„Indigene Völker respektieren alle Arten“

Von Dinyar Godrej – Interview · · 2021/Mar-Apr
Savannah with Lion & Humans, This Empty World. © Nick Brandt / Courtesy of Atlas Gallery, London

Hindou Oumarou Ibrahim erklärt im Interview, wie indigene Völker die Natur bewahren.

Wie würden Sie das Verhältnis indigener Völker zur Natur beschreiben?

Indigene Völker rund um die Welt anerkennen, dass andere Arten Teil der Natur sind, und dass wir als Menschen ebenfalls Teil der Natur sind. Wir betrachten andere Arten nicht als etwas Separates.

Wenn wir Mbororo einen Ort verlassen, um einen anderen aufzusuchen, geben wir dem Ökosystem die Möglichkeit, sich zu erholen. Wir wissen, dass wir von den Vögeln, den Insekten, dem Vieh, den Bäumen und Blumen lernen können, weil wir sie beobachten. Sie geben uns Informationen, die wir für unsere Ernährung, für unsere Arzneien brauchen. Alle Arten sind wichtig für uns und von gleicher Bedeutung; wir respektieren jede einzelne.

Wie lässt sich eine Weidewirtschaft mit dem Zusammenleben mit Prädatoren, also Raubtieren und Beutegreifern, und anderen Arten in Einklang bringen?

In meiner Region, der Savanne, gibt es alle möglichen Prädatoren, alles, was man sich vorstellen kann. Aber ein Bub von sieben Jahren kann mit hundert Rindern anderer Leute den ganzen Tag unterwegs sein, und er wird wieder zurückkommen. Er wird nicht von einem Löwen oder von anderen Prädatoren angegriffen. Sie wissen, wie man in Harmonie lebt, wie man sich in Harmonie bewegt.

Wie sieht das aus?

Ein Prädator kommt zu einer bestimmten Zeit, um Wasser zu trinken. Das ist nicht die Zeit, in der das Vieh zur Wasserstelle kommen kann. Wenn wir uns in der Natur bewegen, dann wissen wir um die Tiere, die sich auf unserem Weg befinden, wo sie sich aufhalten und wie sie aussehen, und sie wissen, dass wir sie respektieren. Sie greifen uns nicht an, weil wir über ein jahrhundertealtes Wissen über das Verhalten jedes einzelnen Tiers verfügen.

In der Trockenzeit, wenn es für den Löwen oder andere Prädatoren im Busch nicht genug zu essen gibt, kommen die Gemeinschaften zusammen und opfern einige Rinder. Sie füttern die Prädatoren, wenn sie nichts anderes zu essen haben. Dann greifen sie nicht an. Dass Menschen Angst haben, mit ihren Herden an einen Ort zu ziehen, bloß weil es dort einen Löwen gibt, das kommt bei uns nicht vor.

Was halten Sie von dem Ansatz, die Natur durch „Schutzgebiete“ zu erhalten? Es ist vorgekommen, dass indigene Völker aus ihrem Gebiet vertrieben wurden, um Nationalparks zu schaffen.

Wir sind nicht damit einverstanden, dass Nationalparks geschaffen und dann völlig abgesperrt werden, denn das entspricht nicht dem Leben der Natur. Sie sperren auch die Vielfalt des Ökosystems ein.

Wir wissen, wie das Gleichgewicht bewahrt werden kann, wie man vermeidet, dass eine Art dominant wird. Gemeinschaften, die vom Jagen und Sammeln leben, wissen, welche Tiere sie jagen können und welche nicht.  Aber wenn man ein Gebiet absperrt, verlieren die Hirten ihren Zugang zum Wasser, man muss um den Park herumwandern.

Nationalparks erstrecken sich über hunderte Kilometer, manche über Grenzen hinweg. Sie glauben, sie können die Natur in eine Schachtel stecken, sie zumachen und sagen: „Seht her, wir schützen sie.“ Aber so schützt man die Natur nicht.

Es ist letztlich zu einem Geschäft geworden. Wir wollen nicht, dass die Natur zu einem Geschäft wird. Wenn man sie einsperrt, wer hat das Geld, um hineinzukommen und sie zu beobachten? Das sind die reichen Touristen.

Es gibt keinen Stammesangehörigen, der das Geld hat, um Zakouma zu besuchen (ein 3.000 km² großer Nationalpark im Südosten des Tschad, Anm. d. Red.) und dann zu sagen: „Toll, ich habe eine Giraffe gefüttert und das war ein wunderbarer Tag“. Wir leben ja schon mit ihnen, wir fotografieren sie nicht, wir lassen sie ihr Leben leben.

Auf UN-Ebene ist nun anerkannt, dass indigene Gemeinschaften beim Schutz der Biodiversität beteiligt werden müssen. Geschieht das in der Praxis?

Nein. Daher fordern wir ja eine unbeschränkte und effektive Beteiligung auf allen Ebenen. Wenn wir nur auf internationaler Ebene einbezogen werden, wird das nur eine Erklärung auf einem Stück Papier sein, aber es sind Leute auf nationaler und lokaler Ebene, die das umsetzen werden. Wenn sie akzeptieren, was wir vorschlagen – Achtung unserer Rechte, Einbeziehung, Mitwirkung –, müssen sie das in Gesetzen festhalten, in Entscheidungen auf nationaler Ebene. Und das geschieht nicht.

Interview: Dinyar Godrej
Copyright New Internationalist

© Fatakaya / CC 4.0

Hindou Oumarou Ibrahim ist Umweltaktivistin und gehört den Mbororo (auch Bororo, Wodaabe) an, einer Gemeinschaft im Tschad, die traditionell Weidewirtschaft betreibt. Die Geografin ist Gründerin der Association des femmes peules autoch-tones du Tchad (AFPAT).

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