Maßgeschneidert in der Küche

Von Redaktion · · 2016/12

Wie die junge Schneiderin Bintou in Burkina Faso von ihrem Handwerk lebt, beschreibt Simone Catharina Gaul.

Am Anfang haben die Nachbarinnen und Nachbarn sich noch gewundert. In einem unauffälligen Hof in einer staubigen Seitenstraße von Ouagadougou gehen viele EuropäerInnen ein und aus. „Nasara“ rufen die Kinder, wenn wieder eine Fremde oder ein Fremder kommt. Das bedeutet „Weißer“ auf Moré, der Sprache der Mossi, die viele in Burkina Fasos Hauptstadt sprechen. Die Kinder laufen den Gästen hinterher, bis Bintou sie verscheucht. Es ist ein Spiel, das sich mehrmals pro Woche wiederholt. Sie weiß, dass die meisten EuropäerInnen nicht gern Nasara genannt werden. Und Bintou will, dass ihre Gäste sich wohlfühlen.

Zwei Tschechinnen sind gekommen. Eine hält eine blaue Stoffhose in der Hand, die andere ein Bündel grüngelb gemusterten Stoffes. „Kannst du so eine Hose aus diesem Stoff machen?“, fragt die junge Frau mit dem Stoffbündel in gebrochenem Französisch. Bintou nickt. Natürlich kann sie. Sie geht mit den beiden jungen Frauen in ihr kleines Haus, zeigt ihnen an ihrem Tisch, wie sie die Hose machen wird.

Ein Zimmer. Bintou ist 28 und Schneiderin. Sie schläft, kocht und arbeitet in ihrem Einzimmer-Reich. Neben dem hohen Arbeitstisch steht ein Gaskocher, daneben lagern Töpfe und ein Mörser. Auf zwei Holzstühlen liegen Kleider und Stoffe, Mustervorlagen hängen an den Wänden. Vor dem Fenster steht ihre Nähmaschine, ein Vorhang trennt einen Schlafbereich ab. Bintou näht Schuluniformen für Kinder, festliche Kleider für Frauen, moderne Hemden für Männer oder Souvenirs für Europäerinnen, die sich Hosen und Röcke aus bunten afrikanischen Stoffen nähen lassen.

In Burkina Faso tragen wie in allen westafrikanischen Staaten viele Menschen maßgeschneiderte Kleidung, zu speziellen Anlässen wie Hochzeiten, Trauerfeiern oder am internationalen Frauentag, aber auch im Alltag. Schneidern ist ein Beruf des täglichen Lebens, ein vor allem für Frauen wichtiger Berufszweig. Die meisten Schneiderinnen lernen ihr Handwerk von ausbildenden SchneiderInnen, von ihren Verwandten oder in internationalen Hilfsprojekten.

Informeller Sektor. SchneiderInnen sind, wie ein Großteil der Handwerkerschaft in Burkina Faso, selbständig organisiert. Der Präsident des Netzwerks des informellen Sektors in Burkina, Stéphane Sanou, schätzt, dass 70 Prozent aller jungen HandwerkerInnen und HändlerInnen im informellen Sektor lernen und arbeiten.

Filmtipp

Simone Catharina Gaul hat Bintou 2012 in Ouagadougou kennen gelernt, war fasziniert von ihrer Energie und Motivation, die sie sich trotz einer schwierigen Lebenslage bewahrt hat, und hat ein Portrait über Bintou gedreht. Der Film „Bintou“ lief auf zahlreichen internationalen Festivals und hat beim diesjährigen Dokumentarfilmfestival Ethnocineca in Wien den Excellence in Visual Anthropology Award gewonnen.

Informeller Sektor bedeutet vor allem: kein geregelter Arbeitsschutz, keine geregelten Gehälter. Bintou sitzt oft bis spät in der Nacht über ihrer alten mechanischen Nähmaschine – ein deutsches Modell, das, wie so viele der von den Industriestaaten ausrangierten Dinge, ein zweites Leben in Westafrika gefunden hat. Eine Französin hatte ihr zwar ein elektrisches Modell geschenkt. Aber die weiße Plastikmaschine steht unbenutzt in einer Ecke, neben dem elektrischen Dampfbügeleisen. Bintou ist ihre alte Maschine gewöhnt, genau wie ihr gusseisernes, mit Kohle beheiztes Bügeleisen. Strom ist teuer und außerdem fällt er ständig aus.

