Eine Ausstellung im Nationalmuseum in Nairobi hat sich kenianischen kulturellen Objekten gewidmet, die in westlichen Museen gehortet sind. Zum ersten Mal ist die kenianische Öffentlichkeit mit der Restitutionsdebatte konfrontiert.
Sehr verärgert sei sie gewesen, erzählt die Kunstlehrerin Mary Muringi. „Es regt mich auf, dass ich erst jetzt von diesen Gegenständen erfahre“, sagt sie nach dem Besuch der Ausstellung „Invisible Inventories“ im Nationalmuseum in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, die von Mitte März bis Ende Mai lief.
Die Schau hat sich mit der Abwesenheit kultureller Objekte in Kenia und dem daraus resultierenden Verlust einer kulturellen Identität für das Land auseinandergesetzt. Zum gleichen Thema und als Teil des Projekts finden Ausstellungen in Köln und Frankfurt statt.
Während sich in Europa die Debatte um koloniales Raubgut vor allem mit der Frage der Rückgabe von Objekten befasst, deutet „Invisible Inventories“ eine deutlich umfassendere Dimension des Themas an.
„Welche Informationen werden mir denn noch vorenthalten?“, fragt die Besucherin Muringi. „Das ganze Land muss davon erfahren. Wir wollen unsere Objekte zurückhaben.“
Die Ausstellung ist ein Ergebnis der Zusammenarbeit eines deutsch-kenianischen Teams, bestehend aus Künstler*innen und Akademiker*innen, das seit 2018 versucht, kenianische Objekte in westlichen Museen und Archiven aufzustöbern und zu dokumentieren. Bisher sind etwa 32.000 historische Kulturobjekte in einer öffentlich zugänglichen, digitalen Datenbank erfasst worden. Dazu hat das kenianische Nationalmuseum circa 80 Museen weltweit angeschrieben; etwa 30 haben geantwortet.
Leere Vitrinen. Im Zentrum der Ausstellung in Nairobi waren leere Vitrinen zu sehen, die Abwesenheit symbolisieren: Lediglich grafische Darstellungen der fehlenden Objekte und ihrer Verwendung hingen über den Kästen, ergänzt von einer kurzen Beschreibung und dem derzeitigen Aufenthaltsort des Gegenstands. Tausende Versandaufkleber bedeckten zwei Wände und sollten die 32.000 fehlenden Gegenstände verdeutlichen, die in Museen weltweit lagern.
„Einige dieser Objekte sind unverzichtbar für die Identität unserer Menschen“, sagt Kurator Juma Ondeng‘ vom kenianischen Nationalmuseum. „Ihre Abwesenheit bedeutet eine Identitätskrise für manche Gruppen. Es ist höchste Zeit, dass wir diejenigen Objekte, die unter fragwürdigen Umständen erworben wurden, nach Hause holen.“
Dabei hat er nicht zuletzt die künftigen Generationen im Blick: „Wenn wir diese Objekte zurückbekommen, mögen unsere jungen Menschen vielleicht nicht unbedingt ihren kulturellen Wert schätzen“, so Ondeng‘. „Möglicherweise entdecken sie aber einen anderen intrinsischen Wert in diesen Gegenständen, einen Referenzpunkt für neue Wege, sich mit ihnen zu beschäftigen, Kunst zu schaffen.“
Es ginge nicht bloß um Identität, sondern auch um lokale Kreativität. „Kultur hört nicht einfach so auf, sich zu bewegen.“
Großes Interesse. Aufgrund großer Nachfrage von Seiten der Öffentlichkeit, so Ondeng‘, war die Ausstellung um einen Monat verlängert worden. Manche Besucher*innen hätten das Museum wiederholt besucht und Freunde mitgebracht, „so etwas habe ich schon lange nicht mehr gesehen“.
Sam Hopkins vom deutschen Künstlerkollektiv SHIFT, der die Idee für das Projekt mitentwickelt hat, freut sich darüber, dass das Thema Raubkunst in Kenia allmählich anders wahrgenommen wird. Lange Zeit galten kenianische Objekte in Museen weltweit offiziell als kulturelle Botschafter Kenias. „Zum ersten Mal hört man nun Museumsfachleute in der Öffentlichkeit von Restitution und Rückführung sprechen. Das war vorher einfach kein Thema“, betont Hopkins.
Die Mitglieder des deutsch-kenianischen Teams hätten einander zudem auf viele Defizite aufmerksam gemacht, die aus den verschiedenen kulturellen Hintergründen erwachsen waren.
Für Hopkins ist die Ausstellung in Nairobi ein guter Anfang: „Ich sehe eine wachsende Flut von Interesse an diesem Thema in Kenia. Restitution ist wichtig, aber die Rückgabe von Gegenständen ist nur ein Teil davon“, so der Künstler. „Der Verlust, der kompensiert werden muss, geht über die Abwesenheit von Objekten hinaus.“
Anja Bengelstorff arbeitet seit mehreren Jahren als freie Journalistin in Kenia und schreibt für deutschsprachige Medien.
In der Printausgabe 7-8/2021 berichtete das Südwind-Magazin über die Restitutionsdebatte rund um die Benin-Bronzen
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