Afrikanische Union, Panafrikanisches Parlament, Neue Partnerschaft für afrikanische Entwicklung (NEPAD) – in den ersten fünf Jahren dieses Jahrhunderts wurden zahlreiche gesamtafrikanische Initiativen gestartet und neue Institutionen geschaffen, die das Gesicht des Kontinents von Grund auf verändern könnten. Parallel dazu gibt sich die EU mit ihrer neuen Afrika-Strategie erstmals ein Programm, das eine gemeinsame EU-Politik gegenüber ganz Afrika vorsieht (s. SWM 4/2006, S. 16). „Panafrikanismus“ und afrikanische Integration haben wieder Konjunktur. In der Zeit der Dekolonisierung Subsahara-Afrikas in den 1950er und 1960er Jahren wurde die Vision von einem geeinten Afrika noch von breiten Schichten der Bevölkerung getragen. Heute wird sie jedoch hauptsächlich auf der Ebene von Staatsmännern und Regierungen verhandelt. Was auch mit dazu beigetragen hat, dass die NEPAD zum Beispiel außerhalb Afrikas bekannter ist als unter den heimischen Bevölkerungen selbst. „Auf internationaler Ebene hat die NEPAD ihr Marketing erhalten“, erklärt David Gakunzi, der für das Nord-Süd-Zentrum des Europarats das Dialogprogramm Afrika-Europa leitet. „Jetzt geht es darum, dafür zu sorgen, dass auch alle Afrikanerinnen und Afrikaner NEPAD kennen.“
Sind afrikanische Parlamente das „missing link“, das die Kommunikation zwischen Führungseliten und Bevölkerung wieder herstellen kann? Zerstört wurde sie durch das Erbe kolonialer Strukturen, durch Machtmissbrauch und Autoritarismus in vielen afrikanischen Staaten. Diese Frage stand Ende Mai im südafrikanischen Kapstadt bei einer internationalen Konferenz im Raum, veranstaltet von der Vereinigung Europäischer ParlamentarierInnen für Afrika (AWEPA) in Kooperation mit der Österreichischen Entwicklungsagentur ADA und dem Nord-Süd-Zentrum des Europarats.
Zu jeder EU-Präsidentschaft veranstaltet AWEPA, eine aus der europäischen Anti-Apartheidbewegung gewachsene Organisation, ein Treffen afrikanischer und europäischer ParlamentarierInnen. Damit will sie zum einen dafür sorgen, dass Afrika-Themen, vor allem im Kontext der NEPAD, auf der politischen Agenda der EU und ihrer Mitgliedsstaaten bleiben. Zum anderen sollen die Partnerschaft auf Parlamentsebene gestärkt und der Austausch sowohl zwischen afrikanischen und europäischen als auch von afrikanischen Abgeordneten untereinander gefördert werden. Die österreichische Präsidentschaft hat dieses Treffen erstmals auf afrikanischen Boden verlegt, ins südafrikanische Kapstadt.
Dort tagten VertreterInnen des NEPAD-Sekretariats, der EU, des Panafrikanischen Parlaments, des Nord-Süd-Zentrums des Europarats, Angehörige afrikanischer und europäischer Forschungszentren sowie zahlreiche Abgeordnete afrikanischer und europäischer Parlamente.
Die neuen afrikanischen Initiativen für Demokratie und Entwicklung waren eines der großen Konferenz-Themen, neben der EU-Afrika-Strategie, der Rolle der neuen Mitgliedsstaaten in der Entwicklungspolitik, der Prävention von HIV/AIDS sowie euro-afrikanischer Partnerschaft auf Parlamentsebene.
Das Podium zu den afrikanischen Initiativen versuchte sich in Überzeugungsarbeit, ParlamentarierInnen mit an Bord zu holen. „Das ist genau das, was wir seit Jahren von unseren politischen Führern fordern“, stellt Litha Musyimi-Ogana, Mitarbeiterin des NEPAD-Sekretariats, die Gründungserklärung der NEPAD vor, in der afrikanische Staatschefs gemeinsam das Versprechen geben, „ihre Länder sowohl einzeln als auch kollektiv auf einen Weg nachhaltigen Wachstums und nachhaltiger Entwicklung zu bringen“, basierend auf der „dringenden Pflicht, Armut vollständig zu beseitigen.“ Damit es kein leeres Versprechen bleibt, sollen sowohl nationale Parlamente als auch das Panafrikanische Parlament die NEPAD in die Pflicht nehmen und regelmäßige Bericht über konkrete Schritte einfordern. „Informiert euch, bringt euch ein – wartet nicht darauf, bis ihr von euren Regierungen in Kenntnis gesetzt oder eingeladen werdet!“, lautet auch der Appell, den David Gakunzi an die ParlamentarierInnen richtet.
