Die einzigen Gen-Kartoffeln, die je als Lebensmittel zugelassen waren, wuchsen ab dem Jahr 1996 in den USA und Kanada. Alle der vier Varietäten enthielten ein Gen, das einen giftigen Abwehrstoff gegen den Kartoffelkäfer produzierte, zwei waren zusätzlich gegen bestimmte Viren resistent. 1999 war die Anbaufläche auf insgesamt 25.000 Hektar angewachsen, doch um die Jahrtausendwende verschwand die Gen-Kartoffel plötzlich vom Markt. Sie hatte den Farmern keinerlei ökonomischen Vorteil gebracht: Die Pflanzen waren zwar gegen den Kartoffelkäfer geschützt, nicht aber gegen andere Schädlinge. So konnte der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nicht gesenkt werden, während das Saatgut teurer war als das von traditionellen Sorten.
Außerdem hatte die Skepsis der KonsumentInnen Fast-Food-Ketten und Lebensmittelhersteller dazu bewogen, sich für garantiert nicht genveränderte Kartoffeln zu entscheiden. Als im Jahr 2000 der nur als Tierfutter zugelassene Gen-Mais StarLink als Verunreinigung in zahlreichen Lebensmitteln auftauchte, gab dies den KritikerInnen Auftrieb, die vor der ungewollten und unkontrollierten Verbreitung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) gewarnt hatten. Da bei der Ernte je Hektar über 10.000 Knollen im Boden bleiben, ist diese Gefahr bei Erdäpfeln besonders hoch.
Die in Europa noch kritischere Einstellung der Öffentlichkeit zur Gentechnik in der Landwirtschaft als in Amerika führte 1998 zur Ausrufung eines Moratoriums innerhalb der EU. Im August dieses Jahres machte auch das Ergebnis eines mit Gen-Kartoffeln durchgeführten Fütterungsversuches Schlagzeilen: Der schottische Biologe Arpad Pusztai berichtete im Fernsehen, dass bei Ratten, die mit genveränderten Kartoffeln gefüttert worden waren, Wachstumsstörungen und Schädigungen des Immunsystems auftraten. Die Kartoffeln enthielten ein Gen des Schneeglöckchens, das sie zum Schutz gegen Blattläuse und Fadenwürmer sogenannte Lektine produzieren ließ.
Zwei Tage nach seinem öffentlichen Auftritt wurde Pusztai entlassen, sein Labor geschlossen, er selbst als Betrüger gebrandmarkt. Doch im Februar 1999 forderte eine internationale Gruppe von 23 WissenschaftlerInnen seine Rehabilitierung: „Der Versuchsaufbau war korrekt, die Ergebnisse geben zu großer Sorge Anlass“, so Beatrix Tappeser vom Ökoinstitut Freiburg.
Eine im Jahr 1998 vom Ernährungsinstitut der russischen Akademie für medizinische Wissenschaft durchgeführte Studie, deren Veröffentlichung Umweltgruppen erst im September 2005 per Gerichtsbeschluss durchsetzen konnten, bestätigte die Ergebnisse von Arpad Pusztai: Mit gentechnisch veränderten Kartoffeln gefütterte Ratten entwickelten Tumore sowie ernsthafte Leber- und Nierenschäden.
Seit dem Ende des Moratoriums im Jahr 2004 hat die EU zwar mehrfach den Import, bisher aber keinen kommerziellen Anbau von Genpflanzen zugelassen. Bis zum Oktober 2007 wurden allerdings 268 Freisetzungsanträge für Gen-Kartoffeln genehmigt, die meisten davon in Deutschland, den Niederlanden und in Großbritannien. Dabei handelt es sich mehrheitlich um Versuche mit Kartoffeln, deren Stärkezusammensetzung verändert wurde. Dazu gehört auch die Gen-Kartoffel namens Amflora (EH92-572-1) des deutschen Pharma- und Chemiekonzerns BASF, die der Zulassung bisher am nächsten gekommen ist.
Amflora ist für die industrielle Gewinnung von Kartoffelstärke bestimmt. Sie produziert nur eine der zwei in konventionellen Sorten enthaltenen Kartoffelstärken, das Amylopektin; die Bildung der zweiten Kartoffelstärke, der Amylose, ist gentechnisch unterdrückt. Die Industrie soll sich damit die erforderliche Trennung der beiden Stärken ersparen, die hohen Einsatz von Wasser und Energie erfordert. Richard Lenk, Geschäftsführer des deutschen Stärkeproduzenten Südstärke, relativiert diesen Vorteil: „Dafür sind die Kartoffeln teurer und nicht so ertragreich wie herkömmliche Sorten.“
Amylopektin wird vielfach verwendet: in der Papier-, Textil- und Klebstoffindustrie ebenso wie in Lebensmitteln und Kosmetika, ja sogar als Baustoff. Weltweit sind Kartoffeln in der Stärkeproduktion zwar unbedeutend (7%), in Europa aber liefern sie mehr als die Hälfte der jährlich erzeugten 1,7 Millionen Tonnen Stärke. Dafür wird etwa gleich viel verbraucht wie von Menschen gegessen wird; der Rest, knapp die Hälfte der Kartoffelernte, dient als Tierfutter.
