Seit China 2018 Importverbote für ausländische Abfälle einführte, haben die Lagerbestände von Altpapier und Altplastik in den reichen Ländern krisenhafte Ausmaße erreicht. Höchste Zeit, die rosarote Brille in Sachen Recycling abzunehmen.
Von NI-Autor Adam Liebman
Im Juli 2017 informierte China die Welthandelsorganisation WTO über seine Absicht, ein Importverbot für 24 Arten fester Abfälle einzuführen, darunter Kunststoff- und Papierabfälle, die aus Recycling-Programmen im Westen stammen. Damit sollen u.a. Konsequenzen für die chinesische Umwelt verhindert werden, so die chinesische Regierung damals.
Die Proteste und Appelle der betroffenen Industrien blieben vergebens. 2018 machte Peking ernst, und die Preise zahlreicher Altstoffe auf dem Weltmarkt begaben sich auf Sinkflug. Ohne die Importnachfrage Chinas gibt es für Berge von Altstoffen rund um die Welt derzeit nur mehr zwei Lösungen: Deponieren oder Verbrennen.
Verantwortung an Verbraucher. Der Einbruch des weltweiten Altstoffhandels, auf den viele Recycling-Programme reicher Länder angewiesen waren, war nicht die einzige Folge der chinesischen Maßnahmen. Sie brachten die übliche Unterscheidung von „Altstoffen“ und „Abfall“ ins Wanken und stellten in Frage, was gemeinhin unter „Recycling“ verstanden wird. Und sie brachten die schmutzigen Seiten des Geschäfts mit der Altstoffverwertung ans Licht, die gutwilligen BürgerInnen selten bewusst sind, wenn sie ihren Müll feinsäuberlich trennen.
Die Wiederverwendung von Abfällen ist nichts Neues – dabei waren Menschen seit jeher erfinderisch. Der Begriff „Recycling“ im heutigen Verständnis stammt jedoch aus der Zeit der US-Umweltbewegung in den 1960er und 1970er Jahren. Damals gelang es Unternehmen, die wegen Einwegverpackungen in die Kritik kamen, ihre Geschäftsmodelle zu retten und die Verantwortung auf die VerbraucherInnen abzuwälzen
Die industrielle Seite des Recycling verschwand aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit, und das Wissen über diese Prozesse hielt sich daher in engen Grenzen. Dass ein signifikanter Teil des sorgfältig getrennten Mülls auf die andere Seite der Welt exportiert wurde, war weitgehend unbekannt: Seit der Jahrtausendwende war China die Hauptdestination für Altstoffe aus dem Rest der Welt. Ihr Import half ursprünglich dabei, die Rohstoffversorgung der boomenden Wirtschaft des Landes sicherzustellen.
Altstoff oder Abfall? Das änderte sich spätestens, als das chinesische Einfuhrverbot im Westen Schlagzeilen machte. „China will keinen ausländischen Abfall mehr akzeptieren“, berichtete Reuters 2017, und „China versucht, den ausländischen Abfall auszusperren: Wie eine neue Regel die Recycling-Branche schwer treffen könnte“, schrieb der britische Economist. Da hieß es etwa: Wie kann es sein, dass unsere mühsam gesammelten Altstoffe in China als „Abfall“ bezeichnet werden? Versteht man in China nicht, dass Recycling gut für die Umwelt ist und sich rentiert?
Einige Branchenverbände stellten herablassend die Fähigkeit der chinesischen Regierung in Frage, zwischen Altstoffen und Abfall zu unterscheiden. Wie China gegenüber der WTO korrekt feststellte, gibt es jedoch keine weltweit akzeptierte Definition dieser Begriffe. Die Kategorien „Abfall“ und „Altstoff“ schließen sich nicht gegenseitig aus. So wertvoll Altstoffe für die Industrie sein mögen, so problematisch können auch die nötigen Aufbereitungsverfahren sein, nicht nur durch ihren hohen Energie- und Materialverbrauch – am Ende entstehen oft minderwertige Produkte und letztlich wieder Abfälle, die in Deponien landen oder verbrannt werden – genau das, was vermieden werden soll.
