Ich hab ihm so oft gesagt, er soll es sein lassen. Es ist das Risiko nicht wert“, sagt Madelina Fernandez. Die kleine kräftige Frau knetet ihre Hände beim Reden, wenn sie sich nicht gerade an der pinkfarbenen Tasche festhält, die auf ihrem Schoß steht. Sie hätten doch immer genug zu essen gehabt. Bis heute versteht sie nicht, warum sich ihr Sohn als Bauerngewerkschafter bei den Großgrundbesitzern unbeliebt gemacht hat. Die hätten nun mal die Macht hier auf Negros. Doch Mario hat immer nur gesagt: „Wir haben zwar genug zu essen, Mama, aber viele andere nicht. Die brauchen mich da.“ Als Mario vor zwei Jahren erschossen wurde, war er 22. Seine Mörder hatten sich im mannshohen Dickicht der Zuckerplantage versteckt, wo Mario gerade mit Bauern eine Demonstration vorbereitete.
Mario ist einer von Hunderten, die in den vergangenen Jahren Opfer einer so genannten extralegalen Hinrichtung wurden. Vor allem linke AktivistInnen bezahlen ihr Engagement häufig mit dem Leben. Amnesty international kritisiert seit langem die „politisch motivierten Muster von Morden“ im Zusammenhang mit dem Vernichtungskrieg, den die philippinische Regierung gegen die maoistische New Peoples Army (NPA) führt. Die NPA kämpft seit 1969 mit Waffengewalt für die kommunistische Revolution. Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo will die Guerilla bis Ende 2008 zerschlagen und hat weit reichende Anti-Terror-Gesetze erlassen. Seitdem stehen nicht nur die Guerilleros auf der Abschussliste der Sicherheitskräfte.
Mehr als 850 politische Morde seit Arroyos Amtsantritt 2001 hat die Menschenrechtsorganisation Karapatan gezählt. Der UN-Sonderberichterstatter für extralegale Hinrichtungen, Philip Alston, fand bei seinen Recherchen im Februar ebenso Hinweise auf eine Beteiligung der Militärs wie eine von der Regierung eingesetzte Kommission. „Manchmal machen Soldaten Sachen im Alleingang, aber niemand tötet einfach so aus Spaß“, bestreitet Raymundo Ferrer, Generalmajor der philippinischen Armee, den Vorwurf, dass hinter den Morden System stecke. Warum dann so viele Linke unter den Opfern seien? „Weil so viele von ihnen mit der NPA zusammenarbeiten“, erläutert der Generalmajor seine Sicht der Dinge. Ferrer gilt als vergleichsweise liberal.
„Hazienda-Demokratie“ werden die Philippinen gern genannt. Auf der Zuckerinsel Negros werden die feudalen Strukturen des Landes wie unter einem Brennglas deutlich. Seit der Kolonialzeit ist Negros durch die Zucker-Monokultur geprägt. An den Besitzverhältnissen hat sich seitdem wenig geändert. Die riesigen Haziendas, von denen mehr als die Hälfte der philippinischen Zuckerproduktion stammt, sind in der Hand weniger alteingesessener Familien. Wer hier, wie Mario, Gewerkschafter wird, lebt gefährlich. 16 Morde und vier Entführungen hat Karapatan auf Negros gezählt. „Neun der Toten gehörten zur National Federation of Sugar Workers, Food and General Traders (NFSW)“, sagt Fred Caña, Vorsitzender von Karapatan auf Negros. Der letzte starb im September 2006 nach einer Protestdemo. Zwei Männer auf einem vorbeifahrenden Moped feuerten 22 Schüsse auf ihn ab. „Das Muster ist immer dasselbe“, so Caña, „es geht darum, ein Klima der Angst zu verbreiten.“ Von den Mördern fehlt jede Spur. Sicherheitskräfte? Auftragsmörder? Oder beides? In einem Land, wo es keine Waffenkontrolle gibt und die höchste Korruptionsrate Asiens sich äußerst lähmend auf Ermittlungen auswirkt, sind Antworten auf diese Fragen kaum zu bekommen.
