Die Politologin Chantal Mouffe empfiehlt, den Rechtspopulisten die Rolle als Stimme des Volkes streitig zu machen. Von Erhard Stackl
Zäh schleppten sich in Spanien heuer Regierungsverhandlungen dahin, obwohl diese Gespräche zwei linke Parteien führten. So vermuteten die Medien, dass es an „persönlichen Animositäten“ liege, weshalb Pablo Iglesias, der Politologe mit dem Pferdeschwanz von Unidas Podemos und Pedro Sánchez, der Feschak („El guapo“) und Anzugträger von der Sozialistischen Arbeiterpartei PSOE, sich lange nicht auf ein Regierungsbündnis einigen konnten.
Für die in London lehrende, aus Belgien stammende Politologin Chantal Mouffe sind die Differenzen im politischen Kern dieser Parteien begründet. In Spanien bezeichne man die PSOE als „sozialistisch in Anführungszeichen“, sagte Mouffe in einem Interview. Wie zuvor in Großbritannien und Deutschland, wo sich die Sozialdemokraten um die Jahrtausendwende angeblich auf den „Dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus machten, hätten sie in Wahrheit vor dem Neoliberalismus kapituliert. Sozialdemokraten hätten das Tina-Prinzip („There is no alternative“) zum unausweichlichen Sparzwang und zu weiteren Privatisierungen verinnerlicht, das sie bloß etwas humaner gestalten wollten.
Podemos, die 2014 aus der spanischen Protestbewegung der „Indignados“ („Die Empörten“) hervorgegangene Partei, bemühe sich dagegen, eine „politische Trennlinie“ zu ziehen und wolle jenseits des Neoliberalismus eine sozial gerechtere Gesellschaft aufbauen. Iglesias und Podemos (auf Deutsch: „Wir können das“) bewegen sich in einem Gedankengebäude, das Mouffe und ihr Ehemann Ernesto Laclau vor mehr als dreißig Jahren errichteten.
Vakuum entstanden. Das „Verschwimmen der politischen Grenzen von links und rechts“ bezeichnet Mouffe als „Postpolitik“ (wie sie in einem vom Wiener „Institut für die Wissenschaften vom Menschen“ herausgegeben Buch1 erläutert). Dadurch sei ein Vakuum entstanden, in dem die von der Globalisierung Abgehängten darauf warten, abgeholt zu werden. Allein die Rechtspopulisten boten sich als „Erlöser“ an und wuchsen in vielen Ländern zur vermeintlich unaufhaltsamen Kraft. Für Mouffe gibt es nur zwei Lösungswege: Mehr Rechtspopulismus, der zu autoritären Regierungen führen könne, oder den Linkspopulismus, der sich einem „radikalen Reformismus“ verschreibe. Mouffe spricht hier vom „Agonismus“, einem offen ausgetragenen „Wettbewerb“ der Ideen, bei dem aber die Regeln der Demokratie eingehalten werden. Anders als die „Empörten“ oder auch die Occupy-Bewegung befürworten linke Populisten (denen in Österreich die von Peter Pilz gegründete „Liste Jetzt“ nahesteht) den starken Staat. Vom No-Border-Netzwerk, das für eine „Welt ohne Grenzen“ eintritt, hält Mouffe nichts. Die „unbegrenzte Zirkulation von Kapital und Arbeit“ sei doch der „Wunschtraum des Neoliberalismus“, dem diese radikale Linke „in die Hände spiele“, wird Mouffe im SPD-nahen „IPG-Journal“ zitiert.
Populismusexpertin Chantal Mouffe, hier bei einem Philosophenkongress im italienischen Modena.
Neoliberalismus und wachsende Ungleichheit hätten zu einer „Lateinamerikanisierung“ Europas geführt. Auch hier habe das Sagen eine elitäre Oligarchie, die es politisch zu bekämpfen gelte. Ziel des Linkspopulismus sei es, „an die Macht zu kommen, um die Kräfteverhältnisse im Staat zu verändern“.
