Huang Po-Chihs Blaue Elefanten

Von Milena Österreicher · · 2022/Jan-Feb
Ein Berg an Jeanshemden: Im Mittelpunkt von Huangs Kunst steht die Arbeitsrealität in der taiwanesischen Textilindustrie. © Huang Po-Chih, Production Line-Tailor Hsu, 2014. Photo: Liu Kuang-Chih

Das Wiener Mumok zeigt derzeit die Ausstellung „Blue Elephant“ des taiwanesischen Künstlers Huang Po-Chih. Im Interview spricht er über die Identitätssuche Taiwans, die Bedeutung der Textilindustrie und das angespannte Verhältnis zu China.

In seiner ersten Einzelausstellung außerhalb Asiens thematisiert Huang Po-Chih im Wiener Museum moderner Kunst (Mumok) die strukturellen Veränderungen im Weltwirtschaftssystem ab den späten 1970er Jahren und verknüpft diese mit persönlichen Geschichten. Mit Essays, Bildern, Installationen und partizipatorischen Projekten verfolgt er eine multidisziplinäre künstlerische Praxis.

In Ihren Werken werden die ökonomischen Verflechtungen sowie die gesellschaftlichen Veränderungen in Taiwan und generell in Ostasien anhand individueller Lebenswege und oftmals direkt mit und von Betroffenen erzählt. Warum wählen Sie diesen partizipatorischen Zugang?

Uns Menschen verbindet ein gemeinsamer Erfahrungsschatz in der Art, wie wir leben, denken, sprechen – und wie wir versuchen unsere Identität zu definieren. Ich setze dies in einen globalen Zusammenhang und breche es auf die individuelle Ebene herunter. Es sind Lebensgeschichten, über die wir alle miteinander sprechen können.

Der Ausgangspunkt meiner Projekte ist die Geschichte meiner Familie. Mich interessieren die Erzählungen meiner Mutter, die in der Textilfabrik arbeitete, und die Geschichten anderer Textilarbeiterinnen. Sie werden oft in der Mainstream-Kultur ausgelassen. Ihre Biografien spiegeln auch die Reformen in der Landwirtschaft Taiwans und die gesellschaftlichen Veränderungen der vergangenen fünfzig Jahre wider. Taiwan hat sich sehr schnell von einer Agrarwirtschaft hin zur industriellen Produktion bis heute zu einer hochtechnologisierten Insel gewandelt.

Ihre Ausstellung trägt den Titel „Blue Elephant“. Warum?

Meine Mutter und ihre Kolleginnen in der Textilfabrik scherzten oft, dass ihre von der Arbeit angeschwollenen Beine wie die eines Elefanten aussehen würden. Meine Mutter nannte sich selbst deshalb blauer Elefant.

Blue Elephant, der Titel der Ausstellung, verknüpft Individuelles mit Gesellschaftlichem. © Huang Po-Chih

Der Titel spielt aber auch auf die taiwanesische Textilindustrie an, die maßgeblich für den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes war. Bis zu ihrem schrittweisen Outsourcing nach Shenzhen in China in den 1990er Jahren war ein Großteil der Bevölkerung in diesem Zweig beschäftigt.

Das Bild des blauen Elefanten wurde zudem von der Regierung benutzt, um die Menschen zur Arbeit anzuhalten. Während des Zweiten Weltkrieges gab es einen Elefanten namens Lin Wang, der im Kampf gegen Japan eingesetzt wurde. Bis heute ist seine Geschichte in Taiwan sehr populär.

Sie sind in einer Zeit aufgewachsen, in der Taiwan nach der Aufhebung des Kriegsrechts 1987 eine Reihe demokratischer Reformen und ein hohes Wirtschaftswachstum erlebte. Der politische Status des Landes ist aber weiterhin umstritten. Welche Rolle spielen Kunst und Kultur in der weiterhin schwierigen Beziehung zu China?

Das angespannte Verhältnis zwischen Taiwan und China zwingt die junge Generation fast dazu, sich zu engagieren. Beinahe tagtäglich dringen chinesische Militärflugzeug in den taiwanesischen Luftraum ein. Es ist eine Demonstration der Macht, um zu zeigen, dass sie unser Land jederzeit angreifen könnten. Auf eine gewisse Art und Weise haben wir uns daran gewöhnt, es ist fast schon normal.

Taiwan entwickelte eine eigene Kulturpolitik, die eine wichtige Kulturdiplomatie mit sich brachte. Zudem fördert Taiwan Künstler und Künstlerinnen, besonders im Rahmen seiner Biennalen. Und sie werden bestärkt, ins Ausland zu gehen, um dort zu erforschen, wie Kunst zur Demokratieförderung beitragen kann.

Umstrittener Status 

Die Republik China – so der offizielle Name Taiwans – wurde 1912 ausgerufen und umfasste ganz China, nach dem Ende der japanischen Besetzung 1945 auch die Insel Taiwan. Nach dem Sieg der Kommunistischen Partei im chinesischen Bürgerkrieg wurde 1949 die Volksrepublik China ausgerufen, während sich die unterlegene Kuomintang-Partei nach Taiwan zurückzog.   
Die völkerrechtliche Stellung der „Republik China“ mit ihren 23 Mio. Einwohner*innen ist bis heute umstritten. Die Kuomintang-Partei etablierte eine autoritäre Einparteienherrschaft, in der das permanente Kriegsrecht galt. Ende der 1980er Jahre schaffte das Land den Übergang von einer blutigen Diktatur zur Demokratie. Indes verfolgt die Volksrepublik China auf dem Festland weiterhin ihre „Ein-China-Politik“, also die politische Prämisse von „einem China“, das neben der Volksrepublik auch Taiwan sowie die Stadtstaaten Macau und Hongkong umfasst. Wenige Staaten unterhalten offizielle diplomatische Beziehungen zu Taiwan.    M. Ö.

Und welchen Platz nehmen hier neue, digitale Technologien ein?

Die junge Generation versucht vor allem, die neuen Technologien zu nutzen, um sich mit anderen asiatischen Ländern zu vernetzen – auch um neue Aspekte unserer Identität zu finden. Die Digitalisierung hilft uns als Insel zu zeigen, wer wir sind und was wir können. Sie ermöglicht auch alternative Räume für Politik, Kultur und Identität.

Ein Beispiel, bitte …

Etwa die sogenannte Milk Tea Alliance, benannt nach dem typischen Getränk, das man in Taiwan, Thailand und Hongkong konsumiert (vgl. auch den Beitrag „Aufstand mit Milchtee“ im Südwind-Magazin 3-4/2021). Die Bewegung entstand 2020 nach einem Disput in den sozialen Netzwerken zwischen einem bekannten thailändischen Schauspieler und chinesischen Nationalisten, und sie weitete sich auf die thailändische Studentenbewegung und die Proteste gegen Myanmars Militärjunta aus.

Seitdem versteht sich die Bewegung als eine regionale asiatische Gemeinschaft, die gegen autoritäre Systeme auftritt und demokratisches Bewusstsein schaffen will. Die Freiheit des Internets ist für uns mit unserer demokratischen Freiheit verknüpft.

Interview: Milena Österreicher

Milena Österreicher ist freie Journalistin und Übersetzerin für Spanisch und Portugiesisch.

Huang Po-Chih wurde 1980 in Taoyuan, Taiwan, geboren und machte 2011 seinen Abschluss an der Taipei National University of the Arts. Die Ausstellung „Blue Elephant“ ist noch bis 27. Februar im Wiener Mumok zu sehen.

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