Zehn Jahre nach der Weltfrauenkonferenz in Peking zieht die globale Frauenbewegung Bilanz. Heute gilt es, auf die Umsetzung der Millennium-Entwicklungsziele der UNO Einfluss zu nehmen. Doch bleiben deren Forderungen bezüglich Frauenrechten weit hinter früher verabschiedeten Dokumenten zurück.
Von Brigitte Voykowitsch.
Selbstverständlich sind die Millenniumsziele ein großer Schritt zurück“, betont Charlotte Bunch, Leiterin des Center for Women’s Global Leadership an der Rutgers-Universität in den USA, „aber in der UNO dreht sich nun einmal alles darum. Also müssen wir Frauen damit arbeiten“.
„Redet von den Millenniumszielen und denkt an die Pekinger Aktionsplattform“, empfiehlt Peggy Antrobus, Mitbegründerin und lange Jahre leitendes Mitglied des karibischen feministischen Netzwerkes CAFRA sowie von DAWN, einem der prominentesten Netzwerke von Frauen aus dem Süden. Auch Antrobus betrachtet die bei der vierten Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking verabschiedete Aktionsplattform als „Magna Charta“ der Frauenrechte, während sie den Millenniumszielen (MDGs) nichts abgewinnen kann. Diese acht konkreten, messbaren Ziele zur Armutsbekämpfung wurden im Jahr 2000 im Rahmen der Millenniumserklärung der Vereinten Nationen gesetzt.
Antrobus verweist aber auf zwei wichtige Aspekte: Die MDGs legen im Gegensatz zur Pekinger Aktionsplattform einen klaren Zeitrahmen für die Erreichung konkreter Ziele fest, und es mangelt nicht an finanziellen Mitteln für einschlägige Projekte. Die Frauen müssen ihrer Ansicht nach also alles daran setzen, die MDG-Projekte gendergerecht zu gestalten.
In ihrer Kritik an den Millennium-Entwicklungszielen waren sich die Frauen, die vom 28. Februar bis 11. März in New York zur Sondertagung der UN-Frauenstatuskommission zusammen kamen, grundsätzlich einig. Die Tagung unter dem Titel „Peking + 10“ sollte die Fortschritte und neuen Herausforderungen seit der Verabschiedung der Pekinger Aktionsplattform im Jahr 1995 bewerten. Die MDGs spielten dabei eine große Rolle, weil Frauen aus allen Erdteilen ihre Lobbystrategien vor der für September 2005 in New York geplanten „MDGs +5“-Konferenz abstimmen und verbessern wollten. „Gleichstellung und Ermächtigung von Frauen“ sei nur als Ziel unter anderen definiert und nicht als Bedingung für den Kampf gegen Armut schlechthin, so die auf der Tagung geäußerte Kritik. Andere Themen wie reproduktive und sexuelle Rechte, Gewalt an Frauen oder der Anspruch auf würdige Arbeit scheinen gar nicht auf. Auch die zentrale Frage der globalen, nationalen und regionalen Verteilung von Macht und Ressourcen werde völlig außer Acht gelassen.
Die MDGs dürfen nach den Worten von Noeleen Heyzer, der Exekutivdirektorin von UNIFEM, dem Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen für Frauen, lediglich als Skizze angesehen werden, die im Geist der gesamten Millenniumserklärung zu betrachten sei. Diese von 189 UNO-Mitgliedstaaten angenommene Deklaration beschreibt Gleichstellung und Empowerment von Frauen als „effektiven Weg zur Bekämpfung von Armut, Hunger und Krankheit und Förderung einer wirklich nachhaltigen Entwicklung“. Die Millenniumserklärung bestätigt, wie Heyzer betont, auch die zentrale Rolle der Gleichstellung, wie sie bei den großen UNO-Konferenzen der 1990er Jahre festgeschrieben wurde. Und sie mahnt die Umsetzung der CEDAW ein, der 1979 von der UNO verabschiedeten Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau. „Ohne Gleichstellung und Empowerment von Frauen sind die MDGs nicht zu verwirklichen“, formulierten es übereinstimmend Frauen aus allen Kontinenten in New York.
