(Kein) Nachhaltiges Österreich

Von Brigitte Pilz · · 2003/04

Nachhaltigkeit ist Zukunftsfähigkeit. Nachhaltigkeit ist derzeit in aller Munde. Auch in Österreich: in der Wirtschaft, im Sozialsystem, in der Entwicklungspolitik. Unser Land hat diesbezüglich viel versprochen. Wie steht es um die Umsetzung?

Die besten Reformer sind die, die bei sich selbst anfangen.“ Dieser Ausspruch von G.B. Shaw steht in der Broschüre der Regierung „Nachhaltiges Österreich“. Österreich hat in Vorbereitung des Weltgipfels zur Nachhaltigen Entwicklung im August 2002 in Johannesburg eine entsprechende Strategie erarbeitet. Eigentlich ist es mehr ein Wunschkatalog. Er lässt kaum einen Lebensbereich aus. Zwanzig Ziele werden genannt, darunter entwicklungspolitisch relevante: sozialer und wirtschaftlicher Ausgleich innerhalb und zwischen den Ländern; eine global nachhaltige Wirtschaft; internationale Kooperation und Finanzierung; Umwelt- und Klimaschutz.
Gewiss, im Weltmaßstab ist Österreich in etlichen Punkten unter den Besten. In einer internationalen Umweltstudie, die im Februar 2002 beim Weltwirtschaftsforum in New York präsentiert wurde, kam unser Land auf den siebenten Platz (von 142 Ländern). Eine Vorreiterrolle nehmen wir bei den erneuerbaren Energieträgern, bei der biologischen Landwirtschaft, in der Wasserwirtschaft ein.
Allenthalben herrscht auf offizieller Seite Empörung, dass der aktuelle Welt-Wasser-Bericht der UNESCO Österreich bloß an die 18. Stelle (von 122 Ländern) reiht. Ein Greenpeace-Experte meint dazu, dass unser Wasser sicher fast überall eine sehr hohe Qualität hat. Das Grundwasser in Tiefebenen wie dem Marchfeld und dem Leibnitzer Becken sei allerdings durch landwirtschaftliche Tätigkeit nitratverseucht. Eine nachhaltige Wasserwirtschaft müsse überdies auch den Verbrauch eindämmen. Wassersparen ist hierzulande nicht „in“.
Doch wie sieht es mit der Erreichung anderer Ziele aus? Die Broschüre ist noch kein Arbeitsprogramm. Dieses sollte bis Jänner 2003 von einer eigens eingesetzten ExpertInnengruppe fertiggestellt werden. Doch die Neuwahlen, die neue Regierungsbildung: Vieles wurde verschoben.
Trotzdem: Sind die Weichen richtig gestellt? Werfen wir den Blick auf einige Punkte, die für die LeserInnen des SÜDWIND-Magazins besonders interessant sein dürften.

Zum Beispiel: internationale Kooperation und Finanzierung. Sprich: eine zukunftsfähige Entwicklungspolitik und -zusammenarbeit.
Österreich hat nicht nur in seiner Nachhaltigkeitsstrategie Versprechungen abgegeben. Österreich ist Mitunterzeichner der Milleniumsziele des Jahres 2000, hat in Johannesburg mitgestimmt: Halbierung des Anteils der Armen bis 2015; bei Wasserversorgung und Siedlungshygiene ein ähnliches Ziel; wesentliche Fortschritte bei Empowerment („Ermächtigung“) und Bildung für Frauen bis 2005; Reduzierung der Müttersterblichkeit um drei Viertel bis 2015.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Alle ExpertInnen sind überzeugt, dass die internationale Gemeinschaft diesen Zielen nur näherkommen wird, wenn die Gelder für Entwicklungszusammenarbeit (EZA) zumindest verdoppelt werden. Die Debatte um die seit langem geforderten 0,7% des Bruttonationaleinkommens (BNE) für die Entwicklungszusammenarbeit ist in diesem Zusammenhang wieder aufgeflammt. Die EU hat beschlossen, die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) bis 2006 auf 0,39% des BNE zu erhöhen. Österreich hat zugesagt, bis 2006 die ODA von derzeit 0,29% auf 0,33% (derzeitiger EU-Durchschnitt) anzuheben. Was geschieht tatsächlich? Für das laufende Jahr wird die EZA faktisch um 5% gekürzt.
Vielleicht wird der statistische ODA-Wert Österreichs auf Grund von Entschuldungmaßnahmen trotzdem steigen. Sicher ist, dass das Geld für die Programm- und Projekthilfe, also für jenen Teil der EZA, dem Kriterien von Armutsbekämpfung, Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, Schwerpunktsektoren wie Wasser, Bildung etc. zugrunde liegen, weniger wird. Eine Ausweitung solcher Qualitätskriterien auf die gesamte Entwicklungszusammenarbeit ist nicht in Sicht. Dazu wäre es notwendig, dass die vom DAC (Entwicklungshilfe-Komitee der OECD) wiederholt geforderte Koordinierungskompetenz des Außenministeriums tatsächlich wirksam würde. So bleiben die Leistungen der EZA weiterhin auf verschiedene Ministerien aufgesplittet, geschweige denn, dass Außen-, Wirtschafts-, Landwirtschaftspolitik an einem (entwicklungsrelevanten) Strang ziehen.