Empfehlungen. Bintou kann inzwischen sich und ihre elfjährige Tochter mit ihrer Arbeit versorgen. Aber für ein eigenes Atelier reicht es noch nicht, deshalb arbeitet sie zu Hause. Von der Straße aus sieht niemand, dass sich hinter der Hoftür ein Schneideratelier versteckt. Kein Schild, keine Werbung. Die KundInnen kommen, weil sie wissen, was sie suchen. Sie kommen aus der Nachbarschaft, aus Bintous Bekanntenkreis und auf Empfehlungen. Umgerechnet etwa acht Euro verlangt Bintou für eine Hose oder einen Rock. Preise, um die die Einheimischen feilschen. Ihre europäischen KundInnen hingegen freuen sich über die aus ihrer Sicht günstigen Maßanfertigungen.

Bintous Handy klingelt. Es ist Alizée, eine Französin, die für ein Praktikum in Ouagadougou ist. Alizée und Bintou haben sich verabredet, sie wollen zusammen auf den Markt gehen und Stoffe kaufen. Bintou hilft gerne bei der Stoffauswahl. Sie führt ihre Besucherinnen durch die engen Gassen der Märkte und zeigt ihnen versteckte Stoffläden. Bis unter die Decke hängen dort die so genannten Pagnes, mit Wachs und bunten Farben bedruckte Stoffbahnen.

Importierte Stoffe. Pagnes sind beliebt, in ganz Westafrika und bei DesignerInnen aus aller Welt, die den afrikanischen Stil feiern. Dabei sind die gemusterten Stoffe gar keine afrikanische Erfindung. Holländische Kaufleute importierten sie Ende des 19. Jahrhunderts, die Kolonialmächte etablierten den Handel, die Stoffe wurden beliebt. Nach den politischen Unabhängigkeiten in den 1960er Jahren entwickelte sich eine eigene afrikanische Stoffindustrie, die größten Fabriken baute Ghana. Nach einigen florierenden Jahren mussten die meisten jedoch wieder schließen. Mit den günstigen Importen aus China konnten sie nicht konkurrieren. Auch auf den Märkten in Ouagadougou findet man vor allem Wachsdruckstoffe der Firma Phoenix Hitarget: hergestellt in China.

Seit dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Blaise Compaoré 2014 haben sich die Politiker wieder auf die Devise des 1987 ermordeten Präsidenten und Revolutionärs Thomas Sankara berufen: Produkte aus lokaler Herstellung zu kaufen, um so die lokale Wirtschaft zu stärken. In Burkina gab es nie große Stoffdruckereien, aber schon immer webten Frauen die Baumwolle, für die Burkina Faso berühmt ist, zu grafisch gemusterten Stoffen, den Faso Dan Fani.

Boom. Faso Dan Fani erlebt gerade einen regelrechten Boom. Zum Internationalen Frauentag am 8. März hatte die Regierung in diesem Jahr dazu aufgerufen, Dan Fani-Stoffe zu kaufen statt der importierten Pagnes. Zum Frauentag lassen sich viele Burkinabé, wie die BewohnerInnen Burkina Fasos genannt werden, ein Kleidungsstück aus dem jeweils aktuellen Weltfrauentags-Stoff schneidern. Ein großes Geschäft für Bintou und ihre KollegInnen.

Schon wieder klingelt Bintous Handy. Eine Nachbarin will wissen, ob ihre Bestellungen schon fertig sind. Sind sie nicht. Bintou wird wieder eine Nachtschicht einlegen. Und draußen rufen die Kinder schon wieder „Nasara“. Neue Kundschaft ist gekommen.

Simone Catharina Gaul ist Journalistin und Regisseurin für Dokumentarfilme und lebt in Berlin.

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