Sie erzählen Geschichten, mit denen sich die LeserInnen identifizieren können – und werden dafür weltweit gefeiert: die neuen Schriftstellerinnen aus Nigeria.
Von Katrin Gänsler, Lagos
Einige junge Frauen stehen schon in der Schlange an. In ihren Händen halten sie den Roman „My Sister, The Serial Killer“. Sie warten darauf, dass die Autorin Oyinkan Braithwaite ihr Buch für sie signiert und sich einen Augenblick Zeit für ein Selfie nimmt. Noch ist sie damit beschäftigt, JournalistInnen Interviews zu geben.
Im März wird der Roman, der das düstere Geheimnis zweier Schwestern erzählt, auch auf Deutsch erscheinen. Es ist der erste der 31-jährigen Nigerianerin, dessen Erfolg sich schon wenige Wochen nach der Veröffentlichung Ende 2018 abzeichnete. „My Sister, The Serial Killer“ erhielt hervorragende Kritiken wie „wundervoll unartig“ und „ein prächtiges, dunkles Debüt“ sowie ein gutes halbes Jahr später die Nominierung für den Booker Prize an der Seite von Margaret Atwood, Bernadine Evaristo und Salman Rushdie, seit Jahrzehnten weltbekannte AutorInnen.
Wenn Braithwaite über die vergangenen Monate spricht, lacht sie viel – und gibt zu: „Ich mache noch immer Fotos, wenn ich auf Reisen mein Buch in einer Buchhandlung sehe.“ Es klingt ein wenig so, als ob sie ihren Erfolg noch immer nicht richtig fassen könnte.
Gefeiert wie nie zuvor. Ihr Buch ist jedoch nicht das einzige, das weltweit hervorragende Kritiken bekommen hat. Ein weiteres ist „Bleib bei mir“ von Ayobami Adebayo, das von der New York Times und dem britischen Guardian zu den besten im Jahr 2017 erschienenen Büchern gezählt wird.
„Ich liebe ihr Buch. Wir sind gute Freundinnen und versuchen uns, wann immer es geht, zu treffen“, sagt Braithwaite über ihre Kollegin Adebayo. International gelobt wird auch Lesley Nneka Arimah und ihre Kurzgeschichtensammlung „What it means when a man falls from the sky“. Vergangenes Jahr erhielt sie den Caine Prize for African Writing und war davor schon mehrfach für Kurzgeschichten ausgezeichnet worden.
Es fällt auf, dass es aktuell viele junge und weibliche Stimmen in der zeitgenössischen Literatur sind, die in Nigeria sowie Großbritannien und den USA enormen Erfolg haben. Begonnen hat der Trend in den 2000er Jahren mit Chimamanda Ngozi Adichie, die mit Büchern wie „Blauer Hibiskus“ und „Die Hälfte der Sonne“ berühmt wurde und heute bei Veranstaltungen eine beliebte wie kritische Rednerin ist. Zuvor waren es mit den weltbekannten Schriftstellern Chinua Achebe, Ken Saro-Wiwa und dem Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka jedoch meist Männer.
Weibliche Perspektive. „Die Menge, aber vor allem die Qualität der jungen Schriftstellerinnen ist unglaublich“, ist Lola Shoneyin begeistert. Sie ist Gründerin des nigerianischen Verlags Ouida Books, organisiert das seit 2013 in Lagos stattfindende Literatur- und Kunstfestival Aké und schreibt selbst Belletristik.
„Es gibt Autorinnen wie Ama Ata Aidoo aus Ghana und Mariama Bâ aus Senegal. Es ist also nicht so, dass es keine Tradition gab, afrikanische Autorinnen zu verlegen“, sagt sie. Doch da ansonsten vor allem die Bücher von Männern erschienen, war das Themenspektrum begrenzt. „Frauen wollen andere Themen erarbeiten, besonders solche, die sie direkt betreffen. Auch lesen Frauen generell mehr als Männer“, so die Autorin und Verlegerin, die mit ihrem vielbeachteten Roman „Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi“ Einblicke in das Leben einer polygamen Familie gibt.
Mit „Bleib bei mir“ hat auch Adebayo einen Nerv getroffen und ein Tabu gebrochen. Sie schreibt in ihrem Erstlingswerk über das junge Paar Yejide und Akin, das in den 1980er Jahren im Südwesten Nigerias lebt und verzweifelt Kinder bekommen will. Massiven Druck übt Akins Mutter aus, die ein Enkelkind einfordert und mit einer Zweitfrau für ihren Sohn droht. Yejide hofft auf ein Wunder und setzt gleichzeitig alles daran, endlich schwanger zu werden. „Ich wollte vor allem ein Buch über tiefen Schmerz und tiefe Trauer schreiben“, sagt Adebayo.
Es ist in Nigeria nicht möglich zu ermitteln, wie viele Frauen und Männer einen Kinderwunsch haben, den sie sich nicht erfüllen können. Hört man sich jedoch um, dann kennt jeder jemanden, der verzweifelt auf Nachwuchs wartet. In den nigerianischen Städten wie Abuja, Lagos und Port Harcourt entstehen immer mehr Kliniken, die auf Fruchtbarkeitsbehandlungen spezialisiert sind. Auch traditionelle Heiler bieten diese Dienste gerne an. Mit der Geschichte von Yejide und Akin können sich deshalb Millionen LeserInnen identifizieren.
In „A Small Silence“ von Jumoke Verissimo ist es nicht anders. Die 40-Jährige verwebt die Geschichte eines Intellektuellen und politischen Aktivisten und einer jungen Frau mit der nigerianischen Schicksalswahl am 12. Juni 1993. Die Wahl wurde annulliert, wenig später folgten der Staatsstreich von General Sani Abacha und seine fast fünf Jahre lange Herrschaft.
Mord & Sci-Fi. Die Autorinnen erzählen individuelle Geschichten. Adebayo betont die Vielfalt an Stimmen und Konzepten. Dazu kommt die Lust, neue Genres zu entdecken: Mordgeschichten gibt es bisher kaum. Die von Braithwaite ist jedoch eine. Sie freut sich wiederum über Science-Fiction-Geschichten, die ebenfalls auf dem Kontinent bisher kaum erzählt wurden.
Hilfreich ist eine zunehmende Zahl an nigerianischen Verlagen, die von Frauen geleitet werden. Neben der Verlegerin Shoneyin hat vor allem Bibi Bakare-Yusuf mit ihrem 2006 gegründeten Verlag Cassava Republic dafür gesorgt, dass in den vergangenen Jahren zahlreiche Bücher von Autorinnen verlegt wurden. Cassava Republic gehört mittlerweile zu den wichtigsten Verlagshäusern auf dem Kontinent.
Was sich Ouida-Verlegerin Shoneyin auch künftig wünscht: Dass sich weiterhin „wundervolle Fangemeinden“ bilden. Die wartenden Leserinnen, die sich für ein Selfie mit Autorin Braithwaite anstellen, sind das beste aktuelle Beispiel dafür.
Katrin Gänsler ist Korrespondentin mehrerer deutschsprachiger Medien in Westafrika und lebt in Cotonou/Benin und Abuja/Nigeria.
Da Sie schon mal hier sind: Qualitätsjournalismus kostet Geld, und ist wichtiger denn je. Seit 2017 ist das Südwind-Magazin vollkommen unabhängig. Unterstützen Sie unsere kritische Berichterstattung mit einem Abo oder einer Spende. Vielen Dank!
Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!
Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.
Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.
Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!
Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.