Zuckerfantasien

Von Robert Poth · · 2003/03

Selbst wenn die Zuckerindustrie der EU vor billigem Rohrzucker kapitulieren muss, wäre vielleicht nicht alles verloren – dank der „Energierübe“.

Die gute Nachricht: Es gibt nun erstmals Biovollrohrzucker mit Fairtrade-Siegel in Österreich. Er stammt von Zuckermühlen in Paraguay und auf den Philippinen, die Zuckerrohr aus kleinbäuerlicher Erzeugung verarbeiten, und sollte bereits in den großen Einzelhandelsketten verfügbar sein (siehe Seite 37) . Die weniger gute Nachricht: Er dürfte um einiges teurer sein als österreichischer Rübenzucker. Dass er den Segen der Vereinigung der Österreichischen Rübenbauernorganisationen hat, ist insofern kein Wunder. Was der EU-Zuckerindustrie tatsächlich Sorgen bereitet, ist der gewöhnliche Rohrzucker aus Ländern wie Brasilien, wo die Produktionskosten bis zu dreimal niedriger liegen als in der EU. Und das Bollwerk gegen diesen Zucker, die Zuckermarktordnung (ZMO), steht mehrfach unter Druck.

Erstens auf Ebene der Welthandelsorganisation (WTO), wo sich die EU im Landwirtschaftsübereinkommen von 1994 zu einer stufenweisen Reduzierung des Zollschutzes und der Zucker-Exportsubventionen verpflichtet hat. Wie die Liberalisierung weiter gehen soll, wird derzeit im Rahmen der „Entwicklungsrunde“ der WTO verhandelt. Doch die EU hält nicht einmal ihre alten Verpflichtungen ein, sagen Australien und Brasilien und forderten bereits vergangenen Oktober WTO-Konsultationen.
Zwar sind es in erster Linie die Exporte Brasiliens, die die Welt-Zuckerbestände auf einen Höchststand von rund 50 Prozent einer Jahreserzeugung getrieben haben. Der Weltmarktpreis liegt auf einem Niveau, zu dem auch Rohrzucker kaum kostendeckend exportiert werden kann. (Siehe Grafik) Aber auch die EU trägt dazu bei. Sie produziert regelmäßig Überschüsse und importiert zudem Rohrzucker vor allem aus ehemaligen europäischen Kolonien, den AKP-Ländern (Afrika, Karibik, Pazifik), den sie selbst nicht braucht. Beides wird als Weißzucker mittels Exportsubventionen an den Weltmarkt weitergereicht. Die Folgen erläuterte die EU-Kommission Anfang 2001 gegenüber dem Europäischen Rechnungshof: „Müsste die Gemeinschaft ihre Lieferungen vom Weltmarkt abziehen, würde die dadurch entstehende zusätzliche Nachfrage die Weltmarktpreise signifikant erhöhen“.

Zweitens gehen traditionelle Exportmärkte verloren, weil etwa Algerien, Saudi-Arabien oder der Iran eigene Raffinerien aufbauen, den EU-Zucker mit Zöllen belegen und Rohrzucker importieren. Dass der Verkaufsleiter der deutschen Südzucker, mit mehr als 20 Prozent Marktanteil größter Nutznießer der Abschottung des EU-Zuckermarkts, darüber klagt, dem EU-Zucker werde „durch reinen Protektionismus der Markt genommen“, wirft auch ein Licht auf die Branche. Und drittens ermöglichen derzeit Zollpräferenzen für Zucker aus Ex-Jugoslawien einen Dreieckshandel, bei dem eigene Produktion in die EU gebracht und durch Billigrohrzucker vom Weltmarkt ersetzt wird.
Das Dumping von EU- und AKP-Zucker am Weltmarkt ist der Hauptgrund dafür, dass die ZMO auch aus entwicklungspolitischer Sicht unter Beschuss steht. Subventionierte Süßwarenexporte der EU bedrohen weltweit Verarbeitungsbetriebe in armen Ländern, etwa im südafrikanischen Swasiland.
Und wenn auch der EU-Rübenanbau in den letzten Jahren immer umweltfreundlicher wurde: „Biorüben“ sind Mangelware. Erst das Auslaufen einer EU-Übergangsbestimmung per April 2003, die bei Bioprodukten die Verwendung von gewöhnlichem Rübenzucker gestattet, motivierte Südzucker im Vorjahr dazu, wieder einmal eine Biorübenkampagne durchzuführen, um den Bedarf decken zu können.
Selbst mit großflächigem Bioanbau lassen sich aber Exportsubventionen nicht rechtfertigen. Sie werden wohl fallen müssen – und damit auch die bisher vertraglich gesicherten Zuckerimporte aus den AKP-Ländern. Letztere sollten allerdings durch eine Umwidmung dieser Mittel in Direkthilfen entschädigt werden, fordert ActionAid. Die britische Entwicklungs-NGO spricht sich außerdem dafür aus, den Zuckermarkt sofort für die ärmsten Länder zu öffnen und nicht erst schrittweise bis 2009, wie das die EBA-Initiative („Everything But Arms“; siehe SÜDWIND Magazin 4/2001, S. 22) der EU von 2001 vorsieht.

Umweltargumente könnten aber dazu beitragen, ein Ende des Rübenanbaus selbst bei einer völligen Öffnung des Zuckermarkts zu verhindern – in Gestalt der „Energierübe“. Der Anbau von Zuckerrüben zur Produktion von Alkohol als Bio-Kraftstoff analog zum Ethanol-Programm in Brasilien lässt sich als Reduktion der Kohlendioxid-Emissionen gemäß Kyoto-Protokoll anrechnen, argumentiert Dietrich Klein von der Deutschen Bauernvereinigung in Berlin. Und die Rohstoffe müssten aus inländischer Produktion stammen. Allein in Deutschland, so Klein, könnte die nötige Anbaufläche für Energiepflanzen, darunter Rüben, bis 2010 auf zwei Millionen Hektar steigen. Das entspricht etwa der aktuellen Gesamtrübenfläche in der EU.

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