Doha hin, Doha her: Die Regulierung des Welthandels „im Interesse der Konzerne“ ist im Wesentlichen unter Dach und Fach. Allerdings stammen diese Konzerne zunehmend aus dem Süden, was nicht unbedingt vorgesehen war.
Als WTO-Generaldirektor Pascal Lamy Ende Juli die „Aussetzung“ der Doha-Runde bekanntgab, folgten teils hämische Kommentare aus dem globalisierungskritischen Lager, während in liberalen Magazinen wie dem britischen Economist Krokodilstränen für afrikanische Baumwollbauern vergossen wurden. Die Reaktion der Finanzmärkte war allerdings gleich Null. Kein Wunder: Der wirtschaftliche Wert der mit der Doha-Runde angestrebten Liberalisierung des Welthandels ist eher gering, und aus Sicht der großen transnationalen Konzerne ist an den aktuellen WTO-Regeln wenig auszusetzen. Ihre Ziele, Zugang zu den großen Wachstumsmärkten im Süden ohne Diskriminierung sowie und Schutz ihres geistigen Eigentums (Marken, Patente etc.), sind im Großen und Ganzen erreicht. Der letzte wesentliche Schritt war der WTO-Beitritt Chinas 2001.
Genau diese „Gleichbehandlung“ wird in der Regel als Katastrophenrezept betrachtet, zumal für Entwicklungsländer: Bedenkt man die technologische Überlegenheit, die etablierten Marken und die Erfahrung der „alteingesessenen“ Multis aus dem Norden und der „Newcomer“ aus Südkorea, Taiwan oder Hongkong, erscheint das Ergebnis vorprogrammiert. Die Märkte im Süden, einmal geöffnet, würden im Sturm erobert, die inländische Konkurrenz aufgekauft oder ausradiert.
Sicher ist seit Beginn der wirtschaftlichen Liberalisierung insbesondere in Afrika südlich der Sahara und Teilen Lateinamerikas eine schleichende Deindustrialisierung zu beobachten. Aber gerade in den großen Märkten, auf die es ankommt, ist dieses Szenario bisher nicht eingetreten. Und es gibt Anzeichen, dass die Liberalisierung keine Einbahnstraße sein muss – und neue Konkurrenz, insbesondere aus Asien, sich in den Märkten des Nordens breit machen kann: Das neue, liberalisierte Umfeld lässt also durchaus Chancen offen.
Jedenfalls für jene Unternehmen, die bereits zuvor eine „kritische Masse“ erreicht haben, zur Zeit des Zollschutzes und der staatlichen Industrialisierungspolitik. Dazu gehören die ehemals (oder nach wie vor) staatlichen Giganten der Entwicklungsländer, etwa Energiekonzerne und Stromversorger, die derzeit, rasches Wirtschaftswachstum sei Dank, in den Rangordnungen der umsatzstärksten Unternehmen der Welt nach oben klettern. Auch Unternehmen wie der mexikanische Zementriese Cemex (Umsatzwachstum 2005: 88%) oder der brasilianische Bergbaukonzern CVRD (Umsatzwachstum zuletzt 45%) florieren, ebenso große indische Mischkonzerne wie die Tata Group oder Birla.
In manchen Märkten haben Unternehmen aus dem Süden sogar die Nase vorn – etwa der brasilianische Flugzeughersteller Embraer, der seinen kanadischen Konkurrenten Bombardier bereits überholt hat – oder expandieren international wie der indische Konzern Mahindra & Mahindra (u.a. Traktoren). Dass ein indisches Unternehmen wie Suzlon zu den Top-10 der Windenergiebranche gehört und bei Windturbinen weltweit die Nr. 5 ist (jährliches Umsatzwachstum im letzten Berichtsquartal: 300%!), mag ebenfalls überraschen.
Gerade in rasch wachsenden Dienstleistungsbranchen entstehen im Süden neue Giganten: China Mobile Communications hat etwa 150 Mio. Kunden (inkl. WertkartenbenutzerInnen), America Móvil (v.a. Lateinamerika) mehr als 100 Mio., und die in zahlreichen Ländern vertretene ägyptische Orascom ist mit 35 Mio. Kunden auch kein Zwerg. Beeindruckend auch der rasante Aufstieg der indischen IT-Unternehmen Infosys, Wipro und Tata Consultancy oder des chinesischen Telekom-Ausrüsters Huawei (Umsatzplus zuletzt 50%), die vor allem über das Outsourcing-Modell westlicher Multis ins Geschäft kamen und eine derart steile „Lernkurve“ aufweisen, dass sie nun selbst zu weltweiten Akteuren wurden.
Konkurrenz gerade in der IT-Branche geht „ans Eingemachte“ der reichen Länder – ihren Vorsprung in Spitzentechnologien und wissensintensiven Industrien. Etliche einschlägige „Schlachten“ werden derzeit in China ausgefochten, zwischen inländischen Mobiltelefonherstellern und der ausländischen Konkurrenz wie Nokia und Motorola oder am Markt für Desktop-PCs, wo derzeit die chinesische Lenovo (bekannt durch die Übernahme der PC-Sparte von IBM) mit einem Marktanteil von 35% dominiert.
Klar, die Pharmabranche ist weiter eine Domäne der reichen Länder, und welche Innovationskraft indische Generikahersteller wie Ranbaxy in Zukunft entwickeln, bleibt abzuwarten. Auch „Weltmarken“ im Bereich der Konsumgüterproduktion hat der Süden noch kaum hervorgebracht, auch wenn manche glauben, der weltweit präsente Haushaltsgerätehersteller Haier aus China befinde sich am besten Weg dazu. Ob der Norden das mit der Liberalisierung verfolgte Ziel erreichen wird – Absicherung der weltweiten wirtschaftlichen Vorherrschaft – ist jedoch noch lange nicht ausgemacht.