In einem staubigen Dorf, 130 Kilometer nördlich von Phnom Penh, der Hauptstadt Kambodschas, sitzen zwei Frauen mit überkreuzten Beinen in einer wackeligen Hütte. Sie verhandeln gerade über ein wichtiges Geschäft. Nach etwa zehn Minuten Feilschen einigen sie sich auf den Preis: zwei Millionen Riel, rund 500 US-Dollar. Einen Augenblick später ertönt ein gellender Ruf einer der beiden Frauen: „Srey!“ – ihre Tochter, das jüngste von sechs Kindern, eine Elfjährige mit strahlenden braunen Augen. Srey läuft in die Hütte, und in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet, erklärt ihr ihre Mutter, dass sie mit ihrer „Tante“ für eine kurze Zeit in die Stadt zu gehen habe. Sie habe alles zu tun, was man von ihr verlange, und in ein paar Monaten werde sie wieder zuhause sein.
Srey hat Angst. Sie empfindet instinktives Misstrauen gegenüber der geschminkten Frau mit den harten Augen, der so genannten „Tante“. Aber sie gehorcht ihrer Mutter und geht fort, bloß mit dem, was sie anhat, und ihrer liebsten Stoffpuppe. Sie ist auf dem Weg in ein schäbiges Bordell im Zentrum von Phnom Penh, und sie kann absolut nichts dagegen tun. Sie hat niemanden, der sie beschützt, niemanden, der sie rettet.
Drei Tage später, das Gesicht verschmiert mit Wimperntusche und rubinrotem Lippenstift, gehüllt in einen purpurroten, seidenen Sarong, wird ihre Jungfräulichkeit um 500 Dollar an einen beleibten japanischen Unternehmer verkauft. Er erhielt sie für fünf Tage zum Gebrauch, eine Zeit, in der er das von Entsetzen geplagte Kind wie ein Tier behandelte. Die nächsten beiden Wochen wurde der Körper Sreys um zehn Dollar pro Kunde an US-amerikanische, britische und deutsche Pädophile verkauft – Sextouristen, die sich nur darum kümmern, was sie für ihr Geld bekommen. Dann, als ob jemand einen Schalter umgelegt hätte, verfiel ihr Wert plötzlich: Als gebrauchte Ware, die sie nun war, kostete sie nur mehr zwei Dollar pro Kunde, zumeist Thailänder und Kambodschaner. Drei Monate später, infiziert mit Tripper und HIV, wurde sie zum Sterben nach Hause geschickt.
Junge Frauen und Mädchen werden täglich zu Zehntausenden verkauft. Doch die tragische Geschichte von Srey zeigt einen Aspekt des Sexhandels auf, den die meisten Menschen nicht begreifen können – dass eine Mutter ihr eigenes Kind als Prostituierte verkauft.
Die meisten Menschen stellen sich vor – oder hätten es gerne so -, dass Menschenhändler allesamt stiernackige, finster dreinblickende Schlägertypen sind, Mitglieder albanischer oder russischer Verbrecherbanden, der italienischen Mafia, der japanischen Yakuza, der chinesischen Triaden oder der Hell’s Angels. Aber der Ozean des Sexhandels wimmelt von widerlichen Opportunisten, die wissen, dass sie einen Haufen Geld verdienen können, indem sie verzweifelte, ahnungslose junge Frauen und Mädchen an Zuhälter und Bordellbesitzer in der ganzen Welt verschachern. Wer bloß eine an den Haken bekommt, dem winken zwischen 250 und 5.000 Dollar netto.
Dabei kommt jeder denkbarer Trick zur Anwendung. Manche veranstalten Jobmessen an höheren Schulen oder Universitäten, wo sie attraktive Einkünfte als Kindermädchen, Stubenmädchen und Kellnerinnen im Ausland versprechen; andere lassen gewiefte Überredungskünstler als „Headhunter“ in Städte und Dörfer ausschwärmen. Traurigerweise sind einige davon sogar Frauen, die selbst Opfer des Sexhandels sind – Frauen, denen versprochen wurde, sie würden freikommen, wenn sie zwei oder drei frische Körper liefern.
