Stolz schwenkt Teodora Quispe das transparente Plastiksackerl mit dem Aufdruck „Hortalizas Ecológicas“. Biogemüse heißt das übersetzt, und die Sackerl sind so etwas wie der Personalausweis der kleinen Genossenschaft vor den Toren von Boliviens größter Stadt La Paz. Und sie bürgen für Qualität, denn sie tragen das Siegel des Verbandes der Bioproduzenten Boliviens (AOPEB). Die Gewächshäuser der Genossenschaft ACSHA sind seit Jahren zertifiziert. „Die Kunden schätzen unser Angebot, so zahlen sie für unsere Salatköpfe aus unseren Treibhäusern statt 2,5 Bolivianos deren drei“, erklärt Teodora mit stolzer Stimme. Umgerechnet knapp 30 Cent eines Euro sind das, und die rundliche Frau mit der bunten Kittelschürze und dem keck auf dem Kopf sitzenden Bowlerhut ist froh, dass sie es mit ihren Compañeras, ihren Genossinnen, geschafft hat. „Wir erwirtschaften Überschüsse und haben die Zahl der Gewächshäuser in den letzten Jahren stetig vergrößern können“. Fünfunddreißig Frauen und fünf Männer gehören derzeit der Vereinigung der Betreiber von Gemüse-Gewächshäusern in Achocalla – kurz ACSHA – an. In knapp fünfzig Gewächshäusern bauen sie Karotten, Bohnen, Kopfsalat, Kräuter und vieles mehr an.
Verkauft wird die frische Bio-Ware auf den Märkten der Umgebung. Nach La Paz, dem Sitz der Regierung von Evo Morales, kommen die Frauen der Genossenschaft bisher nur selten, denn „ein eigenes Fahrzeug fehlt uns noch“, erklärt Saturnina Torrez. Die sympathische Frau mit der blau gemusterten Kittelschürze über der dicken Lage aus Röcken, die vor der Kälte des Hochlands schützen soll, ist die Schatzmeisterin der Genossenschaft. Sie spart für ein eigenes Auto und hofft auf Zuschüsse von Botschaften und Hilfsorganisationen. Aus diesen Finanzquellen kam auch die Anschubfinanzierung für die Genossenschaft von Achocalla, die vor rund zehn Jahren von acht Frauen gegründet wurde. „Wir wollten etwas Eigenes auf die Beine stellen, uns nicht dreinreden lassen und eine eigene Einnahmequelle erschließen“, erklärt Saturnina und schiebt die Plane zur Seite, die den Eingang zu ihrem Gewächshaus verdeckt. Drei der aus Lehmziegeln gebauten und mit einer gelben Spezialfolie gedeckten Treibhäuser bewirtschaftet sie gemeinsam mit einer Nachbarin. Doch auch die Männer legen mittlerweile Hand an, wenn Hilfe gebraucht wird.
„Am Anfang haben uns die Männer nicht unterstützt. Wir mussten darum kämpfen, dass sie sich um die Kinder kümmern, wenn wir Seminare besuchten, um zu lernen, wie man Biogemüse anbaut“, erinnert sich Saturnina Torrez lachend. Sie ist eine Wortführerin in der Gruppe und tritt ausgesprochen selbstbewusst auf. „Wir haben über unsere Arbeit an Selbstwertgefühl gewonnen, denn wir verdienen unser eigenes Geld, tragen zum Familieneinkommen bei und können uns auch einmal etwas leisten“, erklärt Teodora Quispe, die Präsidentin der kleinen Genossenschaft. Kichern müssen die Frauen, wenn sie sich an die Auseinandersetzungen der ersten Stunde mit den Männern erinnern. „Heute arbeiten wir im Team, und die Männer helfen uns in den Gewächshäusern und auch zu Hause bei der Hausarbeit.“
Ein großer Fortschritt, denn in Bolivien herrschen in der Regel patriarchale Strukturen, und die Männer fühlen sich nicht gerade verantwortlich für die Hausarbeit und die Kinder, erklärt Miguelina Quispe. Sie muss es wissen, denn lange Jahre hat sie als Dienstmädchen in einer ganzen Reihe von bolivianischen Haushalten gearbeitet. Heute kämpft sie hauptberuflich für die Rechte der meist mies bezahlten und allzu oft auch mies behandelten Hausangestellten. Mit Erfolg, denn anders als in vielen Nachbarländern gibt es in Bolivien seit einigen Jahren eine schlagkräftige Gewerkschaft der Hausarbeiterinnen (FENATRAHOB).
