Es gibt Tage, da kommt man in Teheran nicht vorwärts. Geduld muss man haben, und Zeit, wenn man im Stau nur zentimeterweise vorrückt. „Fahren sollte man in Teheran nur nachts“, sagt unsere Taxifahrerin Farideh wütend. Es ist nachmittags, wir sind gerade von einer Reise zurückgekehrt und sitzen in einem der Frauentaxis, die es seit kurzem gibt. Taxis mit ausschließlich weiblichen Fahrerinnen nur für weibliche Kundinnen. Farideh ist eine von ca. 500 Fahrerinnen. Sie arbeitet in Tag- oder Nachtschichten. Die Tage kann sie sich selber einteilen. Ihr Mann, der auch Taxifahrer ist, und sie wechseln einander ab. Die hübsche, junge Frau ist Mutter von zwei Kindern und hatte das Hausfrauen-Dasein eines Tages satt. „Lieber sitze ich im Stau als zu Hause“, sagt sie lachend.
An den Tankstellen endlose Schlangen von Autos, die es nach Benzin dürstet. Denn dieses ist seit einem Jahr rationiert: 100 Liter pro Privatauto in einem Monat, an Taxis werden 600 bis 800 Liter vergeben. Das ist eine der Paradoxien im Land. Der Iran ist einer der größten Öl-Exporteure der Welt, doch 40 Prozent des nationalen Verbrauches werden eingeführt. Farideh schüttelt verärgert den Kopf. „Das Leben ist so teuer geworden. Was soll denn noch alles passieren?“ Die Preise sind in die Höhe geschnellt in den letzten Monaten, die Inflationsrate wird offiziell auf 16 Prozent geschätzt, liegt aber weit höher. Ein Kilo Tomaten kostet umgerechnet 3,50 Euro, dagegen ist der subventionierte Treibstoff mit acht Cent pro Liter immer noch sehr billig.
Wirkliche Hoffnung verbreiten kann man bei den derzeitigen trüben Aussichten nicht. Die Menschen in Teheran erzählen sich dieser Tage einen Witz: „Wenn du in Schwierigkeiten steckst, kommt der Imam Zaman (der zwölfte Imam, der nach dem schiitischen Glauben der Erlöser ist). Er ist aber bisher noch nicht aufgetaucht, weil er kein Benzin hat.“
Seit dem letzten Besuch in Teheran vor zehn Jahren hat sich unheimlich viel geändert. Die Stadt wächst und wächst, im Norden immer weiter ins Elburs-Gebirge hinein. Mindestens 14 Millionen Menschen leben in der Hauptstadt des Iran. Kein Wunder, dass dieser Moloch nie zur Ruhe kommt.
Bei einer Gesamtbevölkerung von 65 Millionen sind ca. 70% unter 30 Jahre alt. Die junge Elite wird nicht umsonst als Hoffnungsträger dieses Landes bezeichnet. Ihre Überzahl macht sie selbstbewusst und kreativ, in einem Staat, der willkürlich regiert und sie unterdrückt.
Nachts sieht man Autokorsos und hört lautes Hupen von Jugendlichen auf den Straßen, aus den Wagen dröhnt Musik, kleine Gruppen hängen an Straßenecken herum. Disco auf offener Straße. Doch gleichzeitig hat sich unter der jungen Bevölkerung Verdruss breit gemacht. Frustration und Resignation angesichts des politischen Establishments haben sich besonders deutlich bei den letzten Parlamentswahlen manifestiert. Im Vorfeld der Wahlen wollte sich eine Gruppe von politischen AktivistInnen treffen, um die wichtigsten Programmpunkte der Wahl und der KandidatInnen offen zu diskutieren. Bahman T. ist einer der Initiatoren eines Netzwerkes solcher Diskussionszirkel. Er arbeitet für eine IT-Firma und will sich nebenbei politisch engagieren.
Angekündigt hatten sich 30 Personen, es kamen nur zwölf. Das war für Bahman eine herbe Enttäuschung. „Es ist wirklich bitter und zeigt das Desinteresse der Wählerschaft, ihre Passivität.“ Tatsächlich werden die Wahlen auf allen privaten oder sozialen Treffen zu einem Witz verarbeitet. Mit der Frage „Ist hier etwa einer wählen gewesen?“ macht man sich über all jene lustig, die Veränderungen herbeiführen und mitgestalten wollen. Gerade bei Kulturschaffenden und Intellektuellen, die mit der täglichen Zensur zu tun haben, ist dieses Verhalten überraschend.
Offenbar kann die Zensur auch umgangen werden. Das zeigt etwa die Bildhauerin Narges S. Ihre Skulpturen stellen großteils Frauen dar. Unverhüllte Köpfe, nackte Brüste. Diese Arbeiten hätten sehr wohl verboten werden können. „Ich habe regelmäßig Ausstellungen und musste noch nie meine Arbeiten verstecken. Es geht also schon.“
Das Teheraner Alltagsleben ist vom politischen Geschehen nicht zu trennen. Momentan mehren sich die Medienberichte über Hinrichtungen oder Peitschenhiebe gegen Frauen auf offener Straße. Für Viele ist das Leben in der Hauptstadt deshalb zu gefährlich geworden. Sie suchen die Zurückgezogenheit in den Provinzen. Wie zum Beispiel in Yazd, der Geburtsstätte der zarathustrischen Religionsgemeinschaft.