Um den Frauen die Arbeit zu erleichtern, hat UNIFEM eine handliche Broschüre mit dem Titel „Der Weg zur Gleichstellung: CEDAW, Peking und die MDGs“ heraus gebracht. Darin wird jedes einzelne Entwicklungsziel im Sinne der Gleichstellung mit den Forderungen der CEDAW und der Pekinger Aktionsplattform verglichen. Aufgezeigt wird insbesondere, wie alle Ziele strukturell miteinander verbunden sind und nur mit einem ganzheitlichen, gendergerechten Ansatz erreicht werden können. So macht es laut der Broschüre gar keinen Sinn, Ziel 4, die Sterblichkeitsrate bei Kindern unter fünf Jahren um zwei Drittel zu verringern, und Ziel 5, die Sterblichkeitsrate von Müttern um zwei Drittel zu reduzieren, getrennt anzuführen. Wie CEDAW und die Pekinger Aktionsplattform ausführlich darlegen, gefährdet geschlechtsbedingte Diskriminierung die Gesundheit von Frauen und Kindern. Frauen, die vom Zugang zu Bildung, Ressourcen und selbst bestimmten Entscheidungen ausgeschlossen werden, haben wenig Chancen, für ihre eigene Gesundheit und die ihrer Kinder zu sorgen. Damit steht fest, dass Ziele 4 und 5 untrennbar mit den anderen Zielen verbunden sind. Sie zu erreichen erfordert weiters ein Sozial- und Gesundheitssystem, wie es derzeit weltweit eher ab- als aufgebaut wird.
Die globalen politischen und ökonomischen Entwicklungen lassen wenig hoffen, dass die MDGs, CEDAW und die Pekinger Aktionsplattform in absehbarer Zukunft umzusetzen wären. Im Jahr 2005 schwankt das Stimmungsbarometer in der globalen Frauenbewegung. Dabei gibt es eine Reihe von Jahrestagen zu begehen: Vor 60 Jahren wurde die Charta der Vereinten Nationen angenommen, die ein klares Bekenntnis zur Gleichheit von Frauen und Männern sowie ein Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts enthält. 1975 wurde als das Internationale Jahr der Frau begangen, auf das von 1976 bis 1985 die von der UNO ausgerufene Weltfrauendekade folgte. Ebenfalls 1975 fand in Mexiko-Stadt die erste Weltfrauenkonferenz statt. Peking 1995 – das größte internationale Frauentreffen aller Zeiten – stellte dann den Höhepunkt der UN-Konferenzen im Jahrhundert der Frauen-Emanzipation dar.
In diesen sechs Jahrzehnten haben feministische Frauen viel erreicht. Frauenrechte sind als Menschenrechte anerkannt, Gewalt gegen Frauen ist international gebrandmarkt. Das sind Meilensteine im Prozess der Bewusstseinsbildung und Rechtsentwicklung. Doch es mangelt allenthalben am politischen Willen, gesetzlich festgeschriebene Frauenrechte auch umzusetzen und die dafür nötigen Mittel locker zu machen. Die Machtübernahme durch konservative Regierungen und das Erstarken religiös-fundamentalistischer Kräfte gefährden heute in allen Erdteilen das Erreichte. Liberalisierung und Privatisierung führen zugleich weltweit zu einer Feminisierung der Armut, die wiederum dem Frauenhandel Vorschub leistet.
„Beijing Betrayed“ (Verrat an Peking) nannte WEDO, die in New York ansässige Frauenorganisation für Umwelt und Entwicklung, ihren jüngsten Bericht. Weltweit setzen Regierungen die Aktionsplattform bestenfalls „stückchenweise“ um. Mit diesem Zaudern aber „kann die ökonomische, soziale und politische Transformation, die den Versprechen und der Vision von Peking zugrunde liegt, nicht erreicht werden.“ Fest steht: Auch die MDGs sind so nicht zu verwirklichen.
Brigitte Voykowitsch ist freie Journalistin und hat die Sondertagung Peking+10 der UN-Frauenstatuskommission in New York besucht.