Was der senegalesische Filmemacher Ousmane Sembène alles veränderte, zeigt die Doku „Sembène!“, die beim diesjährigen Filmfestival This Human World gezeigt wird. Richard Solder berichtet.
Der Schwarz-Weiß-Film „Borom Sarret“ aus dem Jahr 1963 scheint bei oberflächlicher Betrachtung unspektakulär, erst recht aus unserer heutigen Sicht. Die Kamera begleitet den Fahrer einer Pferdekutsche durch die Straßen von Senegals Hauptstadt Dakar. Zwanzig Minuten geht es gemächlich im Schritt, maximal im Trab, dahin. Doch „Borom Sarret“ ist revolutionär. Denn es handelt sich dabei nicht nur um das erste unabhängige Werk von Ousmane Sembène, sondern um den ersten Film eines afrikanischen Filmemachers überhaupt.
Unter französischer Kolonialherrschaft war es AfrikanerInnen nicht erlaubt, Filme zu machen. Es gab keine Strukturen, in denen man das Handwerk erlernen konnte. Nach der Unabhängigkeit war Pionierarbeit nötig, wie die Dokumentation „Sembène!“ deutlich macht.
Eine Mission. Ousmane Sembène wurde 1923 in der Casamance im Süden Senegals geboren. Im Alter von 14 Jahren musste er die Schule verlassen, arbeitete zuerst als Fischer, dann als Maurer und Mechaniker. 1944 wurde Sembène in die französische Armee eingezogen, nach dem Zweiten Weltkrieg landete er wieder in Frankreich, wo er u.a. als Hafenarbeiter in Marseille tätig war.
Durch die Bibliothek einer Gewerkschaft lernte er Literatur und Kunst Europas kennen und fing an, sich mit sozialen Fragen zu beschäftigen. 1956 veröffentlichte er seinen ersten Roman. Bald wurde ihm jedoch klar, dass er so die Menschen auf dem Kontinent nicht erreicht: „Unsere Romane, und ich spreche hier für alle afrikanischen Schriftsteller, werden nicht gelesen, ganz einfach weil 85 Prozent der Menschen Analphabeten sind“, so Sembène damals. Der Senegalese reiste nach Moskau, um Filmwissenschaft zu studieren.
„Sembène!“ begleitet ihn von diesem Ausgangspunkt entlang der Veröffentlichung seiner wichtigen Werke: „La Noire de …“ (1966) zeigt die Perspektive einer jungen Senegalesin, die als Dienstmädchen für ein reiches französisches Paar arbeitet. „Emitaï“ (1971) thematisiert die Zeit des Zweiten Weltkrieges. „Ceddo“ (1977), das sich der gesellschaftlichen Rolle von Religionen widmet, wurde im Senegal damals verboten. „Moolaadé“ (2004) ist ein klares Statement gegen die Verstümmelung der weiblichen Genitalien.
„Seine Filme waren von Anfang an sehr weitsichtig, sozial- und gesellschaftskritisch“, betont Djamila Grandits vom This Human World-Festival. „Filme wie etwa ‚La Noire de …‘ haben nach wie vor eine erschreckende Aktualität. Rassismen, Vorurteile, Ausbeutung, moderne Sklaverei, Exotismus sind nur ein paar von vielen Aspekten, die in seiner Arbeit messerscharf auf den Punkt gebracht werden“, so die Co-Festivalleiterin.
Sein Vermächtnis. Sembène beschränkte sich nicht nur auf Filme. Sein Haus in Dakar wurde zu einem Ort des Austausches. Er unterrichtete dort und empfing Gäste: KünstlerInnen, LiteratInnen, PolitikerInnen, von Orson Welles bis Thomas Sankara.
Einige seine Filme gewannen Preise, unter anderem bei den Festivals in Cannes, Venedig, Moskau und dem FESPACO in Ouagadougou, Burkina Faso. Die Doku „Sembène!“ suggeriert trotzdem, dass er nicht die Rolle zugesprochen bekam und bis heute bekommt, die er verdient. „Er wurde vom Mainstream der westlichen Filmindustrie sicherlich wenig beachtet, wie so viele wichtige Filmkünstler in der Geschichte“, erklärt dazu Alexander Horwath, Direktor des Österreichischen Filmmuseums gegenüber dem Südwind-Magazin. „Aber in der Fachwelt nahm und nimmt sein Werk einen sehr hohen Rang ein.“ Das Filmmuseum widmete 2004 Ousmane Sembène eine Retrospektive.
Und was ist das Spezielle an der konkreten Machart der Filme? Horwath verweist auf die Einfachheit und Ungekünsteltheit der Werke. Diese hätten mit dem Mangel an Produktionsmitteln zu tun. Doch Sembène habe daneben bewusst darauf gesetzt und sich dafür unter anderem von Berthold Brecht und dessen epischem Theater inspirieren lassen.
Das diesjährige Menschenrechtsfilmfestival This Human World findet von 1. bis 11. Dezember in mehreren Kinos in Wien statt. „Sembène“ wird am 2. Dezember (20 Uhr) im Topkino gezeigt.
Alle Infos: www.thishumanworld.com
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