Sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe zielt nicht nur auf einzelne Menschen, sondern auf ganze Gemeinschaften. Politik und Gesellschaft müssen Verantwortung für Wiedergutmachung übernehmen. Ein Kommentar von Jeannette Böhme.
Aus vielen Kriegsgebieten erreichen uns Berichte über sexualisierte Gewalthandlungen: Massenvergewaltigungen in der Demokratischen Republik Kongo, sexuelle Versklavung durch den sogenannten Islamischen Staat oder sexualisierte Folter im irakischen Abu Ghuraib. All dies sind keine Einzelereignisse, sondern strategische Mittel der Kriegsführung. Sie lösen als solche immer wieder weltweite Empörung aus. Trotz der internationalen Aufmerksamkeit werden Überlebende dieser Verbrechen jedoch allzu oft allein gelassen. Sie erhalten weder angemessene Unterstützung, noch erfahren sie eine Anerkennung des ihnen angetanen Unrechts. Im Gegenteil, sie werden politisch instrumentalisiert, gesellschaftlich stigmatisiert und so re-traumatisiert.
Nach über 20 Jahren brachte eine Bosnierin ihre Erfahrungen mit Politik und Gesellschaft wie folgt auf den Punkt: „Ich glaube nicht mehr an Gerechtigkeit durch soziale Institutionen und Gerichte. Für mich ist das, was passiert ein Lächerlichmachen der Opfer. Nichts sonst.“
Macht, Kontrolle und Zerstörung. Sexualisierte Kriegsgewalt gegen Frauen und Mädchen, aber auch gegen Männer und Jungen ist kein neues Phänomen. Wie bei anderen Formen sexualisierter Gewalt geht es dabei um Macht, Kontrolle und Zerstörung. Die „gegnerische“ Gruppe soll langfristig zersetzt werden. Ursache der Gewalt sind diskriminierende Geschlechterverhältnisse. Diese manifestieren sich in patriarchalen Gesellschaften bereits in Friedenszeiten, verschärfen sich in bewaffneten Konflikten und setzen sich in Nachkriegsgesellschaften fort. Sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe kann nicht losgelöst von diesem Kontinuum betrachtet werden. Der Umgang mit den verursachten Traumata muss daher ebenfalls als langfristig angelegter Prozess verstanden werden, bei dem neben dem individuellen Erlebnis auch der politische und gesamtgesellschaftliche Kontext betrachtet wird. Sprich: Alle – auch die internationale Gemeinschaft – sind dafür verantwortlich, die Ursachen sexualisierter Kriegsgewalt zu überwinden, die Menschenrechte von Überlebenden durchzusetzen und Geschlechtergerechtigkeit herzustellen.
Was tun? Erstens dürfen Politik, Gesellschaft und Medien Überlebende nicht länger auf ihre Opferrolle reduzieren. Ihre Kraft gilt es anzuerkennen und gesellschaftliche Teilhabe zu fördern. Die aktive Beteiligung von Betroffenen an Friedensprozessen wirkt dabei in hohem Maße friedensbildend auf Nachkriegsgesellschaften.
Zweitens darf der Umgang mit den Folgen sexualisierter Gewalt nicht individualisiert und allein den Überlebenden aufgebürdet werden. Betroffene haben ein durch andere Menschen verursachtes traumatisches Ereignis überlebt. Hierfür müssen Politik und Gesellschaft Verantwortung übernehmen.
In Bosnien und Herzegowina haben Überlebende beispielsweise die Möglichkeit, eine Kriegsrente zu beantragen. Dieser Status wurde von Frauenrechtsverteidigerinnen hart erkämpft. Trotz einer Reihe von Schwierigkeiten bei der Umsetzung ist die Kriegsrente doch als ein Zeichen sozialer Anerkennung des erlebten Unrechts zu werten.
Drittens müssen Rahmenbedingungen verändert werden, damit Überlebende ihre Rechte überhaupt wahrnehmen können. Die konsequente Strafverfolgung der Täter und Täterinnen ist ein Beispiel hierfür. Es genügt nicht, sie einfach nur vor Gericht zu stellen. Prozesse müssen endlich opferzentriert und „traumasensibel“ ausgerichtet werden. Nur so führen Strafverfahren am Ende auch zu angemessenen Verurteilungen, und Überlebende gehen gestärkt aus den Prozessen hervor.
Jeannette Böhme ist Referentin für Politik und Menschenrechte bei der deutschen Frauenrechtsorganisation medica mondiale.
Infos unter www.medicamondiale.org
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