Informeller Wirtschaftszweig. Die chinesischen Importverbote können als Maßnahme verstanden werden, die Umweltkosten der informellen Recyclingindustrie in den Griff zu bekommen. Tatsächlich sind importierte Altstoffe nur ein Aspekt des Abfallproblems in China. Das Land produziert selbst signifikante Mengen an Bau-, Abbruch- und Industrieabfällen. Und mit dem Konsum der wachsenden Mittelschicht werden die Hausmüllberge immer höher. In den Städten sind tausende MigrantInnen aus ländlichen Regionen damit beschäftigt, alles Wertvolle aus dem Müll zu holen, zu sortieren und zu verkaufen – ein weitgehend unregulierter Wirtschaftszweig, der seit den 1990ern die staatlichen Altstoffverwertungsbetriebe ersetzt hat.
Diese informelle Branche arbeitet flexibel und effizient, erzeugt aber Endprodukte, die qualitativ oft nicht mit importierten Altstoffen mithalten können. Statt sich mit Verbesserungen dieses Systems zu befassen, hat die Regierung jedoch im Vorjahr lukrative Aufträge an Altstoffverwertungsunternehmen vergeben, die sich oft durch gute politische Verbindungen, vor allem aber durch umweltpoltische Rhetorik auszeichnen. Tatsächlich begünstigen die aktuellen Regelungen den Ausbau der Müllverbrennung, der profitabelste Teil des Geschäfts.
Nicht dass in China niemand an Recycling interessiert wäre. In den vergangenen 20 Jahren gab es in den meisten größeren Städten Kampagnen für eine verantwortlichere Abfallentsorgung, und es wurde versucht, Sammel- und Recycling-Systeme nach westlichem Vorbild einzuführen. Diese Bemühungen sind jedoch weitgehend gescheitert – warum, ist umstritten. Oft wird das im Vergleich zum Westen geringere Bildungsniveau der Bevölkerung verantwortlich gemacht, doch auch das Gegenteil könnte der Fall sein: Die Menschen wissen zu viel.
Wie es beim Recycling zugeht, können viele mit eigenen Augen beobachten, und das Aufdecken von Umweltsünden und kriminellen Machenschaften der Branche ist in China ein eigenes Genre des investigativen Journalismus. Woraus sich durchaus ableiten lässt, dass Sorgfalt bei der Mülltrennung nicht unbedingt dem Umweltschutz dient.
Noch keine Patentlösungen. Natürlich lassen sich Altstoffe mit moderneren Verfahren aufbereiten, die mit geringeren Umweltkosten und Risiken für die Beschäftigten verbunden sind. Diese Verfahren sind aber kostspielig und im heutigen globalen Umfeld nicht wettbewerbsfähig: Altstoffe werden dorthin geliefert, wo Arbeitskräfte billig sind und die Umweltvorschriften minimal.
Seit den chinesischen Importverboten haben die Einfuhren von Altstoffen in andere Länder zugenommen, von Vietnam bis Polen, ohne jedoch den chinesischen Markt ersetzen zu können. Einige dieser Länder führen bereits eigene Importbeschränkungen ein. Das zwingt die Exportländer, sich mit der Aufbereitung von Altstoffen innerhalb ihrer Grenzen zu befassen – eine vielversprechende Entwicklung, wie BeobachterInnen meinen.
Eine Patentlösung gibt es nicht. Chinas Importverbote für „ausländische Abfälle“ haben viele Recycling-Systeme rund um die Welt in eine Krise gestürzt. Sie haben aber auch einen dringend nötigen Nachdenkprozess ausgelöst – über unser Verhältnis zu Abfällen, zur Umwelt, über unsere Verantwortung und darüber, was Machtpolitik mit Recycling zu tun hat.
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Adam Liebman ist promovierter wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for East Asian Studies der Stanford University (USA).
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