In einer geräumigen Wohnung mit schwarzen Ledersofas und modernster Unterhaltungselektronik brüstet sich Ludwig Fainberg vulgo „Tarzan“, mit welcher Leichtigkeit es ihm gelungen sei, junge Frauen aus Russland in beliebige westliche Länder zu bringen. Ob aus Russland, der Ukraine und Rumänien, er könne liefern, versichert Fainberg, früher Mitglied eines berüchtigten russischen Verbrechersyndikats in New York: „Kein Problem. 10.000 Dollar, und das Mädchen wird hergeschafft.“
Menschenhändler stützen sich auf Drohungen, Einschüchterung und Gewalt, um ihre Opfer zu kontrollieren. Aber im Fall der tausenden Mädchen, die aus Nigeria importiert werden, um auf Autobahnraststätten und LKW-Standplätzen in Italien, Griechenland und Spanien zu arbeiten, setzen sie auf etwas unheimlichere Methoden – juju oder Magie.
Bevor sie Benin City verließ, um „viel Geld mit dem Haareflechten für Touristinnen an italienischen Stränden zu verdienen“, wurde die 16-jährige Sarah von ihrem Händler, einem Freund der Familie, aufgefordert, einen ohen zu besuchen, einen Priester der lokalen Religion. „Ich musste einen Eid schwören, niemals auch nur ein Wörtchen zu erzählen. Der Priester nahm etwas von meinem Haar und meinen Fingernägeln und warnte, ich würde verrückt werden und in meinen nächsten Leben schwer zu leiden haben, wenn ich mein Versprechen nicht hielte.“ Als sie in Neapel ankam, erklärte ihr ihre nigerianische Puffmutter, dass sie als Prostituierte zu arbeiten hätte. Zwei Monate später wurde sie von der italienischen Polizei aufgegriffen. Ihre größte Angst ist nach wie vor, dass der beschworene juju sich ihres Geistes und Körpers bemächtigen könnte.
Im geschäftigen ukrainischen Schwarzmeerhafen Odessa sind junge, gut aussehende Männer traubenweise auf der Jagd. Sie durchkämmen die Diskotheken nach naiven jungen Frauen. Mit List und Charme haut ein solcher „Schönling“ seine Beute von den Socken, indem er sie auf ein Wochenende im Ausland einlädt – nach Istanbul, um seine Familie zu treffen. Kaum dort angekommen, wird sie an einen Bordellbesitzer verkauft. Dieser Märchenprinz-Trick wurde auch von Menschenhändlern adaptiert, die ihre Opfer mit Hilfe von Agenturen umgarnen, die eine Heiratsvermittlung per Briefkontakt anbieten. Da die Zahl der Frauen, die an das Märchen von der aufblühenden Romanze und einem besseren Leben im Westen glauben, unbegrenzt zu sein scheint, ist die Rekrutierung geradezu lächerlich einfach.
Luan Plakici, ein 26-jähriger Flüchtling aus dem Kosovo, ehemals Dolmetscher für einige auf Migrationsangelegenheiten spezialisierte Londoner Anwaltskanzleien, fand bald heraus, dass man im Sexhandel ordentlich verdienen konnte. Kaum hatte er sich die britische Staatsbürgerschaft gesichert, reiste er nach Moldau, bezirzte eine 16-Jährige, heiratete sie und brachte sie nach Großbritannien. Noch während der Flitterwochen ließ er sie arbeiten, wobei sie ein halbes Dutzend Kunden zu bedienen hatte. Im ersten Jahr ihrer Ehe zwang er seine junge Frau zu zwei Abtreibungen. Bereits am jeweils nächsten Tag musste sie wieder arbeiten. Plakici wurde schließlich verhaftet, angeklagt, in sieben Punkten des Menschenhandels schuldig gesprochen und zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt.
