Constantin Grund, seit zwei Jahren Leiter des Büros der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung in Addis Abeba, im Gespräch über die kommenden Herausforderungen für Äthiopien.
Wie nachhaltig ist der Wandel in Äthiopien aus Ihrer Sicht?
Premier Abiy Ahmed hat etwa zwei Monate nach seinem Amtsantritt damit begonnen, die ersten Persönlichkeiten an wichtigen Schaltstellen auch im Sicherheitsapparat des Landes auszutauschen. Der war sehr lange von der tigrinischen Minderheit geprägt. Bisher hat Abiy sich mit seiner Reformagenda durchgesetzt.
Aber Äthiopien war ja berüchtigt für seinen Geheimdienst, und diese Geheimdienstler sind ja alle noch da.
Tatsächlich sind diese Leute weiter im Sicherheitsapparat tätig. Deren Aufgaben sind aber nicht mehr identisch; die Durchsetzung der Regierungsagenda gehört erkennbar nicht mehr so stark dazu wie noch vor zwei, drei Jahren. Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass die Menschen in Cafés und Restaurants viel weniger Angst haben, über politische Themen zu sprechen als früher.
Was ist Abiys größte Herausforderung?
Der Lackmustest aus meiner Sicht sind die Wahlen im Jahr 2020. Das Schlimmste, was passieren kann ist, dass die Opposition zum Boykott aufruft, und dann stehen wir da, wo wir 2005 waren, als es massive Unruhen gab.
Wenn die Wahlen nicht mit Beteiligung der Opposition vorbereitet werden, dann hätte Abiy die Reformeuphorie nicht in einen echten Reformprozess ummünzen können.
Welche Rolle spielt der drohende Separatismus in Oromia? Es gibt ja Mediennetzwerke wie das Oromo Media Netzwerk von Dschawar Mohammed, die offen dafür werben.
Das OMN stellt explizit die nationale Einheit in Frage. Dschawar und seine Netzwerke arbeiten proaktiv daran, dass der äthiopische Staat zugunsten der Unabhängigkeit Oromias geschwächt wird.
An einem konstruktiven Dialog ist Dschawar nicht sonderlich interessiert; er macht Stimmung mit ethnischen Ressentiments. So etwas kann man dulden, solange die Zustimmungswerte für Abiy sehr hoch sind. Aber wenn sich das ändert und nach Verantwortlichen dafür gesucht wird, ist Dschawar die erste Adresse.
Droht Äthiopien denn schlimmstenfalls der Zerfall?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Äthiopien, wie wir es heute kennen, in den nächsten zehn oder 15 Jahren auseinanderbricht. Aber wenn die erste Welle dringender Reformen vom Tisch ist, kommen unausweichlich die großen politischen Fragen auf die Agenda, vor allem die nach der Zukunft des ethnischen Föderalismus, dem Geburtsfehler des modernen Äthiopien. Da wird es noch viel Gesprächsbedarf geben.
Interview: Marc Engelhardt
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