Auf Negros, einer der größten Inseln der Philippinen, wächst das Zuckerrohr, so weit das Auge reicht. Fünf Kilometer nördlich von Bacolod, der Hauptstadt des Westteils der Insel, erstreckt sich malerisch am Fuße des Mandalagan-Berges ein 100 Hektar großer Besitz mit dem klangvollen Namen Hazienda Santa Maria. Sie gehört Regina Lacson-Santos, einem Sprössling der Lacson-Familie, der seit mehr als 100 Jahren riesige Ländereien auf Negros gehören. Nicht mehr lange, ginge es nach Sunny Britannico. Der drahtige Mann, dessen staubige Füße in Gummischlappen stecken, hat ein Stück eigenes Land beantragt. Einer 1988 verabschiedeten Landreform zufolge hat er das Recht dazu. Doch die Umsetzung verläuft schleppend.
Sunny arbeitet als Tagelöhner für die Lacsons, so wie alle BewohnerInnen dieser Ansammlung von Hütten, die so klein ist, dass sie nicht einmal einen Namen hat. „Nach der Grundschule ist Schluss für unsere Kinder“, klagt der 52-jährige fünffache Vater. „Wir sind schon froh, dass es zum Essen für alle reicht.“ Immer wieder sind die Tagelöhner auf Negros von Unterernährung bedroht. Denn nur in der Erntezeit, von November bis Jänner, gibt es täglich Arbeit auf der Zuckerplantage. Im Moment braucht man sie dort nur an ein bis zwei Tagen pro Woche. Und auch nur dann gibt es Geld, 148 Peso am Tag, das sind 2,30 Euro. Muss einer von ihnen zum Arzt, sind sie auf Kredite von ihrer Arbeitgeberin angewiesen, die sie dann mühsam wieder abstottern müssen.
Seit sieben Jahren läuft ihr Antrag auf ein Stückchen eigenes Land. Bekommen sie es, wollen sie eine Kooperative gründen. „Ich bin sicher, dass wir eines Tages ein Stück eigenes Land haben werden“, sagt Sunny. Sorgen um Leib und Leben macht er sich nicht. Noch nicht. Noch sei ja nichts passiert, sagt er und lacht. „Brenzlig wird es ja erst, wenn wir das Land zugesprochen bekommen.“ Auf anderen Farmen wurden bereits erbitterte Kämpfe ausgefochten zwischen den Bauern, die Land überschrieben bekamen, und jenen, die sich auf die Seite der Großgrundbesitzer schlugen und von ihnen bewaffnet wurden.
In Sunnys kleiner Siedlung haben sich von 38 Bauern 14 um Land beworben. Sie sitzen mit John Milton Lozande zusammen vor ihren Hütten. Der 38-jährige Generalsekretär der NFSW schaut einmal im Monat persönlich vorbei. John war früher Maschinist bei Victoria Milling, der größten Zuckermühle der Insel. Als er begann, die ArbeiterInnen dort zu organisieren, damit sie gemeinsam ihre Rechte durchsetzen, flog er raus. „Du stehst auf der Liste“, bekam er als Botschaft per SMS. Und: „Hör auf, sonst passiert was.“
Auch Felicidad Katalbas hat Bauern im Kampf um eigenes Land unterstützt. Am 25. Jänner wurde die Mitarbeiterin des Negros Rural Assistance Program zum letzten Mal gesehen. Um vier Uhr morgens stand die 53-Jährige an einer Bushaltestelle, als ein silberner Transporter vor ihr anhielt. Mehrere Männer zerrten sie hinein und brausten davon. Über informelle Kanäle – eine Verwandte ist mit einem Geheimdienstoffizier verheiratet – erhielt ihre Familie die Nachricht, dass Soldaten Katalbas verschleppt haben. Der Grund: Sie sei Mitglied der NPA.