Vorbild Bolivien. Urvater des modernen Populismus war der Argentinier Juan Perón, dessen Anhänger von weit rechts bis weit links reichten. Zu den jungen argentinischen Linken zählte der Politologe Laclau. Auf Einladung des marxistischen Historikers Eric Hobsbawm kam er 1969 nach London, wo die nahe gelegene Universität von Essex seine akademische Heimat wurde. Gemeinsam mit Mouffe schrieb er das Werk „Hegemony and Socialist Strategy“. Die Linke, so heißt es darin, solle sich nicht scheuen, die Menschen mit patriotischen Argumenten für den Kampf gegen die ökonomischen Machthaber zu gewinnen.
Vor dem wirtschaftlichen Niedergang Venezuelas galt dieses Land durchaus als Vorbild. Heute meint Mouffe, Hugo Chávez habe trotz vieler Wahlerfolge keine Chance gehabt, weil ihn die alten Eliten nicht als Mitbewerber, sondern als auszulöschenden Feind betrachteten.
Positiv wird dagegen Bolivien gesehen, wo Evo Morales als erster indigener Präsident seit 2005 regiert. Ihm gelang es, die Armut im Land stark zu reduzieren, wobei ihm Autoritarismus nicht fremd ist. Der Erfolg seiner staatlich gesteuerten Reformen habe sogar auf zwei linksalternative Stars aus Europa Eindruck gemacht, berichtet Mouffe: Michael Hardt und Antonio Negri, die seit der Jahrtausendwende mit ihrer Idee der „Multitude“, der Selbstorganisation hierarchiefreier Netzwerke, den Ton angaben, seien nach einem Bolivien-Besuch weniger antistaatlich geworden.
Ziele noch nicht erreicht. Für Spaniens Podemos ist Bolivien insofern ein Vorbild, als hier sonst Bevölkerungsgruppen mit wenig Entscheidungsmacht wie die Indigenen plötzlich zu Hauptdarstellern wurden.
Daheim hat Podemos seine Ziele noch nicht erreicht. In Griechenland, wo das Parteienbündnis Syriza unter Alexis Tsipras auf linkspopulistischem Kurs segelnd 2015 an die Macht kam, hat es diese 2019 bereits wieder verspielt. Dabei hatten führende Syriza-Leute wie Rena Dourou, Gouverneurin von Attika, und Finanzminister Yanis Varoufakis an der Uni Essex bei Laclau (der 2014 starb) studiert.
Dementsprechend versuchte Syriza das griechische Volk in der Staatsschuldenkrise gegen Finanzkapital und EU-Spardiktat zu vereinen. Als sich aber herausstellte, dass eine große Mehrheit der Griechinnen und Griechen für einen Verbleib in der EU und der Eurozone waren, setzte Tsipras die drakonischen Sparauflagen der internationalen Geldgeber selbst durch, büßte dann aber stark an Popularität ein.
Progressive Antworten gesucht. Mouffes Hoffnung gilt derzeit dem französischen Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon, der mit seiner Bewegung „La France insoumise“ (FI, „Unbeugsames Frankreich“) bei den Europawahlen 2019 auf 6,3 Prozent der Stimmen kam (das von Marine Le Pen geführte Rassemblement National erreichte 23,3 Prozent). Mouffe hat sogar Verständnis dafür, dass Mélenchon an Demos der „Gelbwesten“ teilnahm. Das bedeute keineswegs, dass er mit Faschisten gemeinsame Sache mache. Es gehe vielmehr darum, den vom Staat enttäuschten Menschen eine „progressive Antwort“ zu geben. So hätten es FI-AktivistInnen mit Erfolg gewagt, in wirtschaftlich herunter gekommenen Hochburgen Le Pens, wo schon lange kein Sozialist zu sehen war, viele Menschen davon zu überzeugen, dass an ihrer Lage „nicht Migranten schuld sind, sondern der Neoliberalismus“.
1 „Wenn Demokratien demokratisch untergehen“, mit Beiträgen von Chantal Mouffe, Claus Offe, Ivan Krastev, Jan-Werner Müller u.a. (Passagen-Verlag, Wien 2019)
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