Ein Kultur-Träger

Von Klaus Höfler · ·
Sonam Sherpa im Halbporträt

Sonam Sherpa war als Gepäckträger für internationale Teams von Bergsteiger*innen im Himalaya unterwegs. Heute führt er Wandergruppen und will in seinem Heimatdorf die Sherpa-Kultur vor dem Verschwinden bewahren.

„Mir ist eines Tages bewusst geworden, dass unsere Kultur verschwindet. Alle Kinder haben nur noch Nepali gesprochen.“ Sonam Sherpas Blick trübt sich ein. Der 39-Jährige steht am Platz vor dem Community Center in Hile. In dem geduckten Haus aus ockerfarbigen Erdziegeln sind ein Kindergarten, ein Klassenzimmer und eine Küche untergebracht. Hier wird Sherpa gesprochen, die Sprache des gleichnamigen Volks, aus dem in seiner jüngeren Vergangenheit viele als Bergführer und Träger für Touren auf die Achttausender-Gipfel im Himalaya zu Bekanntheit gelangt ist.

Hile, eine Siedlung, die sich über die Hügelrücken und sanften Hänge der Region Dolakha erstreckt, liegt rund 180 Kilometer nordöstlich von Nepals Hauptstadt Kathmandu am Weg Richtung Everest-Massiv in einer Art Nebelwald auf 2.400 Meter Seehöhe. Eine entlegene Gegend. Seit 1985 gibt es eine Apotheke im Dorf, seit 1998 ein Krankenhaus in der Region und die Straße nach Hile wurde erst im vergangenen Jahr fertig. Davor musste man nach einer siebenstündigen Busfahrt aus Kathmandu noch eine Dreiviertelstunde zu Fuß gehen.

Das Leben nach dem Erbeben 2015

Sonam Sherpa ist hier aufgewachsen. In einem dreistöckigen Haus, zusammen mit seinen Eltern und drei Geschwistern. Das Haus gibt es nicht mehr. Es wurde Opfer des verheerenden Erdbebens von 2015, das landesweit mindestens 9.000 Menschenleben forderte und für massive Zerstörung sorgte – laut Schätzungen sind bis zu 800.000 Häuser eingestürzt. In Hile sieht man vereinzelt noch verwaiste Häuser, in die sich die Bewohner*innen nicht zurücktrauen. Sie wohnen immer noch in ihren Notbaracken.

Sonams Familie baute sich in einem gemeinsamen Kraftakt ein neues Zuhause. Sonam Sherpa reichte das aber nicht. Er organisierte mit Spenden- und Hilfsgeldern aus Österreich und Geldbeiträgen der Dorfbevölkerung den Wiederaufbau der Schule. Später kamen das Community Center und ein kleines Kulturzentrum dazu, das einmal zum Kloster werden soll. Es ist Sonam Sherpas Herzensprojekt.

Er weiß aus eigener Erfahrung um die Bedeutung guter Bildung, kennt den Wert sozialen Zusammenhalts einer funktionierenden Dorfstruktur. Sie ist gefährdet, wenn die Menschen absiedeln. „Wenn alle weggehen, weiß niemand mehr etwas über unsere Kultur“, sagt er.

Viel Auswanderung

In Hile arbeiteten einst viele Männer als Träger für ausländische Bergsteiger*innengruppen. Als diese Ende der 1990er Jahre aufs Flugzeug umstiegen, anstatt wie bisher von Hile in Richtung Mount Everest-Massiv zu wandern, brach diese Einnahmequelle für die Dorfbevölkerung weg. Viele der Männer suchten daraufhin im Moloch der Hauptstadtregion ihr Glück, manche gingen – wie Sonams Vater – als Lkw-Fahrer nach Indien, andere in die Vereinigten Emirate, wo sie unter katastrophalen Bedingungen am Bau arbeiteten.

Sonam Sherpa versuchte sich als Holztransportunternehmer, scheiterte aber. Aufgrund fehlender Jobperspektiven im Dorf und seiner Sehnsucht nach den Bergen begann er, als Träger für Gipfelexpeditionen im ganzen Himalaya zu arbeiten, wo er bis zu 100 Kilo schwere Gepäcksstücke in die Hochlager schleppte.

Mittlerweile führt er deutsch- und englischsprachige Wandergruppen selbst als Guide und engagiert für diese Touren auch Männer aus der Nachbarschaft als Träger. So verschafft er vielen der in Subsistenzlandwirtschaft lebenden Familien ein wichtiges Zusatzeinkommen.

Die für den Gästekontakt notwendigen Sprachkenntnisse hat sich Sonam vor, während und nach den Touren mühsam selbst mit dem Wörterbuch beigebracht. Seither ist er von der Wichtigkeit einer möglichst guten Schulbildung für Kinder und Jugendliche als Türöffner in ein chancenreicheres Leben noch überzeugter. Parallel dazu wuchs aber auch sein Bewusstsein um die Bedeutung und Erhaltung der eigenen, buddhistischen Kultur und Religion.

Rückkehr der Bücher

Der politische Druck aus China auf den tibetischen Buddhismus, Hauptreligion der Sherpas, ist seit Jahrzehnten spürbar. Sonams Großvater war selbst Mönch und musste Nepal verlassen. Seine Bücher aber sind zurückgekehrt. Sonam Sherpa hat die bis zu 150 Jahre alten Exemplare in das künftige Kloster in seinem Heimatdorf gebracht. Seit Kurzem verziert ein Mönch die Wände mit kunstvoller Freskenmalerei.

Daneben kochen zwei Frauen, beide verwitwet, aber durch die Arbeit einkommensversorgt, in der Gemeinschaftsküche täglich warme Mahlzeiten für die Kinder, die hier – ergänzend zur staatlichen Schule – einen durch Spenden maßgeblich von der Bildungsinitiative des österreichischen Reiseveranstalters „Weltweitwandern“ finanzierten, modern gestalteten Zusatzunterricht bekommen. Englisch, Computer-Kenntnisse, Geografie, Umweltschutz und die in der öffentlichen Schule nicht mehr gelehrte Sherpa-Sprache stehen am Stundenplan. Auch Kurse für Erwachsene gibt es. „ Es ist eine Kultur, die es zu bewahren gilt“, sagt Sonam: „Sonst gibt es uns irgendwann nicht mehr.“ 

Klaus Höfler arbeitet als freier Journalist in den Bereichen Wirtschaft, Reisen und Politik für verschiedene Magazine und Zeitungen. Zuletzt war er im März in Nepal. Die besuchten Sozial- und Schulprojekte werden vom Grazer Verein „Weltweitwandern Wirkt!“ maßgeblich unterstützt. Die Reise erfolgte auf Einladung von Weltweitwandern. www.weltweitwandernwirkt.org

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