Arbeit, Schläge und Hunger

Von Ludwig Laher · · 2006/07

Rosa Winter war eine Sinti-Frau aus Oberösterreich. 82-jährig ist sie im Frühjahr 2005 gestorben. Mit 16 Jahren wurde sie im Sammellager Maxglan/Salzburg interniert und später ins KZ Ravensbrück deportiert. Ihre Lebensgeschichte hat sie dem Historiker Ludwig Laher erzählt.

In Ravensbrück haben alle gleich ausgeschaut. Kaum daß ich angekommen bin, haben welche geschrien: „Bist du auch da!“ Aber ich hab‘ niemand erkannt, alle haben Glatzen gehabt, dasselbe gestreifte Gewand. Überhaupt, so viele Jahre war ich in Ravensbrück, aber ausgekannt habe ich mich nicht recht in dem Riesenlager. Das war wie eine große Stadt.
Die Sinti waren zusammengesperrt in einem Block, Politische, Juden, Berufsverbrecher und so weiter auch je in einem Block, aber arbeiten haben wir müssen mit allen. Juden und Zigeuner waren im Konzentrationslager auf einer Stufe. (…)
Wir haben nicht mehr damit gerechnet, daß wir lebendig hinauskommen. Schon beim Reinkommen, wie sie uns die Haare weggeschnitten haben. Geträumt habe ich von einem Brot, das nie zu Ende geht, sattessen, dann drei Tage schlafen und dann sterben. In einer einzigen Baracke haben in jedem Flügel 400 Frauen gelebt, 800 insgesamt. Die Leute sind von Schlägen und vom Hunger gestorben. Zwei kleine Kartoffeln hast du gekriegt, wenn du ein Pech gehabt hast, war eine verfault, aber die hast du trotzdem gegessen, das Kraut haben sie als ganzes gekocht, das Weißkraut, und gekriegt hast du nur ein Blattel und einen Schöpfer Wasser drauf, am nächsten Tag hast du was von einer gekochten Zuckerrübe gekriegt. Im Winter hat der ganze Block einmal strafweise stehen müssen, geschnieben hat es, was gegangen ist, von der Früh bis um vier am Nachmittag haben wir stehen müssen, aber ohne Gewand, jung und alt. Da war meine Schwester noch bei mir, viele sind dann natürlich krank geworden, ins Revier gekommen und nicht mehr zurück. Zwei außer mir leben noch, die das mitgemacht haben, glaube ich.

Dann haben sie uns mit einem Gartenschlauch angespritzt, mit eiskaltem Wasser zuerst, da ist die Haut geplatzt, die Leute haben geschrien, und dann erst haben wir warmes Wasser gekriegt. Viele sind da schon liegen geblieben, aber ich habe nicht einmal einen Schnupfen gekriegt, ich weiß nicht wieso. (…)
Ich war immer im Außenkommando. Schwer arbeiten haben wir müssen, Straßen bauen. Viel Hunger, viele Schläge. Mit der vielen Arbeit, mit dem vielen Hunger und mit den vielen Schlägen haben sie dich moralisch umgebracht. Und wenn du tot warst, hinein in den Ofen. Kilometersteine haben wir ausgegraben und Pflastersteine. Eine Vorarbeiterin, die von den Zigeunern war, hat manchmal gesagt, ihr dürft’s euch ein bissel ausrasten. Sie hat aufgepaßt, ob eine Beamtin gekommen ist. Aber im Winter hast du freiwillig durchgearbeitet, so schnell wie möglich, weil sonst wärst du erfroren. (…)
Alle Geschwister und die Mutter sind vergast worden. wenn sie nicht schon vorher gestorben sind. Wir haben das dann rekonstruiert, von meiner Familie, die Geschwister von meiner Mutter und von meinem Vater und so weiter, da sind wir auf fast dreihundert Personen gekommen. Drei haben insgesamt überlebt, zwei Cousins und ich.

Der Textauszug stammt aus dem Buch von Ludwig Laher (Hg.) „Uns hat es nicht geben sollen. Rosa Winter, Gitta und Nicole Martl. Drei Generationen Sinti-Frauen erzählen“ – siehe Zum Weiterlesen, Seite 44.

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