Wieso die Doku „Entre Memorias“ der österreichisch-peruanischen Regisseurin Martha-Cecilia Dietrich einen kulturellen Beitrag zur Aufarbeitung des bewaffneten Konfliktes in Peru leistet, erläutert Milena Österreicher.
Mit Blumen in der Hand, unterwegs in den Anden, findet Eudosia ein Knochenstück. „Das könnte von einem Menschen sein, oder?“ Seit 30 Jahren sucht Eudosia nach den Überresten ihres Ehemannes, die sie in einem Massengrab vermutet. Sie ist eine der ProtagonistInnen des Films „Entre Memorias“ („Zwischen Erinnerungen“) der österreichisch-peruanischen Regisseurin Martha-Cecilia Dietrich.
Opfer, Täter, Rebellinnen, Armee-Angehörige: Dietrich lässt im Film verschiedene Seiten des bewaffneten Konflikts, der Peru zwischen 1980 und 2000 erschütterte, zu Wort kommen. Die Guerillaorganisation Sendero Luminoso („Leuchtender Pfad“) und die MRTA (Movimiento Revolucionario Túpac Amaru, Revolutionäre Bewegung Túpac Amaru) kämpften damals gegen den Staat, gegen die herrschende soziale Ungerechtigkeit, aber auch um die maoistischen Grundsätze des Sendero durchzusetzen.
Es waren Jahre grausamer Gewalt mit Entführungen, Folter und Mord, begangen von den RebellInnen-Gruppen und den peruanischen Streitkräften. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission berichtet später von 70.000 Ermordeten bzw. Desaparecidos, also Menschen, die verschwunden gelassen wurden.
Geteiltes Land. „Der Film ist das erste Projekt, das alle AkteurInnen einlud, ihre Erinnerungen zu teilen“, erklärt die Regisseurin. Sie begleitet Eudosia auf der Suche nach ihrem verschwundenen Mann, spricht mit ehemaligen RebellInnen und ehemaligen Militärangehörigen.
Wäre es nach den ProtagonistInnen gegangen, wären separate Filme entstanden. Doch Dietrich wollte einen Dialog schaffen.
„Entre Memorias“ wurde Ende Jänner von der Frauen*solidarität in Kooperation mit der Österreichisch-Peruanischen Gesellschaft in Wien gezeigt. Der Film kann bei der C3-Bibliothek für Entwicklungspolitik in Wien entliehen oder online beim Royal Anthropological Institute bestellt werden.
Die Filmemacherin studierte Kultur- und Sozialanthropologie in Wien und Visuelle Anthropologie in Manchester. Im Zuge ihrer Dissertation entstand „Entre Memorias“. „Das Thema liegt mir sehr am Herzen“, erzählt die Österreicherin mit peruanischen Wurzeln. „Der Konflikt hat meine peruanische Familie in zwei geteilt. Sehr enge Verwandte hatten unterschiedliche Ansichten darüber, was richtig für das Land ist.“
Ihre Mutter verließ Peru und ging nach Österreich, wo Martha-Cecilia zur Welt kam. „Diese Spaltung erlebten viele Familien, bei denen mehrere Generationen unter einem Dach wohnten“, sagt Dietrich. „In Peru ist das Problem, dass heute viele der damaligen staatlichen Akteure immer noch in der Politik sind und daher die Erinnerungspolitik maßgeblich beeinflussen“, sagt sie.
In den peruanischen Medien werde der Konflikt zwar behandelt, aber meist nicht in seiner Komplexität. Besonders vor Wahlen würde von Seiten des rechten Lagers das Thema instrumentalisiert und die Angst vor „Terror“ ausgenutzt.
Einblick. Lucero ist eine ehemalige Anführerin der MRTA. Im Film ist nur ihre Stimme zu hören, sie sitzt seit mehr als 20 Jahren im Gefängnis. Die zweifache Mutter wurde zu 30 Jahren Haft wegen Terrorismus verurteilt. „Ich bin aus einer einfachen Familie. Es war für mich, wie für viele Frauen in diesem Land, schwierig, meine Ziele zu erreichen“, erzählt Lucero über ihre damaligen Beweggründe, sich der MRTA anzuschließen. Ihre Erinnerungen an damals schrieb sie auf.
Eine andere Art der Erinnerungsarbeit pflegt das peruanische Militär. Für Schaulustige werden regelmäßig, besonders an patriotischen Feiertagen, die Ereignisse vom 17. Dezember 1996 öffentlich nachgespielt. Damals besetzten MRTA-KämpferInnen die japanische Botschaft und nahmen mehr als einhundert Menschen als Geiseln.
Auftritt der Anti-Terroreinheit: Ein Soldat schreit „Evakuiert sie!“, Türen werden gesprengt, SchauspielerInnen, die die Geiseln mimen, werden evakuiert und das Gebäude unter viel Krawall gestürmt. Das Spektakel endet mit „Lang lebe Peru!“-Rufen.
„Als Armee kämpften wir gegen die Subversion in unserem Land. Aber nicht weil wir unsere peruanischen Brüder und Schwestern töten wollten, sondern weil es die Politiker befahlen“, erzählt ein ehemaliger General in „Entre Memorias“.
In einem Raum. Beim Filmscreening in der peruanischen Anden-Stadt Ayacucho waren ProtagonistInnen anwesend. Es herrschte dadurch durchaus eine angespannte Atmosphäre, doch beim anschließenden Publikumsgespräch wurde den Ansichten der anderen gelauscht. Man ließ einander ausreden. Nach den jeweiligen Redebeiträgen wurde zwar nicht geklatscht, jedoch war es laut Dietrich schon erstaunlich, Angehörige von Desaparecidos, SoldatInnen sowie Angehörige der gefangenen MRTA-RebellInnen in einem Raum versammelt zu sehen.
„Entre Memorias“ wurde bereits auf zahlreichen Filmfestivals gespielt, unter anderem in Recife, Paris, New York, Prag und Quebec. „In Peru wird der Film oft gezeigt“, berichtet Dietrich, und ergänzt: „Wie eine meiner Protagonistinnen einmal sagte: Dieser Film ist nicht für uns, wir haben zu viel erlebt. Er ist für die nächste Generation.“
Milena Österreicher ist freie Journalistin und lebt in Wien.
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