Von Nachbarn zu Feinden

Von Peter Böhm · · 2007/03

Seit November häufen sich im Osten von Tschad Überfälle arabischer Milizen auf Dörfer nach dem selben Muster wie in Darfur. Indizien weisen darauf hin, dass sudanische Janjaweed beteiligt sind. Neben den Flüchtlingen aus Sudan suchen nun auch tschadische Vertriebene Schutz in den UNHCR-Lagern der Region. Eine Reportage aus Koukou-Angarana.

Ashta Shaibu (Name von der Red. geändert) ist seltsam gefasst. Vor ein paar Tagen wurde sie vergewaltigt, aber sie scheint dies hinzunehmen wie den Wind oder den Regen – etwas das sie nicht ändern kann, auf das sie keinen Einfluss hat.
Doch zurück zum Tag, an dem ihre Tragödie begann. Mitte Dezember wurde Shaibus Dorf Aradip, im Osten von Tschad, rund 50 Kilometer südöstlich der kleinen Stadt Goz Beida gelegen, von einer gut bewaffneten arabischen Miliz überfallen. Viele der 1.500 DorfbewohnerInnen konnten fliehen. Der Teil des Dorfes, der an der Straße lag, wurde jedoch völlig niedergebrannt, die Ernte zerstört und das Vieh der BewohnerInnen gestohlen.
Die Angriffe auf Aradip und das Städtchen Koukou-Angarana, 800 Kilometer östlich der tschadischen Hauptstadt N’Djamena und rund 80 km westlich der Grenze zu Sudan, waren der vorläufige Höhepunkt einer regelrechten Kampagne von ethnischen Vertreibungen und Ermordungen, die im Osten von Tschad seit November 2006 um sich greift. Mehr als 300 Menschen wurden nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR dabei getötet, fast 100.000 Menschen mussten ihre Dörfer verlassen.
Eine Vielzahl von Indizien weist darauf hin, dass die Janjaweed, jene sudanischen Mörderbanden, die für einen Großteil der Gewalt in Darfur verantwortlich zeichnen, nun ihr Unwesen im Nachbarland Tschad treiben.

Wie die anderen AugenzeugInnen der Angriffe macht die 28-jährige Shaibu „Araber“ für den Überfall verantwortlich: Solche aus dem arabischen Teil des Dorfes Aradip seien dabei gewesen, aber auch welche in Uniformen, die jenen der sudanischen Armee glichen. Wie viele andere DorfbewohnerInnen floh Shaibu nach dem ersten Überfall durch die rund 200 mit modernen Waffen ausgerüsteten Angreifer ins nahe gelegene Flüchtlingslager Goz Amir. Dort sind mehr als 18.000 Flüchtlinge aus Darfur untergebracht. Die Vertriebene hatte jedoch keine Vorräte, und ihre vier Kinder hatten Hunger. Zusammen mit sieben anderen Frauen stahl sie sich am Nachmittag des nächsten Tages aus dem Lager, um etwas Mais auf ihrem Feld zu ernten. Dort wurden sie von vier Männern, zwei in Uniform, zwei zivil, gestellt. Der Reihe nach vergewaltigten sie die sieben jungen Frauen der Gruppe, sagt Shaibu. Das erzählt sie ein paar Tage darauf im Flüchtlingslager Goz Amir ohne merkliche Emotion oder wahrnehmbare Rachegefühle.
Die Motivation für die Gewalt, glaubt sie, sei, „dass die Araber uns Schwarze aus der Gegend vertreiben wollen“. Was hält sie von den augenblicklichen Vorbereitungen für eine Versöhnungskonferenz zwischen den Arabern und den ethnischen Gruppen, die sich selbst als „Afrikaner“ bezeichnen – was auf eine Straflosigkeit der Angreifer hinauslaufen würde? „Frauen mischen sich in solche Fragen nicht ein. Das müssen die Männer entscheiden.“