„Wir haben gelernt, für die eigenen Rechte einzutreten, und auch bei der Verfassunggebenden Versammlung waren wir präsent“, erklärt Miguelina Colque. Sie ist derzeit Generalsekretärin der Gewerkschaft, vertritt sie nach außen und stammt wie das Gros der Mitglieder aus einfachen indigenen Verhältnissen. Ähnlich wie Casimira Rodríguez, die als Justizministerin im ersten Kabinett von Evo Morales international bekannt wurde, hat sie abends nach dem Ende der Arbeit im Haushalt begonnen zu lernen. Zur Abendschule ist sie gegangen, um Lesen und Schreiben zu lernen und den Schulabschluss nachzuholen. „Das ist der Schlüssel, um für die eigenen Rechte einzutreten“, erklärt die Gewerkschafterin, die aus der Nähe von Oruro stammt, aber zum Arbeiten ins reiche Tiefland nach Santa Cruz gezogen ist, mit fester Stimme. Längst hat sich der Kampf der Gewerkschafterinnen ausgezahlt, denn seit dem 9. April 2003 ist gesetzlich fixiert, welche Rechte die Hausangestellten in Bolivien haben. „Es ist ein gutes Gefühl, nicht nur Pflichten zu haben, und es tut gut, wenn diese auch respektiert werden“, betont Miguelina Colque. Die Frau, die mit acht Jahren ihre erste Stelle als Haushaltshilfe antrat, wirbt mit dem Gesetz und den Broschüren der Gewerkschaft in der Hand auch schon mal auf dem Markt um neue Mitglieder. Etwa 6.000 Mitglieder hat die Gewerkschaft derzeit, angesichts von 137.000 offiziell registrierten Dienstmädchen nicht viel. „Wir brauchen mehr mutige Frauen, denn die sind unsere Basis. Erst wenn wir überall im Land für die Einhaltung und Umsetzung des Gesetzes kämpfen, haben wir die Chance, die Arbeitsbedingungen auch nachhaltig zu ändern.“
Papier ist auch in Bolivien geduldig und lange nicht alles, was gesetzlich fixiert ist, hat in den Gemeinden zwischen dem Regierungssitz La Paz und der Wirtschaftsmetropole Santa Cruz Bedeutung. So sind auch die eindeutigen Regelungen über Arbeitszeiten, Urlaubstage und Bezahlung der Dienstmädchen lange nicht überall bekannt und werden folglich auch nicht eingehalten. „Für die Umsetzung müssen wir Frauen kämpfen, und wir haben noch einiges vor uns“, gibt Miguelina Colque freimütig zu. Doch die Erfolge sprechen für sich. Die Frauen in Bolivien haben gelernt, sich zu organisieren und für die eigenen Rechte einzutreten. „Folglich reden wir über Gleichberechtigung, über Emanzipation, über innerfamiliäre Verantwortung und Arbeitsteilung, doch in den Familien ist das lange noch nicht überall angekommen.“
Das lässt sich in den Armenvierteln von El Alto, der Oberstadt von La Paz, genauso beobachten wie in Cochabamba, der zweitgrößten Stadt des Landes. In El Alto engagiert sich Sofía Irene Paja dafür, möglichst viele der jungen Mädchen, die tagsüber in den Straßen von El Alto auf dem Markt oder in den Werkstätten schuften, abends in die Schulen zu lotsen. So arbeitet die 13-jährige Roxana Torrez Mamani in der Polsterei der Eltern und holt abends in einer von 17 Abendschulen nach, was die anderen Kinder über Tag in den gleichen Schulen gelernt haben. „Faktisch wird in den Schulen von EL Alto in drei Schichten unterrichtet, damit alle Kinder eine Chance haben“, erklärt Schuldirektor Elias Sagarra. Davon profitieren vor allem die Mädchen, die bis zu fünfzig Prozent der Schüler stellen. Für bolivianische Verhältnisse ausgesprochen viel, denn bei den Mädchen ist die Einschulungsquote oft gering.
„Zwanzig Prozent der Frauen in Bolivien können nicht lesen und schreiben“, berichtet Sofía Irene Paja, die im Auftrag des Kinderhilfswerks UNICEF arbeitet und selbst in El Alto lebt. Bei den Männern sind es dagegen nur vier Prozent. Die Diskrepanz versucht die Bildungsexpertin gemeinsam mit ihren KollegInnen abzubauen, wozu sie die Mädchen motivieren, weiterzumachen und nicht locker zu lassen.
„Bildung ist der Schlüssel, um den Kreislauf von Diskriminierung zu durchbrechen“, da ist sich auch Casimira Rodríguez sicher. Die ehemalige Justizministerin Boliviens ist nach dem Rücktritt aus dem Kabinett von Evo Morales in ihre Heimatstadt Cochabamba zurückgekehrt und arbeitet dort mit verschiedenen Menschenrechtsgruppen zusammen.
Die international bekannte Frau ist nicht nur für die Gewerkschaft der Hausangestellten, der sie nach wie vor angehört, eine Symbolfigur, sondern auch allgemein für die Frauen in Bolivien. „Unsere Stimme ist in den letzten Jahren deutlich kräftiger geworden. Wir werden zur Kenntnis genommen und nicht mehr wie früher zumeist ignoriert“, freut sich die 41-jährige Frau. Sie trägt wie viele der indigenen Frauen in Cochabamba traditionelle Tracht. Auch ein Zeichen für das gewachsene Selbstvertrauen der Frauen in Bolivien.