Der Fall Katalbas ist einer von vielen in der langen Liste, die der Vorsitzende des lokalen Büros der staatlichen Menschenrechtskommission, Romeo A. Baldevarona, in seinen Händen hält. In seinem Großraumbüro in Bacolod lassen die blauen Stoffvorhänge kaum Sonnenlicht durch. 14 Büros wie das seine gibt es im ganzen Land. Sie tragen Einzelheiten zu den Fällen zusammen und geben sie an die Justiz weiter. Warum die Täter nie zur Verantwortung gezogen werden? „Korruption“, sagt Baldevarona. Er redet sich in Rage. Es sei frustrierend, dass sie nicht mehr tun könnten, als Informationen zu sammeln. Eine von Präsidentin Arroyo auf internationalen Druck eingerichtete Kommission habe zwar Sondergerichtshöfe auf den Weg gebracht. Auch auf Negros wurde einer eingerichtet. Baldevarona macht sich jedoch keine Illusionen, dass damit Menschenrechtsverstöße aufgearbeitet würden. „Ein großes Versagen“ nennt er das Vorgehen seiner Regierung. Auch Human Rights Watch wirft der philippinischen Regierung in dem unlängst erschienenen Bericht „Scared Silent: Impunity for Extrajudicial Killings in the Philippines“ vor, ihre Verpflichtungen gemäß internationalen Menschenrechtskonventionen nicht erfüllt zu haben. Im Bericht sind zahlreiche Einzelfälle dokumentiert, aus denen klar wird, dass Überlebende und Zeugen aus schierer Angst vor weiterer Gewalt niemals aussagen würden, was sie erlebt haben.
Als im Februar der UN-Sonderberichterstatter die Mordfälle untersuchte, hatte er unter anderem mit der 56-jährigen Zeugin Siche Bustamante-Gandinao gesprochen. Drei Wochen nach dem Alston-Besuch wurde Siche vor den Augen ihrer Familie erschossen. „Solange es kein wirksames Zeugenschutzprogramm gibt, wird niemand aussagen“, bestätigt auch Baldevarona. Dennoch prüft die Europäische Union, wie sie den Philippinen mit Technik und Personal beim Ermitteln helfen kann. Baldevarona begrüßt das sehr. Seine acht MitarbeiterInnen teilen sich zwei Computer und einen elf Jahre alten Suzuki.
Nur wenig Hoffnung: Vor und während der Parlamentswahlen im Mai hat sich die Gewalt noch einmal verstärkt. So kamen allein am Wahltag bei gewaltsamen Zwischenfällen sieben Menschen ums Leben. „Dass nicht noch mehr gemordet wurde, verdanken wir allein der internationalen Aufmerksamkeit“, sagt Edgar Cadagat. Der 63-Jährige führt auf Negros die Geschäfte des Journalistenverbandes. Der Kampf der Bauern um Land und gegen jene, denen es gehört, beschäftigt ihn und seine KollegInnen seit Jahrzehnten. „Gouverneure, Bürgermeister, Großgrundbesitzer – jeder hat hier seine eigene Miliz.“ Selbst wenn die Präsidentin wollte, könne sie die Mordfälle nicht aufklären“, sagt Cadagat. „Dafür hat sie das Militär viel zu wenig im Griff.“ Nach den Wahlen hat zwar nun die Opposition im Senat die Oberhand, doch die Regierung behauptete ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus. In einem von einer Oligarchie beherrschten Land wie den Philippinen brächten Wahlen ohnehin keine veränderten Verhältnisse, sagt Cadagat frustriert: „Unsere Regierung und die Opposition sind wie Pepsi und Coca-Cola. Keiner von ihnen will das System wirklich verändern. Sie kämpfen nur um den größeren Marktanteil.“