Die Thermalquellen der Widerspenstigen

Von Redaktion · · 2008/10

In San Juan im nördlichen Argentinien leitet ein ungewöhnliches Team das Hotel Cacique Pismanta. Eine Reportage von Antje Krüger.

Sieben Uhr in der Früh. Im Hotel Cacique Pismanta schlafen noch alle. Der letzte Grauschimmer weicht der Morgendämmerung, die Luft ist kühl. Ein ruhiges Schwimmbecken dampft leicht. Langsam taucht die Sonne die nahen Anden in rosa Licht. Wenn sie vollends aufgegangen ist, wird sich das Becken bald mit Familien, Einheimischen der Mittelschicht und Angereisten aus Buenos Aires füllen. Im Hotel kann man über Besuchermangel nicht klagen. Nicht mehr.
Vor sechs Jahren schlossen sich fast die Türen dieser Oase. In Pismanta, 1.300 Kilometer nordwestlich von Buenos Aires, ging nach dem Wirtschaftskollaps von Ende 2001 die Rechnung mit reichen Gästen nicht mehr auf. Mehr als fünf Monate hatten die Angestellten schon ohne Lohn gearbeitet, als die Inhaberfirma Nogaró aufgab. Die Angestellten standen vor dem Nichts. Denn San Juan gehört zu den ärmeren Gebieten Argentiniens. In der Provinz, wo der trockenen Erde nur mit Mühe fruchtbare Böden abgewonnen werden, liegen die Dörfer viele Kilometer auseinander. Dazwischen Staub, Geröll, Grassteppe – eine raue Schönheit.
Es blieb nur eine Alternative zur Arbeitslosigkeit: Die Opfer der Wirtschaftskrise und der betrieblichen Fehlkalkulation nahmen das Hotel einfach selbst in die Hand. „Als ich im Jahr 2002 das erste Mal zum Urlaub hierher kam, brachten die Angestellten Essen von zu Hause mit, um den Gästen überhaupt etwas anbieten zu können. Nur wenige Zimmer waren bewohnbar und vieles kaputt. Nur das warme Wasser sprudelte. Es ist unglaublich, was hier in den letzten Jahren mit bloßen Händen aufgebaut wurde“, erzählt María Casañas, Professorin aus Buenos Aires. Dreißig Angestellte, darunter Zimmermädchen, KellnerInnen und Gärtner, gründeten damals eine Kooperative. María Casañas verbringt mittlerweile jeden Sommer in Pismanta. Sie wählt das Hotel aus Gründen, die nur wenig mit Urlaub zu tun haben. „Man spürt den Glauben der Kooperative an sich selbst. Hier werden neue Arbeitsstrukturen gewagt. Das muss ich einfach unterstützen“, sagt sie und spaziert im Bademantel zu den sprudelnden Thermen.
Die Einrichtung ist gepflegt. Aus der Zimmergestaltung sprechen eher Hingabe und der unbedingte Wille, weiter zu kommen, als hoch geschulte und finanziell gestützte Professionalität. Das Interior, das Erinnerungen an die 1950er Jahre weckt, wurde mit Liebe wieder instand gesetzt. Die Möbel folgen keinem Modetrend. Man verwendete, was noch da und brauchbar war.

Eine Kur für alle will das Hotel bieten. Viele Gäste stammen aus den gleichen gesellschaftlichen Schichten wie die Mitglieder der Kooperative. Sie baden in Becken mit bis zu 45 Grad warmem Thermalwasser aus den Anden, genießen Fangotherapie und die vor kurzem errichtete Sauna, der ganze Stolz der Kooperative. Ein reichhaltiges Büffet wird mittags und abends angerichtet mit Brot aus der hauseigenen Bäckerei. Auch sie entstand erst durch die Kooperative und versorgt die nahe Schule mit.
Mit ihrem Konzept knüpft die Kooperative an die ursprüngliche Idee an, mit der Pismanta 1950 als Zweisternehotel erbaut wurde. Es war Teil eines sozialen Tourismusprojekts, über das Präsident Juan Domingo Perón auch ärmeren Schichten Urlaub ermöglichen wollte. 1982 erlebte das mittlerweile privat verwaltete Hotel seinen Höhepunkt und eröffnete sogar ein Kasino. Das Klavier steht noch, die einst glänzende Bar ist heute der schlichte Frühstücksraum.
Ab 1990 verfiel das Hotel. Die scheinbar glanzvollen 1990er Jahre in Argentinien, als der Peso an den Dollar gekoppelt war, machten Miami und Brasilien zu Reisezielen. Von einem Hotel im eigenen Land, das zudem versuchte, auf die Luxusschiene zu wechseln, wollte niemand etwas wissen. Als die ArbeiterInnen Pismanta zwölf Jahre später übernahmen, hatten sich nicht nur die Lohnschulden angehäuft.
„Wir haben die Strom-, Wasser- und Telefonschulden der Vorbesitzer bezahlt. Wir haben die Preise von 150 Pesos auf 75 Pesos gesenkt und uns damit für die Mittelschicht aus San Juan geöffnet. Wir haben die 34 Zimmer renoviert, eine Klimaanlage und neue Heizungen eingebaut, einen Minibus für die Touristen gekauft, einen eigenen Gemüsegarten angelegt und noch vieles mehr. Wir dürfen das Hotel verwalten, weil wir auf unsere unbezahlten Löhne, den ausstehenden Urlaub und die jahrelang verschlampten Rentenbeiträge verzichtet haben. Dafür aber haben wir unsere Arbeit behalten und bestimmen sie nun sogar selbst“, berichtet Hilda Díaz aus der Kooperative stolz.

