Im Dezember findet die Ministertagung der Welthandelsorganisation (WTO) in Hongkong statt. Die WTO versucht, den freien Handel, also die Abschaffung von Zöllen und Subventionen, als Ziel per se durchzusetzen, gemäß ihrer Ideologie, freier Handel nütze der gesamten Menschheit. Doch Freihandel kann zwischen ungleichen Partnern nicht funktionieren: zwischen hoch industrialisierten Volkswirtschaften einerseits und agrarisch strukturierten bzw. zum Rohstoffabbau gezwungenen Ländern andererseits. Folglich haben bisherige Liberalisierungsrunden keineswegs zu allgemeinem Wohlstand geführt.
In Afrika leben mehr als 70 Prozent der Armen auf dem Land und verrichten Tätigkeiten in der Landwirtschaft, vorrangig Frauen. Ländliche Entwicklungschancen sind somit ein Schlüssel zum Kampf gegen Armut und spielen eine zentrale Rolle bei der Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele. Die Kleinbauernfamilien können nicht auf die positiven Folgen der Liberalisierung hoffen.
Zum Beispiel Zuckerrohranbau in Brasilien: Die rasante Liberalisierung und Marktöffnung, wie sie die EU-Zuckermarktordnung ab 2006 vorsieht, würde weiterhin die Landkonzentration in den Händen Weniger fördern. Der Anbau von nachhaltig produzierten Lebensmitteln zu fairen Preisen für den lokalen Markt würde zurückgedrängt, neue Flächen im Regenwald gerodet, die Arbeitsbedingungen im Zuckerrohranbau weiter verschlechtert. Statt schrankenloser Liberalisierung braucht es regulierten Marktzugang mit einer vernünftigen Quotenregelung mit fixen Abnahmemengen zu lohnenswerten Preisen, um eine gesicherte Entwicklungsperspektive zu ermöglichen.
Es ist absehbar, dass die armen Länder ihre Interessen gegenüber den Industrieländern nur in sehr beschränktem Ausmaß durchsetzen werden können. In letzter Zeit intensivieren sich zwar die Diskussionen von USA und EU zum heiklen Thema der Abschaffung von Exportsubventionen für landwirtschaftliche Produkte der Industrieländer. Beim Abbau der handelsverzerrenden Stützungen hat die EU in ihrem Verständnis Vorleistungen gebracht und erwartet Zugeständnisse von den USA, deren jüngste Vorschläge allerdings noch keine Verbesserungen für die Menschen in den armen Ländern beinhalten.
Die entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen (ihre Dachverbände AGEZ und KOO) und die Interessenvertretung der österreichischen Bauern (Bauernbund Österreich, Landwirtschaftskammer Österreich, Die Rübenbauern) lehnen geschlossen das Konzept der Liberalisierung des Agrarhandels ab. Eine neue, nur auf den ersten Blick ungewöhnliche Allianz. Die neuen Trennlinien verlaufen nicht mehr zwischen Nord und Süd, sondern vielmehr zwischen (klein)bäuerlicher Landwirtschaft und industrieller Agroindustrie. Gewinner der Liberalisierung sind die großen Lebensmittel- und Getränkekonzerne, internationale Händler und Großgrundbesitzer mit Monokulturen. Verlierer wären aber die Bäuerinnen und Bauern in Europa und den armen Ländern, Landlose und LandarbeiterInnen. Das neoliberale Wirtschaftsmodell ist weder nachhaltig noch zukunftsweisend. Es schließt zu viele Menschen aus, im Süden schon lange und jetzt zunehmend auch im Norden.
Die herrschende Handelspolitik setzt sich über die Interessen der ärmsten und schutzbedürftigsten ProduzentInnen der Welt hinweg. Dabei ist ein gerechter globaler Agrarhandel möglich – vorausgesetzt die Spielregeln sind fair. Fairness ist unter folgenden Voraussetzungen gegeben:
- Ernährungssicherheit: Diese bedeutet die bäuerliche Produktion von Grundnahrungsmitteln für den regionalen Markt statt für den Weltmarkt. Jeder Mensch hat das Recht, sich mit ausreichender und kulturell angepasster Nahrung zu versorgen.
- Verbot von Dumping: Einzelne Länder dürfen die Produktion landwirtschaftlicher Produkte nicht auf eine Weise fördern, dass große Überschussmengen entstehen, die dann in anderen Ländern unter den Produktionskosten verkauft werden. Dadurch wird die Landwirtschaft anderer Länder ruiniert.
- Sozial-, Menschenrechts- und Umweltstandards müssen Basis jeder Liberalisierung sein. Dadurch verbessern sich die Lebensbedingungen für die Bevölkerung in den Entwicklungsländern. Voraussetzung dafür ist der Transfer von Know-how sowie finanzielle Unterstützung von Seiten der Industrieländer.
- Faire Preise: Diese müssen den Bauernfamilien ein ausreichendes Einkommen sichern und eine umweltverträgliche Produktion ermöglichen.
- Demokratie und Menschenrechte: Handelspolitische Reformen müssen Anreize schaffen, demokratische Strukturen zu stärken und Korruption zu bekämpfen. Kleinbäuerinnen und -bauern müssen die Chance auf Mitsprache und Interessenvertretung bekommen.
- Demokratisierung des Verhandlungsprozesses und Transparenz: Die meisten der 148 WTO-Mitgliedsstaaten sind bei vielen Verhandlungen ausgeschlossen und beklagen den „informellen“ Verhandlungsprozess einiger mächtiger Staaten hinter verschlossenen Türen.
Die WTO ist jetzt über zehn Jahre alt. Eine objektive Evaluierung der Wirksamkeit ihrer Maßnahmen im Sinne einer zukunftsfähigen Entwicklung ist überfällig.