Außer Aradip wurden noch zwei andere Dörfer und die Vertriebenenlager am Rand Koukou-Angaranas überfallen, einen Tag darauf auch das Flüchtlingslager Goz Amir, das sich direkt an Aradip anschließt. Die Angreifer, sagen AugenzeugInnen des Überfalls, wurden von den tschadischen Gendarmen, die das Lager bewachen, zurückgeschlagen. Nur acht Flüchtlinge, die es nicht rechtzeitig geschafft hatten, sich ins Lager in Sicherheit zu bringen, wurden erschossen.
Laut UNHCR-Version fand jedoch kein direkter Angriff auf das Flüchtlingslager statt, es habe lediglich Gefechte in seiner Nähe gegeben. Die acht Flüchtlinge, sagt die UNHCR-Sprecherin in Tschad, Hélène Caux, seien von Scharfschützen aus Bäumen vor dem Lager erschossen worden. „Einen direkten Angriff auf das Lager hat es nicht gegeben.“
Stellvertretend für viele AugenzeugInnen in Goz Amir widerspricht dem allerdings Amni Tarhile, selbst Flüchtling und Mitglied des Sicherheitsdienstes im Lager: „Natürlich haben die Araber das Lager direkt angegriffen. Sie sind nur nicht hereingekommen, weil sie von den Gendarmen zurückgeschlagen wurden. Das kann Ihnen hier jeder bestätigen.“ Bei einigen getöteten Angreifern, sagt Tarhile, seien Dokumente gefunden worden, die darauf hindeuten, dass sie Mitglieder der sudanischen Armee bzw. sudanischer Regierungsmilizen waren. Das wird vom Verwaltungschef des Kreises von Koukou-Angarana, Bourdami Abdurahman, bestätigt.
Beim turnusmäßigen Besuch des UNHCR-Chefs António Guterres Ende Dezember in Goz Amir säumten tausende Flüchtlinge die Zugangsstraße zum Lager und forderten ihre Verlegung an einen Ort, wo sie vor Angriffen arabischer Milizen sicher wären. Die tschadische Regierung hatte schon Anfang Dezember gefordert, alle zwölf Lager mit insgesamt 232.000 Flüchtlingen aus Darfur von der sudanischen Grenze weg ins Landesinnere zu verlegen. Die Statuten des UNHCR sehen vor, dass Lager nicht näher als 50 Kilometer an den Grenzen zum Herkunftsland liegen sollen. Die Hälfte der Lager im Tschad erfüllt diese Auflage nicht. Eine Delegation des UNHCR begutachtete im Dezember eine von der tschadischen Regierung vorgeschlagene Stelle in der Wüste nordöstlich der Hauptstadt N’Djamena, um festzustellen, ob es dort genügend Wasser für alle Flüchtlinge gäbe. Ein Ergebnis steht noch aus, aber es gibt eine Vielzahl unbeantworteter Fragen über den Sinn und die Finanzierbarkeit eines solchen Umzuges, so dass es wahrscheinlich nie dazu kommen wird.

Die Überfälle in der Region von Koukou-Angarana wurden von den Angreifern lange vorher angekündigt. Und sie werden aller Voraussicht nach völlig straffrei ausgehen. Bis zu diesen Angriffen Mitte Dezember hatte die tschadische Armee nichts Erwähnenswertes unternommen, um die ethnischen Säuberungen zu verhindern. Erst als sie die Angriffe tschadischer Rebellen in der Region um Abesche, rund 400 Kilometer weiter nördlich, zurückgeschlagen hatte, verlegte die tschadische Regierung Truppen in die Region von Koukou-Angarana.
Warnungen hat es jedoch schon zuvor zuhauf gegeben. „Wenn wir unsere Tiere am Wadi getränkt haben, haben uns die Araber aus unserem Dorf schon vor einigen Wochen gewarnt“, berichtet Abdurasik Ahmed, „dass sie sudanische Janjaweed angeheuert haben, die uns angreifen werden.“ Einige Tage nach dem Angriff, fährt der Dorfchef von Aradip fort, hätten sie weitere Nachrichten von dort bekommen mit dem Wortlaut: „Die Armee kann nicht ewig hier stationiert bleiben. Wenn sie abziehen, werden wir unsere Arbeit zu Ende bringen.“
Das mag sich wie Gräuelpropaganda anhören, gewinnt aber an Glaubwürdigkeit dadurch, dass die Araber und die ethnischen Gruppen, die sich selbst Afrikaner nennen – wie die Dadjo und Massalit – im Osten des Tschad sehr eng zusammenleben. Dabei erscheint die Unterscheidung oft willkürlich. Viele Clans innerhalb der regionalen Volksgruppen, wie den Mimi oder den Ouddai, bezeichnen sich je nach Bedarf als Araber oder als Afrikaner. Sie alle haben die Sprache Arabisch und die Religion Islam gemein. Konflikte entstanden und entstehen vor allem daraus, dass die Araber traditionell als halbnomadische Viehhirten gelebt haben, die Afrikaner jedoch als sesshafte Bauern.

Besuch im arabischen Teil Aradips vier Tage nach den Überfällen: Ein paar der BewohnerInnen sind gerade wieder in ihre Hütten zurückgekehrt. Während der Angriffe hatten sie das Dorf verlassen. Anders als im afrikanischen Teil blieben jedoch all ihre Hütten unversehrt. Dass sie sich selbst am Überfall auf den afrikanischen Teil Aradips beteiligt hätten, sei eine Lüge ihrer Nachbarn, sagt der stellvertretende Dorfchef Moussa Hasabi. Sie hätten selbst vor der Gewalt fliehen müssen. Auslöser für die Auseinandersetzungen, behauptet er, waren die Tora Boros – sudanische Rebellen und die afrikanischen Milizen, die sie im Osten des Tschad ausgebildet haben: „Sie haben von Arabern aus einem Dorf in der Nähe eine Kuh gestohlen, und als die sie zurückholen wollten, haben die sudanischen Rebellen geschossen.“
Eine Woche nach den Überfällen luden die tschadischen Behörden die Vertreter der Araber in der Region zu einer Versöhnungskonferenz nach Koukou-Angarana. „Wir versuchen das Unmögliche“, sagt Abdel Bourdami, der traditionelle Chef der Region, der das Treffen leitet. „Die arabischen Vertreter haben schon zweimal auf den Koran geschworen, dass sie in Zukunft den Frieden halten werden, sich aber nicht daran gehalten.“ Auf den Einwand, eine Versöhnung würde bedeuten, dass die Angreifer straffrei davonkommen würden, sagt er: „Was sollen wir denn machen? Wer sollte sie bestrafen?“

Peter Böhm war von 1997 bis 2000 Ost- und Zentralafrika-Korrespondent der tageszeitung (taz) in Nairobi. Zurzeit lebt er als freier Autor in Berlin.

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