Armutsbekämpfung erfordert die Mitwirkung zahlreicher Ministerien und
Politiken. Ob das Gesamtkunstwerk gelingt, hängt von den interdisziplinären Fähigkeiten der Beteiligten und dem politischen Willen der Regierung ab.
Offiziell unterstützt Österreich die Millenniumsziele voll und ganz. Allerdings ist bei einer so komplexen Materie die Gefahr gegeben, dass die rechte Hand umstößt, was die linke soeben aufgerichtet hat. Aus diesem Grund beinhaltet das neue EZA-Gesetz von 2002 eine „Kohärenz-Klausel“, die besagt, dass der Bund die drei übergeordneten EZA-Ziele Armutsbekämpfung, Friedenssicherung und Umweltschutz bei allen „von ihm verfolgten Politikbereichen, welche die Entwicklungsländer berühren können“, zu berücksichtigen hat.
So hehr die Gesetzesabsicht ist, die Realität geht einen eigenständigen Weg. Es beginnt schon mit der Kakophonie zwischen EZA-Finanzziel und langfristiger Budgetstrategie. Um das 0,7%-Ziel zu erreichen, müsste der EZA-Anteil am BIP fast verdreifacht werden. In der „Nachhaltigkeitsstrategie“ der Bundesregierung, ebenfalls von 2002, ist aber das Ziel festgeschrieben, die österreichische Steuer- und Abgabenquote (damals 45% vom BIP) zu einer der „niedrigsten in der OECD“ zu machen. Diese wären: 19% (Mexiko), 27% (Südkorea) oder 29% (USA). Um sich auf ein derart niedriges Niveau zu begeben, ist eine Halbierung der Staatsausgaben vonnöten, also auch – aliquot – der EZA-Mittel.
Eine Möglichkeit, die Mittel für die armen Länder zu verdoppeln, ohne einen Cent zu zahlen, wäre die Schließung von Steueroasen. Laut der britischen Hilfsorganisation Oxfam gehen den armen Ländern durch Steuerwettbewerb und Kapitalflucht mindestens 50 Milliarden US-Dollar pro Jahr verloren – fast soviel wie die gesamte globale EZA. Das MDG-begeisterte Österreich ist allerdings nicht nur Vorreiter im Steuersenkungswettlauf (Gewinn- und Vermögenssteuern), sondern auch Hüter eines der strengsten Bankgeheimnisse, was besonders schädlich ist. Denn solange die EU im „Inneren“ Bankgeheimnisse birgt, kann sie keinen glaubwürdigen Druck auf die Schweiz und andere Drittländer ausüben, die ihrigen zu lockern.
Die vermutlich größte Inkohärenz zwischen EZA-Zielen und Realpolitik liegt in der Frage des Freihandels. Österreich drängt, im Verein mit der EU, in der WTO die Entwicklungsländer zu rascher Marktöffnung im Industrie- und Dienstleistungsbereich sowie auf den umstrittenen Investitionsschutz (MAI). Im freien Wettbewerb mit den Dienstleistungs- und Industriekonzernen des Nordens hätten die Entwicklungsländer aber keine Chance, und wohin einseitiger Investorenschutz führt, sieht man derzeit in der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA, wo gegen Umweltschutzgesetze erfolgreich geklagt wird, und in Lateinamerika, wo gescheiterte US- und europäische Wasserkonzerne Bolivien und Argentinien mit Schadenersatzklagen in Millionenhöhe eindecken. Österreich sollte deshalb darauf drängen, den Freihandels- durch einen lokalen Entwicklungsansatz zu ersetzen und die WTO in eine globale Investitionszone umzugestalten: Konzerne erhalten nur dann Eintritt, wenn sie weltweit hohe Sozial-, Umwelt- und Steuerstandards einhalten und mit der lokalen Wirtschaft verschmelzen. Tun sie das nicht, werden sie verklagt und nicht die Staaten.
