Lateinamerikanische Vorschläge für eine neue Demokratie
Mandelbaum Verlag, Wien 2005, 440 Seiten, EUR 15,80
Ist multikulturelle Autonomie eine Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung? Mit dieser sperrigen Frage beschäftigte sich vier Jahre lang das von der EU gesponserte und vom Ludwig Boltzmann-Institut für zeitgenössische Lateinamerika-Forschung in Wien koordinierte Forschungsprojekt „Latautonomy“. Untersucht wurden zwölf verschiedene Regionen in acht Ländern Zentral- und Südamerikas sowie Katalonien, Tschetschenien und Dagestan in der Russischen Föderation. Beteiligt waren ein Dutzend Forschungsinstitute. Nähere Informationen zum Forschungsprojekt auf www.latautonomy.org.
Das vorliegende Buch präsentiert die Ergebnisse der Feldforschungen und weitergehende Analysen. Ein 600 Seiten starker Band mit den politologischen Studien über die sozio-ökonomischen, juridischen und politischen Rahmenbedingungen der jeweiligen Autonomieprozesse erschien im November in spanischer Sprache in Mexiko; die Beiträge dazu sind aber auf einer interaktiven CD dem Buch beigelegt.
Die Lektüre des 440 Seiten starken Buches ist eine Herausforderung, zumal die einzelnen Beiträge nicht immer perfekt aufeinander abgestimmt sind, was die Suche nach dem roten Faden erschwert. Doch es lohnt sich, die facettenreichen Antworten kennen zu lernen, die die Latautonomy-Forscher rund um die Ausgangsfrage des Projekts geben. Einige Eckpfeiler: Im Zentrum stehen Netzwerke von Gemeinden, deren politische Entscheidungsfindung auf dem Konsensprinzip beruht, bei deren wirtschaftlichem Handeln das Solidaritätsprinzip vor dem Marktprinzip kommt, wo eine mediative Justiz herrscht, die mehr den Ausgleich sucht als Strafe und Nullsummenspiele.
Erarbeitet wurde ein Strukturkonzept von Autonomie, das nicht Modell sein kann und will, sondern „ein Vorschlag Lateinamerikas für andere Weltregionen“, wie Leo Gabriel in seinem Vorwort schreibt. Der Kampf der Völker nicht um unabhängige Nationalstaaten, sondern für ein würdiges und selbstbestimmtes Leben innerhalb von regionalen Autonomieprozessen steht im Mittelpunkt.