Gerettete Frauen und Mädchen erzählen immer wieder von vertrauenswürdigen Personen in respektablen Positionen, die ihren Einfluss benutzten, um Ahnungslose hereinzulegen. Etwa eine Ärztin aus der Ukraine, die beschloss, ihre Heimat zu verlassen und ihren Beruf auf „grüneren Weiden“ auszuüben, nämlich im britischen Essex. Aber das viele Geld, das Dr. Oksana Ryniekska zu verdienen hoffte, ließ auf sich warten. Also dachte sie sich einen Plan aus. Die 26-Jährige wurde Menschenhändlerin. Anstatt einer Klinik gründete sie ein Bordell, über einer chemischen Putzerei, und schaffte dazu neun junge Frauen aus ihrer Heimat herbei. Ihren Opfern erzählte Ryniekska, sie würde ihnen Visas besorgen, damit sie Englisch lernen könnten. Aber das einzige Englisch, das sie lernten, war die nötige sexuelle Terminologie, um den stetigen Strom von Freiern verstehen und bedienen zu können. In nur acht Monaten hatte die Ärztin mehr als 210.000 Dollar abgesahnt, bis ihr im Rahmen einer verdeckten Ermittlung das Handwerk gelegt wurde. Sie wurde wegen Menschenhandels zu drei Monaten Haft verurteilt und dann abgeschoben.
Im Labyrinth des Sexhandels treffen Opfer immer wieder auf Leute, die eigentlich auf ihrer Seite stehen sollten – die Polizei. Aber in Ländern wie Griechenland und Israel ist die Polizei mittlerweile selbst am Geschäft beteiligt.
Im bürgerkriegsgeplagten Bosnien-Herzegowina wiederum sollten UN-Soldaten Frieden und Ordnung schaffen. Die Ankunft zehntausender „Peacekeeper“ aus den USA, Kanada, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien und Russland – der Großteil mit Testosteron geladene junge Männer – brachte die lokalen kriminellen Gruppen auf Hochtouren. Sie verlegten sich auf den Sexhandel und begannen, tausende junge Frauen aus Rumänien, Moldau und der Ukraine zu importieren.
Auch die International Police Task Force (IPTF) der UNO wurde mit hunderten Polizeikräften verschiedener Staatsangehörigkeit besetzt, darunter auch David Lamb, ein Polizeibeamter aus Philadelphia. Bei der Befragung einer Gruppe junger Rumäninnen, die bei einer Razzia in einem Bordell befreit wurden, erfuhr Lamb, dass einige rumänische Polizisten, Angehörige der IPTF, direkt in die Anwerbung, den Handel, Schmuggel und Verkauf dieser Frauen an lokale Bordelle verwickelt waren. Lamb erstattete Bericht, aber anstatt der erwarteten Unterstützung durch führende UN-Funktionäre erhielt er Morddrohungen, und seine Untersuchung wurde abgewürgt. Bald danach wurde Lamb entlassen, und seine Untersuchung verfing sich im Dickicht der UN-Bürokratie. Menschenhändler – und auch ihre KomplizInnen – gibt es tatsächlich in allen Formen, Größen und Verkleidungen.
Copyright New InternationalistDie Artikel dieses Themas wurden zuerst im Monatsmagazin „New Internationalist“ (Ausgabe 404, September 2007) veröffentlicht. Wir danken den KollegInnen in Oxford für die gute Zusammenarbeit. Der „New Internationalist“ kann unter der Adresse: Tower House, Lathkill Street, Market Harborough, Leicestershire LE16 9EF, England, U.K., bezogen werden. (Jahresabonnement: 37,85 Pfund; Telefon 0044/171/82 28 99).
www.newint.orgRedaktionelle Bearbeitung und Kürzung der Artikel: Irmgard Kirchner. Übersetzung: Robert Poth.