Doch auch in der Zusammenarbeit mit Europa sind die ParlamentarierInnen gefordert. Europa, schon bisher größter Geber in Afrika, wird bis 2010 die Auslandshilfe gemäß den Millenniums-Entwicklungszielen (MDGs) um 20 Mrd. Euro pro Jahr auf 0,56 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anheben. Da der Trend zu direkter Budgethilfe geht, braucht es – mehr als bisher – parlamentarische Kontrolle darüber, was mit den Entwicklungsgeldern geschieht. Auch dabei sind die ParlamentarierInnen aufgerufen, selbst initiativ zu werden. Von ihren Regierungen werden sie häufig nicht über die Höhe empfangener Auslandshilfe informiert. Doch veröffentlichen zum Beispiel die Delegationen der EU in Afrika ihre Berichte über den Stand der Durchführung der lokalen Programme im Internet. Bei der Konferenz in Kapstadt boten europäische Abgeordnete ihren afrikanischen KollegInnen an, sich direkt bei ihnen zu informieren.
Für Europas Abgeordnete hingegen sind die großen Themen Kohärenz und faire Handelsbeziehungen. Denn, wie der südafrikanische Abgeordnete Ben Turok ausführt, die in allen Grundsatzdokumenten von EU-Afrika-Strategie bis NEPAD geforderte gute Regierungsführung braucht gute Exporteinnahmen. Und auch Musyimi-Ogana betont: „Die MDGs werden nicht durch Auslandshilfe erreicht, das ist eine Illusion.“
Die Verlagerung der Konferenz nach Afrika wurde immer wieder positiv hervorgehoben – nicht zuletzt auch vom AWEPA-Präsidenten Jan Nico Scholten selbst. Ambivalente Gefühle löste die Auswahl des Nobelhotels „The President“ im europäisch anmutenden Erholungsbezirk Sea Point aus: Wer nur zur Tagung angereist kam und außerhalb von Hotel und unmittelbarer Umgebung nichts von der Stadt und den Townships zu Gesicht bekam, erhielt den Eindruck von Luxus in Afrika. „Gerade Abgeordnete aus neuen EU-Ländern könnten sich leicht denken: So schlecht geht es den Leuten hier doch gar nicht, da sind die Roma bei uns viel ärmer dran“, meint etwa Inge Jäger, Leiterin des Nord-Süd-Instituts Oberösterreich. Und auch eine ugandische Abgeordnete fühlt sich veranlasst, das Bild zurecht zu rücken: „Was Sie hier sehen, ist nicht unsere Wirklichkeit“, erklärt sie vor versammeltem Publikum. „So wie wir hier auftreten – in diesem Hotel, dieser Kleidung – sehen wir nicht aus, wenn wir mit unserer Wählerschaft in den Dörfern reden.“ Dieser Einwand ist umso wichtiger, als es für einige der europäischen, darunter auch österreichischen, Gäste die erste Begegnung mit Afrika südlich der Sahara war.
Es soll nicht die letzte gewesen sein. „ParlamentarierInnen im Nord-Süd-Dialog“ heißt ein Projekt des Österreichischen Nord-Süd-Instituts für Entwicklungszusammenarbeit. Durch Bildungs- und Informationsarbeit sollen die österreichischen Nationalratsabgeordneten für entwicklungspolitische Themen gewonnen und motiviert werden, sich aktiv in die Dynamik europäisch-afrikanischer Beziehungen einzubringen. Eine österreichische AWEPA-Sektion ist im Aufbau. „Es ist schwierig, weil diese Themen bei uns nicht viele interessieren“, resümiert Carina Felzmann, Abgeordnete der ÖVP und Mitglied des außenpolitischen Ausschusses. Sie war mit der österreichischen Delegation in Kapstadt, in der auch SPÖ, ÖVP, Grüne und BZÖ vertreten waren.
Dieser Meinung schließt sich Inge Jäger nicht an und verweist auf die Zuschauerzahlen globalisierungskritischer Dokumentarfilme wie „Darwin’s Nightmare“ und „We feed the World“. „Möglicherweise geht es in Österreich eher darum, Parlamentsabgeordnete mit ins Boot zu holen, in dem große Teile der Bevölkerung schon sind.“