Verlag Diogenes, Zürich 2007, 170 Seiten, € 17,90
Gisela Tenenbaum wird am 4. Februar 2008 53 Jahre alt. Sie und ihr Gefährte und Ehemann Alfredo hätten wohl mehrere Kinder, auch schon Enkelkinder, hätten schon mehrmals ihre Verwandten in Österreich besucht, wären vielleicht sogar nach Wien übersiedelt.
Doch Gisi hat aller Wahrscheinlichkeit nach den April 1977, damals war sie 22, nicht überlebt. Am 8. April, dem Karfreitag dieses Jahres, hatte ein Militärkommando ihre Montonero-Gruppe in Mendoza ausfindig gemacht. Seit damals ist Gisi verschwunden, eine der ca. 30.000 Verschwundenen der argentinischen Militärdiktatur.
Erich Hackl erzählt die Geschichten der österreichisch-jüdischen Familien Tenenbaum und Markstein. Willi Tenenbaum, geboren in Wien-Ottakring, und Helga Markstein, geboren in Wien-Stadlau, die dem Holocaust nach Lateinamerika entkommen waren, hatten sich im argentinischen Exil kennengelernt und 1951 in Buenos Aires geheiratet. Vier Jahre später kam, als zweite Tochter, Gisela auf die Welt.
Das blonde Mädchen mit blauen Augen zeigt schon früh markante Charaktereigenschaften: selbstlos, hilfsbereit, willensstark, intelligent – immer an das Wohlbefinden der Anderen denkend. Sie sah wie ein Engel aus mit ihren blonden Zöpfen, und wie ein Engel habe sie sich auch verhalten, erklärten später Jugendfreundinnen.
Für eine Person mit diesen Eigenschaften schien der Weg zur linken Militanz im Argentinien der 1970er Jahre vorgezeichnet. Im Juni 1973 kehrt der frühere Präsident Perón zurück. Die staatliche Repression wird immer stärker. Gisela Tenenbaum schließt sich im August 1975 den Montoneros, der bewaffneten Widerstandsbewegung der Peronistischen Jugend, an und wird somit zur illegalen Aktivistin.
Am 24. März 1976 nimmt mit dem Militärputsch die argentinische „Endlösung“ ihren offiziellen Anfang. Immer mehr Compañeras und Compañeros von Gisela und Alfredo werden festgenommen, gefoltert, ermordet. Die Lage der beiden wird immer aussichtsloser, sie fliehen von einem Versteck zum anderen. Alfredo erwischt es zuerst, er „verschwindet“. Gisi will den bereits aussichtslosen Kampf fortsetzen. Warum? Niemand kann diese Frage genau beantworten. Und auch nicht die quälende Frage, wo die so genannten sterblichen Überreste von Gisela Tenenbaum liegen.
Erich Hackl hat Gisela Tenenbaum ein würdiges und zugleich erschütterndes Denkmal gesetzt.