Die vielleicht gefährlichste Freihandelsfalle lauert in der Landwirtschaft. Denn von einer Streichung sämtlicher Zölle und Subventionen würden nur wenige Agraroligarchien vorwiegend in Schwellenländern profitieren, während die Masse der Kleinbäuerinnen und -bauern in Süd und Nord vom freien Wettbewerb hinweggefegt würde. Davon unbeirrt erklärt Österreich im Grünen Bericht 2004 die „Wettbewerbsfähigkeit“ zum „obersten Ziel“ in der Agrarpolitik. Anstelle dieses globalen Bauernvernichtungsprogramms sollte die Regierung die Lokalisierung begünstigen (mit Schutzzöllen und Kostenwahrheit im Transport) und Ernährungssouveränität zum obersten Ziel erheben. Ein Zoll-Präferenz-Regime für Fair-Trade-Produkte würde zukunftsfähigem Handel auf die Sprünge helfen. Schließlich könnte Österreich Organisationen unterstützen, die sich für die gerechtere Verteilung von Land einsetzen: FIAN oder Via Campesina zum Beispiel.
Auch mit unserer Stimme bei Weltbank und Währungsfonds ließe sich einiges zum Besseren wenden. Liberalisierung und Privatisierung zählen – trotz immer offensichtlicherer Rückschläge – immer noch zu den Bedingungen für Entschuldung und frische Kredite. Hier könnte Österreich seine Stimme noch stärker als bisher für das Abgehen von neoliberalen Konditionalitäten einsetzen, für weitergehende Entschuldung (nicht nur des Irak) und die Einführung eines unabhängigen Insolvenzverfahrens für Staaten (nicht beim IWF, der gleichzeitig Richter und Gläubiger wäre). Nicht minder wichtig ist das Drängen auf innere Demokratisierung – Rechenschaftspflicht, Stimmverteilung nach Ländern/Regionen statt Dollars – und die obligatorische Einbindung der Bevölkerung bei der Kreditvergabe.
Im Windschatten der globalen Privatisierungspolitik mutieren Österreichs öffentliche Versorgungsbetriebe schleichend zu Global Players – und beginnen mit Aufkäufen in Osteuropa (Trinkwasserversorgung, Mineralölverarbeitung, Bundesforste, Post, Bahn). Eine global verantwortliche Industriepolitik würde sich statt Akquisition und Gewinnabschöpfung den gezielten Aufbau von öffentlichen Dienstleistungen und die Weitergabe von Know-how auf die Fahnen schreiben. Der Technologietransfer könnte an die Bedingung der Mitbestimmung geknüpft werden – Vorbild Wasserversorgung in Porto Alegre/Brasilien, wo VertreterInnen der Bevölkerung in der Unternehmensführung sitzen. Für den Gratis-Technologietransfer von Nord nach Süd gibt es schon ein Töpfchen bei der UNIDO – das ist aber so armselig dotiert, dass jede bessere österreichische Privatstiftung praller dasteht.
Der explodierende private Reichtum könnte schließlich Österreichs SpitzenpolitikerInnen zu einem Dauerbekenntnis bei allen globalen Gipfeltreffen inspirieren. „Österreich erachtet es als dringende Erste-Hilfe-Maßnahme, High Net Worth Individuals (Personen mit mindestens 1 Million US-Dollar Finanzvermögen) mit einer MDG-Abgabe in der Höhe von 1% ihres Geldreichtums zu belegen.“ Das ergäbe ein jährliches Aufkommen von 290 Milliarden US-Dollar. In Österreich würde eine einprozentige Vermögenssteuer auf private Haushalte 4% des BIP bringen – mehr als genug für Entschuldung und das 0,7%-Ziel. Es ist aber zu befürchten, dass die Regierung vor so viel Kohärenz bzw. Reformen zurückschreckt.
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Christian Felber ist freier Publizist und Autor und Mitbegründer von Attac Österreich.