Kartoffel-ForschungDas 1971 gegründete Internationale Kartoffelzentrum (Centro Internacional de la Pappa, CIP) bei Lima, Peru, ist eines der 15 Landwirtschaftsforschungszentren unter dem Dach der CGIAR (Beratungsgruppe für Internationale Agrarforschung) mit dem Schwerpunkt auf Kartoffeln, Süßkartoffeln und andere Knollen- und Wurzelfrüchte. Ziel des CIP ist die Bekämpfung der Armut und die Schaffung einer nachhaltigen Grundlage für die Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern.
rpwww.cipotato.org;
www.cgiar.org Während die europäische Behörde für Nahrungsmittelsicherheit (EFSA) Amflora als für die Gesundheit von Mensch und Tier und die Umwelt unbedenklich einstufte, setzt die Kritik gerade hier an: Die Kartoffel enthält nämlich das Gen nptII (Neomycin-Phosphotransferase II), das als sogenanntes Markergen dient und ihr eine Resistenz gegen Antibiotika wie Kanamycin, Neomycin und Geneticin verleiht. Wenn dieses Gen auf Bakterien übertragen wird, kann das dazu führen, dass Krankheitserreger gegen diese Antibiotika immun werden. Aus diesem Grund sollen laut EU-Gesetz seit 2005 auch keine GV-Pflanzen mit solchen Resistenzgenen mehr angebaut werden, wenn daraus Gefahren für Mensch oder Umwelt erwachsen. Die EFSA argumentiert, dass die betroffenen Antibiotika im Gesundheitswesen von untergeordneter Bedeutung und Bakterien-Resistenzen ohnehin schon verbreitet sind. Die Europäische Medizinische Agentur (EMEA) hat in ihrer Stellungnahme die große Bedeutung der fraglichen Wirkstoffe in der Human- und Tiermedizin betont, und die Weltgesundheitsorganisation WHO betrachtet Kanamycin als wichtiges Reserve-Antibiotikum zur Behandlung mehrfach resistenter Tuberkulose.
Dennoch bekräftigte die EFSA in ihrer neuerlichen Stellungnahme vom April 2007 ihre Einschätzung, Amflora stelle kein Risiko dar. Mitte April erhöhte BASF mit in europäischen Tageszeitungen geschalteten Anzeigen den Druck auf die Kommission, den Anbau der Gen-Kartoffel für industrielle Zwecke sowie die ebenfalls beantragte Verwendung der dabei anfallenden Pulpe als Tierfutter zu genehmigen (einschließlich der Tolerierung einer Verunreinigung von Lebensmitteln bis zu 0,9%).
Die Entscheidung darüber liegt bei der Kommission, da es weder im zuständigen Regelungsausschuss noch bei den Treffen der Umwelt- und Agrarminister der EU zu einer qualifizierten Mehrheit gekommen ist. Österreichs Umweltminister Josef Pröll, der mit zehn seiner KollegInnen im Juli 2007 gegen die Zulassung von Amflora stimmte, drohte sogar mit einem Einfuhrverbot. Umweltkommissar Stavros Dimas hat sich angesichts der zahlreichen kritischen Stimmen, die u.a. die mit Amflora durchgeführten Fütterungsstudien bemängelten, dazu entschlossen, noch zusätzliche Gutachten einzuholen.
In diesem Zusammenhang veranstaltete die EU-Kommission am 7. Mai eine Orientierungsdebatte. Sie brachte zwar die Aufhebung des österreichischen Importverbots für zwei Maissorten, doch keine Amflora-Zulassung: EFSA wurde zu einer neuerlichen Bewertung der Gen-Kartoffel aufgefordert. Diese Entscheidung kann als Ausdruck des Misstrauens der Kommission gegenüber der Nahrungsmittelbehörde gesehen werden.
BASF und andere Konzerne testen derzeit auch Varietäten mit einem Gen gegen den Algenpilz Phytophthora infestans, den Erreger der Kraut- und Knollenfäule. Sie hat Mitte des 19. Jahrhunderts in Irland mehrere Jahre hindurch die Kartoffelernte vernichtet und dadurch jene Hungersnot ausgelöst, die eine Million Tote forderte. Noch heute verursacht dieser Organismus weltweite Ernteausfälle von 20%. Er hat sich bisher als so flexibel und wandlungsfähig erwiesen, dass die dagegen entwickelten gentechnischen Sorten schon bald wieder wehrlos sein dürften. Die mit transgenen Kartoffeln verbundenen Risiken seien daher, so etwa der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland in einer Stellungnahme, nicht gerechtfertigt.