Pulitzerpreisträger Jared Diamond beschäftigt sich mit dem Schicksal menschlicher Gesellschaften. Er reist derzeit durch Europa, um sein neues Buch „Kollaps“ vorzustellen. Mit ihm sprach Südwind-Mitarbeiter Robert Lessmann.
Südwind: Warum gehen Gesellschaften unter?
Jared Diamond: Ich habe die Gründe in fünf Kategorien eingeteilt: Umweltschäden, Klimaveränderungen, feindliche Nachbarn, Verlust freundlicher Handelspartner und mangelnde Problemlösungsfähigkeit; die vier ersten können für den Untergang einer Gesellschaft entscheidend sein, der letzte ist es immer.
Wann überleben Gesellschaften?
Sie müssen auf Probleme vorbereitet sein, flexibel und klug reagieren. Wenn es einen natürlichen Klimawandel gibt, heißt das ja nicht, dass man untätig zusehen muss. Und selbstverständlich gilt es, hausgemachte Probleme zu vermeiden. Man sollte dort etwas tun, wo man etwas bewirken kann.
Welche historischen Beispiele gibt es?
Fünfhundert Jahre lang lebten Wikinger an den Fjorden Grönlands von der Landwirtschaft. Dann brachte eine kleine Eiszeit den Ruin, weil sie sich kulturell überlegen fühlten und nicht bereit waren, sich anzupassen. Demgegenüber waren die Inuit mit Jagd und Fischfang erfolgreich. Sie bauten Iglus, um knappes Holz zu sparen und heizten mit Waltran.
Ein Beispiel für einen selbst gemachten Kollaps?
Die Osterinseln sind ein Paradebeispiel: Um ihre Großstatuen zu errichten, holzten die Polynesier die Inseln ab und besiegelten ihr Schicksal: Es konnten keine Boote für den Fischfang mehr gebaut werden, der Boden erodierte. Die Gesellschaft versank in Kannibalismus und Chaos. Was sie sich wohl gedacht haben, als sie den letzten Baum fällten?
Im Zeitalter der Globalisierung haben solche Katastrophen globale Reichweite.
Die Osterinseln stehen gewissermaßen als Metapher für den Planeten Erde. Käme es heute zu einem Kollaps, es wäre ein Weltkollaps. Die Probleme sind klar: Energie, Wasser, Boden, die Fischgründe, Umweltvergiftung, Klimawandel, Bevölkerungszuwachs. Und die Zeichen sind deutlich. Der Klimawandel vollzieht sich mit beispielloser Schnelligkeit. Er ist daher ziemlich sicher vom Menschen verursacht.
Sehen sie einen richtigen Umgang mit den Herausforderungen?
Ja und nein. Die Luftqualität ist besser als vor 40 Jahren, obwohl es mehr Menschen in Europa und in den USA gibt. Wir haben aber noch immer keine vernünftige Energiepolitik. Besonders in den Vereinigten Staaten verschwenden wir pro Kopf zweimal soviel Öl wie die Europäer. Die Flotten der EU sind die übelsten Missetäter, wenn es um die Ausplünderung der Fischgründe geht. Eine Katastrophe für die Länder Westafrikas, wo die Fischgründe leer gesaugt werden. Aber letztendlich wird es auch eine Katastrophe für Europa sein, weil Europa viel Proteine von Fischen braucht. Die Fischgründe der Nordsee und des Baltischen Meeres sind schon zu Grunde gegangen. Wir können uns in Zeiten der Globalisierung nicht hinter Zäunen verstecken und uns von den Problemen des Planeten abschotten. Europa und die USA benehmen sich so, aber das funktioniert nicht. Denken Sie nur an die Migration und die aktuellen Krawalle in Frankreich.
Müssen wir unser Konsumverhalten ändern?
Würden wir unser Konsumverhalten auf die ganze Welt übertragen, wäre das eine Katastrophe. Wir verbrauchen im Durchschnitt 32mal mehr Ressourcen als die Menschen in der „Dritten Welt“. Wir können dem Rest der Welt nicht sagen: Bleibt ihr in Armut.
Kann denn die Technik Konsumwunsch und Umweltverträglichkeit versöhnen?
Die Technik kann etwas dazu beitragen. Aber häufig sagt man: „Habt keine Angst. Die Technik wird unsere Probleme lösen.“ Das ist Unsinn! Wir müssen unsere Grundwerte auf den Prüfstand stellen. Europa hat nach dem zweiten Weltkrieg ein kühnes Umdenken geschafft, anderenfalls hätte die Welt wohl einen dritten Weltkrieg erlebt. Die Grönländer waren vor 600 Jahren nicht dazu bereit und sind untergegangen.
Glauben Sie, dass indigene Völker, die kulturell eher an Konsens, Gemeinschaft und Solidarökonomie orientiert sind, eine bessere Chance haben, solchen Herausforderungen zu begegnen und nachhaltiger zu wirtschaften?
Sie können vielleicht als Denkmodell dienen. Man fragte mich: Wenn es zu einer Weltkatastrophe kommt, wo würdest Du hingehen? Ich würde ins Hochland Neuguineas gehen. Bis vor fünfzig Jahren hatten dort nur die Stämme untereinander Handel getrieben. Die können heute noch mit ihren Händen Steinäxte herstellen.
Jared Diamond: „Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“, S. Fischer Verlag, 800 Seiten, EUR 23,60
Robert Lessmann ist Journalist und Consultant. Er lebt in Wien.