Selbstversorgung im Slum

Von Bettina Rühl · ·
Charles Lukania im Gemüsegarten von St. John © Bettina Rühl

Die Corona-Pandemie hat viele Menschen in Kenia wirtschaftlich hart getroffen. Hunger gehört für etliche zum Alltag. Urban Gardening könnte etwas Erleichterung schaffen.

Vorsichtig holt Joshua Kiamba ein Spinatpflänzchen aus einem kleinen Anzuchttopf und setzt es in eine halbierte PET-Flasche voller Steine. Dann stellt er sie in ein ungewöhnliches Hochbeet: Die Pflanzen wachsen nicht in Erde, sondern stehen mitsamt den PET-Flaschen in einem Wasserbad. Hydroponik heißt diese Art des Gartenbaus, bei der die Wurzeln einer Pflanze in einer Nährlösung hängen, einem Gemisch aus Wasser und darin gelösten Nährstoffen. „Das ist eine praktische Methode, weil wir hier so wenig Platz haben“, erklärt Kiamba, der sich als „leidenschaftlichen Bio-Bauer“ bezeichnet.

Dabei lebt er nicht auf dem Land, sondern in Korogocho, einem der Slums der kenianischen Hauptstadt Nairobi. In den von Wellblechhütten gesäumten engen Gassen ist Kiambas kleine Parzelle eine Oase: Hier wächst auf jedem verfügbaren Zentimeter Gemüse. In der einen Hälfte des Gartens stehen zwei Hydroponik-Beete, im anderen Bereich hat er einen Sack-Garten. Dort gedeihen Spinat, Pak Choi, Sukuma Wiki und andere lokale Blattgemüse-Sorten in mit Erde gefüllten Säcken. Der Clou daran ist, dass die Pflanzen nicht nur die horizontale Fläche nutzen, sondern aus Löchern auch an den Seiten der Säcke wachsen, so dass übereinander in die Höhe streben können. So kann auf wenig Platz vergleichsweise viel Gemüse reifen.

Hunger nimmt zu. Was Kiamba erntet, verzehrt er mit seiner Familie und verkauft den Überschuss auf dem Markt. Seit dem Beginn der Corona-Pandemie weiß er seinen Beruf noch mehr zu schätzen als vorher: „Meine Familie und ich hatten immer genug zu Essen. Wir sind ja in unserer Ernährung unabhängig.“
Etliche Kenianerinnen und Kenianer dagegen leiden unter den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie, oft können sie sich kaum ausreichend Lebensmittel leisten. Das gilt vor allem für die Bewohnerinnen und Bewohner von Vierteln wie Korogocho – und nicht erst seit dem Beginn der Pandemie.

Joshua Kiamba, städtischer Gärtner © Bettina Rühl

Einer Studie des African Population and Health Research Center (APHRC), einer spendenbasierten Organisation mit Sitz in Nairobi, ist in den städtischen Armenvierteln fast die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren für ihr Alter zu klein. Grund sei der Mangel an Nahrung in entscheidenden Wachstumsphasen, sagt die Wissenschaftlerin Elizabeth Kimani Morage vom APHRC. „Wir haben außerdem die Ernährungssicherheit der Haushalte untersucht“, berichtet Morage. „Unseren Ergebnissen zufolge haben 80 Prozent der Haushalte nicht zuverlässig Zugang zu angemessener Nahrung.“
Bei der Hälfte der Haushalte sei das sogar ein ernstes Problem – Hunger gehört dort zum Alltag. Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie hätten das Problem noch massiv verschärft, wie kürzlich stichprobenartige Befragungen von Familien in den Slums durch das APHRC ergeben hätten.

Der Anbau von Lebensmitteln auch auf kleinsten Flächen in den Städten gilt als ein vielversprechender Weg, um die Menschen besser zu versorgen.

Garten voller Säcke. Mit spürbarer Zufriedenheit zeigt Charles Lukania auf eine Reihe von Säcken, die von kräftigen Spinatpflanzen geradezu überwuchert werden. Wie in Kiambas Garten, wächst auch hier das Gemüse in die Höhe, und offensichtlich gedeiht es prächtig. Lukania ist ein weiterer Treiber hinter dem Gemüseanbau im Slum. Die Säcke mit den prächtigen Spinatpflanzen und anderem Blattgemüse, zwischen denen Lukania gerade mit prüfendem Blick hindurchgeht, stehen auf im Mini-Garten des katholischen Gemeindezentrums St. John in Korogocho.

Von der benachbarten Dandora-Müllhalde, mit rund 12 Hektar Größe eine der größten Ostafrikas, ziehen Rauchwolken und der Geruch nach rottendem Abfall, brennendem Plastik und anderem Unrat herüber. Der dichte Qualm nimmt der Szene die Farben, auch die Kinder und Erwachsenen, die zwischen dem Müll nach Verwertbarem suchen, wirken von St. John‘s kleinem Garten aus gesehen wie Schemen.
Unter anderem diese Menschen, die jeden Tag unter widrigsten Umständen versuchen, das Lebensminimum zu verdienen, hat Lukania mit seinem Anbau-Projekt im Blick. „Je mehr die Menschen selbst produzieren können, desto weniger Geld brauchen sie, um Essen für die Familie auf den Tisch zu kriegen“, erklärt er. Wenn sie genug Gemüse hätten, bräuchten sie nur noch Maismehl, das – in den festen Brei namens Ugali verwandelt – wichtigstes Grundelement der kenianischen Küche ist.

Lukania leitet das Projekt Growth4Change, das die schwedische Hilfsorganisation Voices4Change 2016 ins Leben rief. „Was wir im Sackgarten von St. John ernten, verteilen wir jeden Samstag an diejenigen, die etwas holen kommen,“ sagt Lukania. So lange, bis nichts mehr da ist.
Parallel dazu zeigen der Gärtner Kiamba und andere freiwillige Multiplikator*innen möglichst vielen Menschen in Korogocho, wie sie eigene Sackgärten anlegen können. Bisher, schätzt Lukania, bauten etwa zehn Prozent der Menschen in Korogocho ihr eigenes Gemüse an. Aus seiner Sicht ist das ein Anfang.  

Bettina Rühl ist freiberufliche Journalistin mit dem Schwerpunkt Afrika und arbeitet für mehrere Zeitungen sowie den Hörfunk der ARD. Sie lebt in Nairobi.

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