Zum Beispiel: gerechter Handel. Positives ist zum Thema Fair Trade zu berichten. Das offizielle Österreich leistet hier mehr konkrete Unterstützung als die meisten EU-Staaten. Der Grund liegt darin, dass die OrganisatorInnen seit Jahren intensive Lobbyarbeit betreiben und einige PolitikerInnen und BeamtInnen aus Überzeugung mitmachen. Im Nationalrat und in mehreren Landtagen gab es von allen Parteien politische Erklärungen pro Fair Trade. Die EZA im Außenministerium leistet politische und finanzielle Unterstützung. Jüngst hat sich auch das Land Vorarlberg bereit erklärt, die laufende Informationskampagne von Fair Trade mitzufinanzieren. Einige Erfolge gab es ferner im Beschaffungswesen des Bundes und der Länder.
Fair Trade ist eine kleine Nische. Für einen sozialen und wirtschaftlichen Ausgleich zwischen Nord und Süd muss der gesamte Welthandel verändert werden: Einfuhrzölle auf veredelte Produkte und andere Handelshemmnisse müssten abgeschafft werden. Es bräuchte weltweit soziale und ökologische Mindeststandards in der Produktion, was natürlich höhere Preise bei Importen aus Entwicklungsländern nach sich ziehen würde (und ein wichtiger Beitrag für nachhaltiges Wirtschaften wäre). Schließlich müssten die Subventionen in den USA und der EU für agrarische Überschussproduktionen abgeschafft werden. Spielt Österreich international in den Gremien von WTO und EU diesbezüglich eine Vorreiterrolle? Mitnichten. Die Reaktionen des früheren Landwirtschaftsministers Wilhelm Molterer auf die Änderungsvorschläge von EU-Kommissar Franz Fischler (die im Sinne der Entwicklungspolitik ohnehin nicht weit genug gehen), zeugen von Wahrung der österreichischen Eigeninteressen. (Gleichzeitig gibt es im Molterer-Büro nur noch fairen Kaffee zu trinken.)

Zum Beispiel: Klimaschutz. Österreich hat das Kyoto-Abkommen unterzeichnet und sich damit zu einer Reduktion der sechs wichtigsten Treibhausgase um 13% bis 2012 gegenüber 1990 verpflichtet. Von diesem Ziel sind wir weit entfernt. Die aktuellen Daten des Umweltbundesamtes zeigen für 2001 gegenüber 2000 Emissionszuwächse von 4,8%, für den Verkehr sogar von 8%. Laut Modellrechnung werden die Treibhausgas-Emissionen in diesem Jahrzehnt weiter ansteigen.
Die österreichische Klimastrategie sieht vor, durch verschiedene Maßnahmen die Zuwächse zu reduzieren. Doch von einer ernsthaften Finanzierung ist man weit entfernt. Laut Umweltressort wären 90 Mio. Euro jährlich erforderlich, um das Kyoto-Ziel zu erreichen. Politik und Wirtschaft hoffen nicht zuletzt auf die sogenannten Kyoto-Mechanismen. Das sind Schlupflöcher für Länder, die mit eigenen Klimaschutzmaßnahmen ins Hintertreffen geraten. Sie können von Staaten, die weniger treibhauswirksame Gase in die Atmosphäre ausstoßen, gleichsam Rechte zur Verschmutzung kaufen. Dazu kommen noch weitere Kniffe wie etwa die Anrechnung von Wäldern, Aufforstungs- und anderen Projekten auch außerhalb des eigenen Landes.
Das Klimabündnis ist eine Organisation, die auf einem Vertrag zwischen europäischen Gemeinden und indigenen Völkern zum Schutz des Klimas beruht. Der Geschäftsführer des österreichischen Zweigs, Wolfgang Mehl, ist über die Kyoto-Mechanismen nicht glücklich: „Diese sind von ihrer Umweltwirkung her höchst umstritten. Es wird nichts anderes als ‚heiße Luft‘ gehandelt. Länder wie Russland werden Emissionsrechte verkaufen dürfen, die niemals gebraucht, niemals eingespart wurden. Verlierer bei diesem System ist das Weltklima.“ Mehl verlangt, dass Klimaschutz-Maßnahmen im nötigen Ausmaß in Österreich selbst durchgeführt werden.
Nachhaltigkeit ist ohne Veränderungen im persönlichen Lebensstil der Mehrheit der Bevölkerung nicht zu erlangen, und ebenso wenig, wenn politische Weichenstellungen fehlen. Sonst trennen wir brav unseren Müll, bestellen einen fairen Mokka und benutzen öffentliche Verkehrsmittel, trotzdem bleiben die Bedürfnisse eines Großteils der Weltbevölkerung unbefriedigt, bietet die Erde für zukünftige Generationen keinen Lebensraum mehr.

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