Die Abgeschiedenheit der Stadt von politischen Ent- und Verwicklungen zieht Kunstschaffende und Philosophen an. Ein junger Sufi-Künstler hat sich unweit des Bazars in einer Seitenstraße sein Atelier eingerichtet. Dort sitzt er täglich und arbeitet akribisch an seinen Holzschnitzereien und Miniaturbildern. Seine Arbeiten stellen auch biblische Motive dar, wie zum Beispiel das letzte Abendmahl von Jesus mit seinen zwölf Jüngern. Warum er in Yazd lebt, wo er hier doch sicherlich keine Käuferschaft für seine Kunst findet? Er lächelt und zeigt auf die Wand. An den Wänden hängen Glasminiaturbilder. Sie zeigen Frauen, die sich lasziv räkeln, mit Weingefäßen in ihren Händen. Ein Bild stellt eine Liebesszene dar. „Sie mochten diese Bilder natürlich nicht. Ich bin dafür ins Gefängnis gekommen“, erzählt er seelenruhig. „Hier in Yazd habe ich meine Ruhe. Hier kümmert das keinen.“ Ob er glaubt, woanders mit seiner Kunst mehr Erfolg zu haben? Er schüttelt den Kopf. Er will nicht mehr weg von hier.
Das einst geschäftige Yazd, an der Seidenstraße gelegen, von Marco Polo als „prächtige persische Handelsstadt“ bezeichnet, ist heute vom globalisierten Geschehen völlig unberührt. Die Lehmhäuser und Lehmmauern sehen aus, als wäre die Stadt erst gerade aus dem Wüstensand entstanden. Die Bauten täuschen architektonische Einfachheit allerdings nur vor. Einmalige unterirdische Systeme zum Wasserspeichern, eiförmige Bauten, die als Kühlsysteme fungierten, die berühmten Windtürme (bad gir), Türme mit Luftschächten, die zur Durchlüftung der Häuser errichtet wurden, weisen auf eine lange Kulturgeschichte hin.
Über die Berge, vorbei an kleinen abgeschiedenen Dörfern, gelangt man zur UNESCO-Weltkulturstätte Pasargade, Vorbotin von Persepolis. Die Wächter vor dem Eingangstor spielen Volleyball in der Sonne, während wir mit dem Auto an ihnen vorbei zum Grab von Kyros II. fahren, dem „König der Könige“. Die Trümmer der einstigen Tempel liegen verstreut herum. Auf Babylonisch, Elamitisch und Persisch weisen die Inschriften darauf hin, welche Funktion sie einst hatten.
Nach drei Stunden Fahrt Ankunft in Persepolis. Man sagt, Alexander der Große habe die Königsstadt in Brand setzen lassen, aus Rache dafür, dass die Perser bis nach Athen vorgedrungen waren und dort die Akropolis zerstört hatten. Überall stehen Überreste der Tempel der Dynastie von Darius I., Xerxes I. und Atarxerxes I., eine Landschaft einsamer Säulen.
Persepolis. So lautet auch der gleichnamige Comic der in Frankreich lebenden Illustratorin Marjane Satrapi. Der Comic erzählt ihre eigene Lebensgeschichte – darunter auch vier leidvolle Jugendjahre in Wien -, verwoben mit der jüngsten Geschichte des Landes (siehe SWM 11/07 S.39).
Wie überall im heutigen Iran ist das alltägliche Leben geprägt von Widersprüchen. Besonders wenn es um das Zusammenleben von Mann und Frau geht. In der Öffentlichkeit werden die beiden Geschlechter voneinander getrennt, zum Beispiel durch verschiedene Eingänge an den Flughäfen. Natürlich sind es die Männer, die im öffentlichen Leben die meisten Freiheiten besitzen. In den öffentlichen Bussen wird die Trennung strikt gewahrt, Männer sitzen vorne, Frauen hinten. Andererseits quetschen sich in Taxis Mann und Frau auf die hinteren Sitze. Jegliche Form körperlicher Zuneigung in der Öffentlichkeit ist strafbar, auch das Händchenhalten. Aber auf eine subtile Art ist Erotik dennoch allgegenwärtig, und diese lässt sich nicht verbieten. Etwa im Spiel mit dem Schleier und was sich dahinter verbirgt.
Vor zehn Jahren noch mussten die Kopftücher ausschließlich dunkle Farben haben, heute sind sie quietschbunt. Damals waren die Umhänge lang und formlos, heute sind sie hauteng. Rauchen war für Frauen strikt verboten, heute dürfen sie immerhin in ausgewählten Cafés wie ihre männliche Begleitung qualmen. Das sind die kleinen Revolutionen des iranischen Alltags.
Maryam Schumacher erwarb einen Transatlantic Master in den USA, Frankreich und Großbritannien, arbeitete ein Jahr bei einer NGO in Argentinien und lebt in Berlin. Seit 2006 übersetzt und verfasst sie Artikel für das Online-Magazin Café Babel (
www.cafebabel.com).