Kein Spielraum für die Taliban! Neben Druck durch Medienberichterstattung muss sich auch eine internationale Politik für das Schicksal von Afghanen, aber vor allem Afghaninnen interessieren – und einsetzen.
Auf einmal bleibt es still. Ein weiteres Terrorattentat wird im Mai in Afghanistans Hauptstadt Kabul gegen eine religiöse Minderheit verübt. Nachrichtenagenturen liefern knapp Berichte, in den internationalen Medien erscheinen, wenn überhaupt, ein paar Worte.
Dabei sind in dem Land über hundert Menschen seit Jahresbeginn bei Terroranschlägen umgekommen. Meist verübt von Gefolgsleuten des sogenannten „Islamischen Staats“.
Nicht nur das: Vor allem die sukzessive Verschlimmerung der Lage der Frauen Afghanistans ist aus dem Blickfeld der Presse geraten. Der von den Taliban fest versprochene Start der Ausbildung für Mädchen nach dem Volksschulalter mit dem afghanischen Neujahrsbeginn Ende März: nach wenigen Stunden abgesagt. Tausende Mädchen brechen verzweifelt zusammen.
Ausgeliefert. Keine Bildung bedeutet, dass das Leben einer Frau in Abhängigkeit führt: dem Mann, der Familie völlig ausgeliefert. Mit einem weiteren, wichtigen symbolischen Schritt zementierte Anfang Mai die Taliban-Miliz ihre Frauenverachtung weiter ein: Weibliche TV-Moderatorinnen dürfen nur noch mit Gesichtschleier im Fernsehen auftreten. All diese besorgniserregenden Entwicklungen werden kaum noch international wahrgenommen.
Der Blick auf Afghanistan ist verstellt, derzeit von der nächsten großen Krise in der Ukraine.
Die Taliban setzen seit der Machtübernahme im August – wie schon beim Kampf gegen die US-Truppen in den Jahren zuvor – auf den Faktor Zeit. Aussitzen, abwarten. Nun haben die Taliban ausreichend Spielraum, um ihr wahres Gesicht zu zeigen.
Afghaninnen, die ins Exil geflüchtet sind, ringen derzeit mit einer doppelten Form der Verzweiflung. Immer fürchterlicher werden die Schilderungen ihrer in der Heimat gebliebenen Verwandten und Freundinnen. Gleichzeitig hat sich das Gefühl der Solidarität, ausgedrückt durch enormes internationales Medieninteresse am Anfang, scheinbar in Nichts aufgelöst.
„Es darf den Taliban nicht gelingen, die Frauen Afghanistans unsichtbar zu machen“, appellierte die afghanische Journalistin Farahnaz Forotan an das Publikum des Innsbrucker Journalismusfestes 2022, den Mitte Mai in Tirols Landeshauptstadt abgehaltenen Tagen der internationalen Information.
Die Berichterstattung und der Druck auf die Taliban, der so entsteht, dürfe nicht nachlassen, so Forotan und andere einstimmig.
Politik gefragt. Es ist eine richtige Forderung. Doch die Verantwortung reicht weiter. Was die Welt angesichts der Tragödien in vielen Regionen derzeit besonders dringend braucht, ist verantwortungsvolle Politik, deren Vertreter und Vertreterinnen auch dann engagiert bleiben, wenn der „CNN-Moment“ vorbei ist.
Afghanistans Frauen brauchen Berichte über die Verschärfung der Lage, aber retten kann sie nur eine internationale Politik, deren Engagement nicht nachlässt, wenn die Reporter und Reporterinnen abreisen.
Es ist eine sehr alte banale Erwartung, die abgegriffen klingt, aber wiederholt werden muss: Angesichts der außergewöhnlichen Synchronizität von dramatischen Krisen derzeit kann medialer Druck alleine fehlende politische Verantwortung nicht mehr kompensieren. Es muss gehandelt werden, ohne die Garantie, in der Story vorzukommen, die auf der Coverseite steht.
Petra Ramsauer ist Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Autorin.
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