Südwind: Inwieweit ist der Name Globale Verantwortung auch selbst Programm?
Ruth Picker: Der Name drückt eine Analyse und ein Bewusstsein aus, aber auch einen Anspruch. Wir weisen darauf hin, dass es in einer Weltlage wie der heutigen eine globale Perspektive braucht. Wir alle als Einzelne, aber auch jedes Land und diverse Akteurinnen und Akteure, staatliche und nichtstaatliche, tragen einen Teil der globalen Verantwortung. Es geht darum, dass man seinen Teil dazu beiträgt, wie man eben kann.
Wie passen Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe inhaltlich zusammen? Gibt es da ein Konkurrenzverhältnis? Ich halte die Entscheidung, die humanitären Hilfsorganisationen in Österreich in den neuen Dachverband zu integrieren, für einen sehr guten, strategisch klugen und notwendigen Schritt. Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe gehören organisch zusammen und gehören auch so gedacht. Man spricht ja vom Kontinuum der Hilfe: zwischen kurzfristigen Akut-Maßnahmen, die dann übergehen in den Aufbau langfristiger Entwicklungszusammenarbeit. Je mehr Zusammenarbeit da passiert, desto besser für das gemeinsame Anliegen, Not und Elend möglichst schnell und effizient zu bekämpfen und langfristige Aufbauarbeit zu leisten.
Darüber hinaus gibt es natürlich die politische Komponente. Und da sind die humanitären Organisationen ganz wichtig und eine große professionelle Bereicherung für die Arbeit.
Natürlich hat jede Organisation ihr eigenes Profil, ihren eigenen Arbeitsstil und ihre eigene Prioritätensetzung. Das erzeugt manchmal längere Diskussionen, ist aber insgesamt sinnvoll und eine Bereicherung.
Neuer DachverbandGlobale Verantwortung – Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe ist der neue Dachverband, der nach Auflösung der AGEZ (Arbeitsgemeinschaft Entwicklungszusammenarbeit) und der Österreichischen EU-Plattform gegründet wurde.
Er vertritt national und international die Interessen von derzeit 29 österreichischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, entwicklungspolitische Inlandsarbeit, Humanitäre Hilfe sowie nachhaltige globale wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung tätig sind.
Das Projektvolumen der Mitgliedsorganisationen beträgt rund 100 Mio. Euro. Diese Mittel stammen großteils aus privaten Spenden der österreichischen Bevölkerung sowie aus Mitteln der OEZA und der EU. Im Sinne einer „möglichst starken und möglichst geeinten Interessensvertretung“ (Picker) werden neue Mitglieder „herzlich aufgenommen“.
www.globaleverantwortung.at Was sind für die NGOs in den nächsten Jahren die strategisch-politisch wichtigsten Herausforderungen?Auf jeden Fall die Debatte um Quantität und Qualität der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe. Die ist in einen größeren Kontext eingebettet zu sehen: Nehmen wir etwa die aktuelle Hungerkrise. Dazu tragen viele strukturelle Ursachen bei. Daher muss die kritische Analyse der strukturellen Ursachen von Armut und Ausbeutung im Zentrum unserer Arbeit stehen, gemeinsam mit den konkreten Bedingungen für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe. Die Debatte um die Wirksamkeit der Hilfe schließlich betrifft unsere tägliche Arbeit. Wie professionell muss unsere Arbeit sein, damit wir die Gelder, die wir umsetzen, auch gut rechtfertigen können? Dazu gehört die langfristige Sicherung der Arbeit, ihre Planbarkeit und Vorhersehbarkeit,
Eine große Herausforderung sehe ich darin, sich international mit anderen sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zu vernetzen, um zu einer gerechteren Welt zu kommen, zu einem möglichst guten Leben für möglichst alle Menschen, ohne dass dies auf Kosten künftiger Generationen geschieht.
Die NGOs klagen über einen Bedeutungsverlust – gegenüber anderen Akteuren in der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. In den letzten zehn bis 15 Jahren bemerke ich eine stärkere Integration der Zivilgesellschaft, und eine stärkere Anerkennung, dass NGOs wesentliche Arbeitserfahrungen haben und wesentliche Perspektiven einbringen, die man besser nicht überhört, wenn man zu einer konstruktiven Lösung von komplexen Problemen kommen will.
Wie geht der Trend weiter? Ich sehe eine breitere Einbindung von zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren, ich sehe aber auch die Gefahr, dass man aufgesogen und vereinnahmt wird; dass man derart beschäftigt ist mit irgendwelchen zivilgesellschaftlichen Konsultationen, die im Endeffekt kaum etwas Konkretes bewirken, dass man vielleicht nicht mehr genug Ressourcen hat, um grundsätzliche Kritik zu üben.
Man darf die ureigene Perspektive nicht aus den Augen verlieren: die korrigierende, wirklich oppositionelle Protestarbeit.
Ruth Picker, geboren 1973, studierte Psychologie in Wien und New York und absolvierte ein Postgraduate in „Human Rights and Democratisation“. Sie war mehrere Jahre als wissenschaftliche Projektleiterin bei SORA (Institute for Social Research and Analysis) im Bereich politische Partizipation und strategische Beratung tätig.