Seit dem Erscheinen ihres Buches „Los demonios del Edén“ (Die Dämonen von Eden) vor knapp drei Jahren ist Lydia Cacho auf Personenschutz angewiesen und war schon mehrmals Zielscheibe von Attentatsversuchen. Die Hintermänner sind offensichtlich die von ihr beschuldigten Personen, u.a. der Hotel-Manager Jean Succar Kuri, ein mächtiger Mann in der Touristenhochburg Cancún, und der Textilfabrikant Kamel Nacif, der „Jeans-König“ von Cancún.
Von Cancún aus, das Cacho bildhaft „Eden“ nennt, ein „Paradies“ für Urlauber, belieferte Kuri seine Kunden, mehr als 30 Unternehmer. Die 1963 geborene Journalistin sammelte Aussagen der Opfer, die jüngsten waren nicht einmal fünf Jahre alt. Mehr als 100 Misshandlungen rechnet man Kuri zu, Aussagen bezichtigen ihn auch des Internetvertriebs von Kinderpornografie. Mittlerweile haben Spanien, Kolumbien und Brasilien Interesse an Cachos Ermittlungen bekundet, um sie in ihre Nachforschungen mit einzubeziehen.
In Mexiko stehen prominente Personen unter Pädophilie-Verdacht: vom Ex-Präsidenten José Lopez Portillo (2000 – 2004), über Miguel Angél Yunes, den Ex-Chef der Staatspolizei, bis zu Emilio Gamboa Patron, dem Klubobmann der bis Dezember 2000 regierenden PRI. Ihre Kontakte sollen bis nach Hongkong reichen, die Geldwäsche geschehe in den USA.
Edith Encalada war die erste, die Anzeige erstattete. Succar hatte sie seit ihrem 13. Geburtstag regelmäßig vergewaltigt, ebenso ihre Schwester und ihre Cousine, acht und neun Jahre alt.
Nach dem Erscheinen ihres Buches warf man Cacho ohne Rechtsgrundlage nach einer mehrstündigen Fahrt in ein Gefängnis in der Provinz Puebla. Sie wurde stundenlang eingeschüchtert, geschlagen und mit Vergewaltigung bedroht. „Ich dachte, ich müsste sterben“, erklärte die Journalistin nach dem Martyrium – und verklagte den Staat.
2006 wurde eine Tonbandaufzeichnung bekannt, in der sich Nacif bei Mario Marín Torres, dem Gouverneur des Bundesstaates Puebla, für die Verhaftung Cachos bedankte – „mit zwei Flaschen bestem Cognac“. Weitere Aufzeichnungen brachten auch die Gouverneure von Quintana Roo, Félix González Canto, und von Chiapas, Pablo Salazar Mediguchía, in die Nähe des Netzwerks um Succar und Nacif.
Drei uniformierte Begleiter und ein gepanzertes Fahrzeug gehören nun zum Alltag von Lydia Cacho. Die Journalistin. arbeitet in Cancún in einem Zentrum für die Opfer von Geschlechtergewalt mit. Im vergangenen Herbst manipulierte man ihr Auto mit dem Ziel, einen Unfall zu provozieren.
„Cancún ist eine Stadt mit extremem Wachstum, ohne Gesetze, ohne Autorität“, erklärt sich Cacho die Straflosigkeit der Kinderschänder. Im vergangenen Herbst wurde Cacho von der „International Woman in Media Foundation“ ausgezeichnet. Bei der Preisverleihung forderte sie von JournalistInnen „weiter zu gehen als bloß eine Geschichte zu erzählen“. In einem Land wie Mexiko, wo jedes Jahr mehr als 30 JournalistInnen ermordet werden, sei die Presse unverzichtbar für den Rechtsstaat.
Kürzlich erschien ein neues, autobiographisches Buch der mutigen Journalistin: „Memorias de una infamia“ („Erinnerung einer Niederträchtigkeit“). Darin bringt sie das Erlebte zu Papier, eine Art weitere Anklage.
Die Ausnahmejournalistin hat ihre Karriere in den 1980er Jahren begonnen, im Kulturressort der Tageszeitung „Novedades de Cancún“. In den 1990ern schrieb sie über Prostituierte aus Kuba und Argentinien, die in der Touristenhochburg arbeiten. Sie war auch als Moderatorin eines TV-Programms tätig, veröffentlichte einen Gedichtband sowie ein Buch über das Leben einer HIV-positiven Frau.
Bereits 1998 lauerte man der Journalistin bei einer Busstation auf, prügelte und vergewaltigte sie in der nahen öffentlichen Toilette. Man geht davon aus, dass der Angriff schon damals mit ihrer Arbeit zusammenhing.
Der „Fall Cacho“ beschäftigt gegenwärtig die Justizkommission des Parlaments des Bundesstaates Puebla. Die Autorin gibt den Glauben an Gerechtigkeit nicht auf: „Als ich noch ein Kind war, sagte meine Mutter, die Wahrheit ist viel leichter als die Lüge. Und: Lügen fallen stets aufgrund ihres Gewichtes in sich zusammen.“ Hin und wieder verabschiedet sich die Frau von ihren Leibwächtern, „für ein paar Minuten, um ein Gläschen zu trinken“, für einen Hauch des Gefühls von Freiheit.
Luis Mandoki, ein mexikanischer Regisseur mit Draht nach Hollywood, will jetzt Cachos Leben verfilmen.
Cacho-Blog:
www.lydiacacho.net