Kaum beachtet und noch weniger kritisch analysiert: Österreich hat im Sommer den ersten Bericht über die Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklungsziele vorgelegt.
Von Margit Scherb
Im Jahr 2015 wurden die Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (SDGs) verabschiedet. Damals wurde festgelegt, dass die Mitgliedsstaaten regelmäßige „Freiwillige Berichte“ über den Stand der Umsetzung an das neu geschaffene Steuerungsgremium, das „High Level Political Forum on Sustainable Development“ (HLPF) liefern. Damit die Vereinten Nationen den weltweiten Stand der Umsetzung überprüfen können. Österreich hat als eines der letzten Länder am 15. Juli, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, seinen ersten Bericht vorgelegt.
Wenig Konkretes. Seit 2015 hat die jeweilige österreichische Regierungsspitze keine Verantwortung für die Umsetzung der SDGs übernommen, sondern diese an die Ministerien in Form eines „Mainstreaming-Ansatzes“ abgeschoben. Da von Anfang an auf eine Erhebung des Ist-Zustandes („Lückenanalyse“) und eine Aktualisierung der österreichischen Nachhaltigkeitsstrategie verzichtet wurde, konnte man in der Folge ohne festen Ausgangspunkt und klare Zielsetzungen bei der Abfassung des Berichtes an die Vereinten Nationen jede noch so kleine Aktivität eines jeden Ministeriums als „Umsetzungsbeitrag“ auflisten.
Folgerichtig ist der Bericht im Wesentlichen eine Aneinanderreihung zahlreicher „Erfolgsgeschichten“ der Ministerien, der Bundesländer, aber auch der Zivilgesellschaft, deren Bedeutung für die Umsetzung nicht dargestellt wird: Sie reichen von den weitreichenden Vorhaben des Umweltministeriums (BMK), alle Maßnahmen nach deren SDG-Umsetzungskapazität zu bewerten, bis zu einem bewusstseinsbildenden Musical und dem Aufbau einer Such- und Schutzhundestaffel durch das Österreichische Bundesheer in Ghana.
Die wenigen kritischen Befunde werden in der Regel in der nächsten Zeile mit einer Erfolgsmeldung konterkariert.
Grundsätzliche Überlegungen über die Notwendigkeit tiefgreifender Transformationen oder darüber, wo Österreich im Jahr 2030 stehen und welche guten Dienste es im Rahmen der Weltgemeinschaft zur Verwirklichung der SDGs leisten könnte, sucht man – jenseits bekannter Gemeinplätze – vergebens.
Der Ausblick bleibt. Noch weniger bekannt als der „Freiwillige Bericht“ ist der ihm zugrundeliegende „Indikatorenbericht“, für den die Statistik Austria verantwortlich zeichnet. Von der Bundesregierung dafür schlecht mit Ressourcen ausgestattet, hat das Statistikamt sich auch nicht wirklich bemüht, fehlende Daten zu erheben bzw. in Zusammenarbeit mit FachwissenschaftlerInnen zusammenzutragen und zu bewerten. Und so entsteht zumindest der Eindruck, dass man vorrangig jene Indikatoren bearbeitet hat, bei denen Österreich gut abschneidet. Positiv zu vermerken ist, dass der Bericht im Kapitel „Ausblick“ etwas deutlicher wird: Es werden in den Bereichen „Governance“, „Frauen, Jugend und ‚Leaving no one behind‘“ und „Klimaschutz und Klimaanpassung“ konkrete Maßnahmen genannt.
Hervorzuheben ist, dass zusätzlich zur bestehenden, von mehreren Ministerien gebildete Arbeitsgruppe eine Steuerungsgruppe eingerichtet und mit der Wissenschaft verstärkt zusammengearbeitet werden soll.
Damit der zweite Bericht, den die Bundesregierung erst in fünf Jahren abgeben will, etwas substanzieller ausfällt, wäre es notwendig, die Absichtserklärungen so rasch als möglich mit Zeitplänen, gesetzlich abgesicherten Reformen und Budgetplänen zu versehen. Ein guter Anfang wäre, die österreichische Lebenslüge, dass wir eh (fast) überall die Besten sind, aufzugeben und die SDGs als Arbeitsauftrag zu verstehen. So hätte z.B. auch das österreichische Bildungssystem, in dem laut Bericht alles getan wird, um „hochwertige Bildung für alle“ zu ermöglichen, eine Chance, auf die Reformagenda zu kommen.
Postskriptum. Auffällig ist, dass SDG-Watch, jener Zusammenschluss von mittlerweile 202 zivilgesellschaftlichen Organisationen, der die Regierung kritisch bei der Umsetzung der SDGs begleiten wollte, auf eine kritische Auseinandersetzung mit dem Bericht verzichtet hat.
So wie die Bundesregierung im Bericht die Arbeit von SDG-Watch darstellt, könnte es sich auch um eine von ihr finanzierte Agentur handeln. Der Umstand, dass die KritikerInnen der Regierung von dieser nicht mehr zu unterscheiden sind, schränkt den politischen Diskurs und die demokratische Meinungsbildung ein und überlässt der Regierung ohne Gegenrede die Deutungshoheit über ihr Handeln.
Margit Scherb ist nach vielen Jahren Berufstätigkeit in der Entwicklungsforschung und -zusammenarbeit bei staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen Pensionistin in Wien.
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