaben für die nächste Zeit?
Ich schreibe einen Roman über einen Gletscherforscher, dem sein Gletscher abhanden kommt und der deswegen in eine Sinnkrise stürzt, die sich in eine grundsätzliche Zivilisations- und Kapitalismuskrise umwandelt. Er heuert dann auf einem Schiff an, fährt damit in die Antarktis und versucht dort, das Schiff zu versenken – sozusagen am letzten Ort, der von der Menschheit noch nicht zerstört worden ist.
Weiters schreibe ich ein Stück fürs Hamburger Thalia-Theater, das heißt „Renaissance Timbuktu“, über Heterogenität, über die Rückeroberung Spaniens 1492, also der Sieg einer Seite, die Vertreibung der anderen, die Suche nach einem neuen Ort – und das gegengeschnitten mit dem Versuch der heutigen Afrikaner, nach Europa zu kommen.

1492 verbinde ich mit Kolumbus …
Ja, aber es ist auch das Ende der Reconquista. Eines der ersten Gesetze war die Vertreibung der Juden – und sieben Jahre später der Moslems. In meinem Stück stehen ein Moslem und ein Jude auf der Bühne.
Das Dritte, was ich gerade schreibe, zusammen mit einer deutschen Autorin, ist ein Buch über innere Sicherheit, bzw. ein Pamphlet darüber, dass wir gerade dabei sind, mühsam erworbene Grundrechte wieder über Bord zu werfen wegen dieser Chimäre von der Bedrohung durch den Terrorismus, dieser aufgebauschten Hysterie.

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