Der autokratisch herrschende König Gyanendra hat – allerdings unbeabsichtigt – in Nepal Unglaubliches geleistet: er hat die seit vielen Jahren zerstrittenen Oppositionsparteien geeint und die „Mao“-Rebellen ins politische Leben zurückgeholt.
Kathmandu, 16. Juni 2006. Die regierende Sieben-Parteien-Allianz und die maoistischen Rebellen haben eine Vereinbarung getroffen, die das Ende des seit zehn Jahren andauernden blutigen Konflikts bedeuten könnte. Die acht Punkte des Abkommens sehen unter anderem eine Beteiligung der Aufständischen an der Interimsregierung und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung vor. Die Unterzeichner verpflichten sich unter anderem zu demokratischen Werten und Normen, Bürger- und Menschenrechten, der Pressefreiheit und einem Mehrparteiensystem. Die Vereinten Nationen sollen den Friedens- und den Wahlprozess für eine Verfassunggebende Versammlung überwachen. Erst danach wollen die Rebellen ihre Waffen abgeben. Inzwischen herrscht Waffenstillstand.
Vorausgegangen war eine landesweite Protestwelle, die zur weitgehenden Entmachtung des Königs geführt hatte. König Gyanendra hatte im April unter dem Eindruck von Massenprotesten einer Wiedereinsetzung des von ihm aufgelösten Parlaments und der Regierung zustimmen müssen. Die Proteste waren von der Sieben-Parteien-Allianz und den Maoisten getragen. Gemeinsamer Nenner war die Opposition zum autokratischen König. Die Interimsregierung aus sechs der sieben Parteien unter Ministerpräsident Girja Prasad Koirala hatte dem unpopulären Monarchen, der nach dem mysteriösen Mord an seinem Bruder im Juni 2001 auf den Thron gelangt war, die Kontrolle über die Armee entzogen. Sein Vetorecht wurde abgeschafft: Gesetze müssen nun nicht mehr durch seine Unterschrift abgesegnet werden. Die entsprechenden neuen Regeln waren vom 205-köpfigen Parlament einstimmig verabschiedet worden.
Eine entscheidende Rolle hatten dabei hinter den Kulissen die Maos gespielt, die große Teile des ländlichen Nepal unter ihrer Kontrolle haben. Der König hatte zunächst nur einer Wiedereinsetzung des Parlaments zugestimmt, nicht aber einer Beschneidung seiner Kompetenzen, und er hatte dieses Zugeständnis mit einer Ausgangssperre und dem Schießbefehl für die Armee verbunden. Als am nächsten Tag trotzdem 200.000 Menschen in Kathmandu auf die Straße gingen und die Armee nicht schoss, war sein politisches Schicksal besiegelt. Wie stark die städtische Basis der Maos ist, zeigte Anfang Juni eine Demonstration ihrer AnhängerInnen zur Unterstützung der Friedensverhandlungen mit der Interimsregierung: Augenzeugen sprachen von 200.000 bis 300.000 Menschen.
Seit die Maos im Jahr 1996 aus dem parlamentarischen Prozess ausgeschert waren und den bewaffneten Kampf aufgenommen hatten, sind mehr als 13.000 Menschen ums Leben gekommen. Das Land blutete aus. Die Rebellen kontrollieren einen großen Teil des flachen Landes, die Regierung einige strategische Regionen und die Städte. Die Bevölkerung war von der seit 1991 praktizierten Demokratie enttäuscht und stand dem bewaffneten Aufstand gegen das als unfähig und korrupt empfundene Parteiensystem zunächst mit gewisser Sympathie gegenüber. Angesichts der Brutalisierung der Kämpfe und der politisch-militärischen Patt-Situation empfand man das Blutvergießen jedoch zunehmend als sinnlos. Zudem gerieten Einheiten der Aufständischen außer Kontrolle und drangsalierten die Bevölkerung mit Zwangsabgaben und anderen Willkürmaßnahmen.
Die Perspektiven für Frieden und Demokratie sind nun so gut wie seit langem nicht mehr, doch es bleibt viel zu tun. Die Vereinbarung muss mit Leben gefüllt werden – auch draußen in den Dörfern. Es steht die Entwaffnung der Rebellen an und die Integration einer Generation von KämpferInnen, die nie etwas anderes gelernt haben als das Kriegshandwerk. Die politischen Parteien müssen zeigen, dass sie aus der Vergangenheit gelernt haben und ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen nun besser gerecht werden.
Nicht zuletzt müssen in dem ausgebluteten Himalaya-Land die strukturellen Ursachen für die Rebellion beseitigt werden. Nepal gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Einziges einigendes Band zwischen den zerstrittenen Parteien war der Kampf gegen den unbeliebten König. Schon gibt es innerhalb der an der Vereinbarung beteiligten Parteien Kritik, etwa an der aufgeschobenen Entwaffnung der Maos. Bemängelt wird außerdem mangelnde innerparteiliche Abstimmung in wichtigen Fragen: So bezüglich der erwähnten Vereinbarung selbst oder die zukünftige Rolle des Königs in der neuen Verfassung betreffend. Insgesamt erscheint der zeitliche Rahmen angesichts der Fülle der Herausforderungen viel zu eng. Andererseits handelt es sich um eine historische Chance, die man nicht verstreichen lassen darf.
Südwind-Mitarbeiter Robert Lessmann besucht seit vielen Jahren regelmäßig das Himalaja-Königreich.