Die besetzten Betriebe: Die Idee, Betriebe zu übernehmen, ist nicht neu in Argentinien. Sie wurde in der Krise des neuen Jahrtausends geboren, die auf die 1990er Jahre folgte, in denen Argentinien glaubte, in der sogenannten „Ersten Welt“ angekommen zu sein. Damals, als im Dezember 2001 das Land wirtschaftlich und sozial völlig in sich zusammenbrach, entstanden aus der Verzweiflung Ideen, die sich inzwischen als funktionierende alternative Wirtschaftsformen bewährt haben. So besetzten ArbeiterInnen in ganz Argentinien bankrotte Betriebe, die von den Besitzern verlassen wurden. Sie brachten in Gang, was andere schon abgeschrieben hatten, und konnten die Krise für sich nutzen. Über 150 Betriebe jeglicher Produktionsrichtung, darunter drei Hotels, wurden von ehemaligen Angestellten wieder aufgebaut. Zumeist verzichten sie auf Hierarchien – alle entscheiden in gemeinsamen Sitzungen, alle erhalten den gleichen Lohn und Anteil am Gewinn. Wirtschaftsexperten, Studentinnen, Interessierte reisten nach Argentinien, um diese neue Arbeitsform zu studieren, die in der argentinischen Gesellschaft im allgemeinen gutgeheißen und unterstützt wird.
Doch die Übernahmen gingen nicht immer ohne Probleme vonstatten. Obwohl es sich um eine landesweite Bewegung handelt, die auch den internen Markt wieder in Schwung brachte, gab es nie ernsthafte Bemühungen, eine einheitliche Form der Legalisierung der Projekte zu finden. Bis heute gibt es keine Gesetzgebung, welche die Situation der übernommenen Betriebe klärt. Jeder einzelne Fall muss individuell verhandelt werden, eine Richtschnur fehlt. Gerade und vor allem als sich wieder ein Aufschwung im Land abzeichnete, wurden alte Besitzforderungen gestellt. Einige Betriebe, darunter das von Frauen geleitete Textilwerk Brukman, machten mit monatelangen Auseinandersetzungen derart Schlagzeilen, dass sie auch in Europa zum Medienthema wurden.

Auch über dem Hotel Pismanta hängt beständig ein Damoklesschwert. Die Entscheidung liegt bei der Provinzregierung von San Juan, die den MitarbeiterInnen von Pismanta jederzeit die Duldung entziehen kann. Denn Pismanta blieb seit seiner Erbauung trotz diverser privater Verwaltungen immer in öffentlicher Hand. Und die ist in San Juan zwar demokratisch gewählt, doch als äußerst autoritär bekannt und gefürchtet. Gerade Projekte wie das Hotel Pismanta machen offensichtlich, wie Druck als Machtmittel angewendet wird.
„Jetzt kommen hier schon wieder diese Gerüchte um Luxussanierung auf! Es gibt genügend Thermalquellen, wo Hotels eröffnet werden können. Warum lässt man die Leute hier nicht einfach arbeiten?“, regt sich María Casañas auf. „So frei in den Entscheidungen, wie die Kooperative gerne wäre, sind wir nicht. Die Provinzregierung lässt uns das klar spüren. Die Auflagen, die dem Hotel dienen, erfüllen wir ja gerne. Aber wir müssen hier auch Gäste dulden, die wir nicht haben wollen“, erklärt die Physiotherapeutin Leticia Luna und deutet verstohlen zu einigen Männern, die ganz offensichtlich nicht zum Publikum von Pismanta gehören. „Das sind Ingenieure aus einer Goldmine in den Bergen. Niemand will die hier, weil sie mit ihrer Arbeit das Land zerstören. Sie sprengen ganze Berge weg und gefährden damit das einzige, was uns ausmacht – unser Thermalwasser und überhaupt das Wasser, das San Juan Leben gibt.“ Die Mine sei ein Deal zwischen der Regierung und dem Bergbauunternehmen. Aber das Hotel müsse die Ingenieure beherbergen. „Sonst fliegen wir aus dem Hotel. Offiziell wird das dann als gute Zusammenarbeit dargestellt. So funktioniert das hier“, sagt Leticia.
Doch trotz allem: die Kooperative wie die Gäste können sich über den Erfolg des Unternehmens freuen. Alle Zimmer sind ausgebucht, im Speisesaal sind die Tische reich gedeckt. Aus dem warmen Pool steigen die letzten Nachzügler, während die Essensglocke zum Abendessen ruft. Routiniert und mit Hingabe bedienen die MitarbeiterInnen, die heute ihre eigenen Chefs sind, ihre Gäste. Das hätte vor sechs Jahren noch niemand gedacht.

Antje Krüger studierte Politikwissenschaft an der FU Berlin. Sie arbeitet als freie Journalistin, insbesondere über Argentinien und Chile.

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