In den Armutsbekämpfungsstrategien der tansanischen Regierung sind Menschen mit Behinderung in verschiedenen Bereichen ausdrücklich berücksichtigt.
Henry Wimile vom Informationszentrum für Behinderung (ICD) in Dar es Salaam im Gespräch mit Südwind-Redakteurin Martina Kopf.
Südwind: Welche Arbeit leistet das Informationszentrum für Behinderung?
Henry Wimile: Unser Eindruck war, es gibt zwar öffentliches Interesse, Behinderte zu unterstützen, aber es fehlt an Information. Darum gründeten wir 1998 das ICD. Wir erstellen Information und verbreiten sie durch Workshops, Seminare und über Massenmedien. Unsere Vision ist eine Gesellschaft, in der Behinderung als Faktor in allen Entwicklungs- und Menschenrechtsangelegenheiten wahrgenommen wird – eine Vision, die alle Menschen umfasst.
Wie verhält sich die tansanische Gesellschaft in Bezug auf Behinderte?
Es ist schwierig, eine allgemeine Antwort auf diese Frage zu geben. Auf Verfassungsebene genießen wir die gleichen Rechte. Aber auf der praktischen Ebene, wo es um die Umsetzung von Entwicklungsprogrammen und die Verteilung von Ressourcen geht, kommen wir nicht vor. Auf kommunaler Ebene und innerhalb der Familie ist es wieder anders. Tansania hat 120 ethnische Gruppen. Da gibt es Gruppen, wo du als Mensch mit Behinderung nicht nur akzeptiert, sondern sogar verehrt wirst. Du wirst als etwas Besonderes gesehen. Da heißt es: „Rühr ihn nicht an, gib ihm oder ihr keine Arbeit. Wir sehen Gott in ihm oder ihr.“ Das bedeutet aber auch, du wirst übertrieben beschützt und keinen Herausforderungen ausgesetzt.
In anderen Gemeinschaften wird Behinderung als eine Art Fluch gesehen, wie in der Tradition der Maasai. Dort existiert der Glaube, wenn ein behindertes Kind in der Familie ist, kann sich das Vieh nicht fortpflanzen. Vor kurzem erst wurde ein behinderter Junge von seinem Vater getötet, weil die anderen in ihm ein Zeichen für Unglück und Armut sahen. Das war ein großer Skandal.
Wie sind Sie dazu gekommen, sich für Behinderte zu engagieren?
Erstens bin ich selbst behindert. Ich bin als Kind von einem Baum gefallen und in Folge erblindet. Ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie es trotzdem für notwendig hielten, in mich zu investieren. In der Schule wurde mir bewusst, wie viele behinderte Kinder keinen Zugang zu Bildung, medizinischer Betreuung, einem guten Leben erhalten, einfach deshalb, weil sie vernachlässigt werden und als unproduktive Mitglieder der Gesellschaft gelten. Aus Mangel an positiven Rollenvorbildern wurden Behinderte nicht als Menschen gesehen, die irgendetwas zur Besserstellung ihrer Familien beitragen können. Wegen dieser Vernachlässigung beschloss ich, mich in dem Bereich zu engagieren.
Was war dabei Ihre glücklichste Erfahrung?
Mein glücklichster Moment war letztes Jahr, als wir als Organisation es geschafft haben, die Regierung dazu zu bringen, Behinderung in ihre Armutsbekämpfungsstrategien aufzunehmen. Das ist momentan der Bereich, in dem über Vorstellungen von Entwicklung entschieden wird. Behinderung ist nun als Querschnittsaufgabe verankert.