In Simbabwe gibt es kaum mehr Farmbesetzungen. Doch die Gewalt gegen das Volk und die Opposition nimmt zu.
Morgan Tsvangirai sieht nicht aus wie jemand, der sich darauf einstellt, Präsident zu werden. Müde stochert der Führer von Simbabwes Oppositionspartei MDC (Movement for Democratic Change) in seinem Abendessen herum, seufzt vor sich hin und sagt schließlich: Wofür soll man denn wählen? Die Wirtschaft liegt am Boden. Es ist egal, welche Partei an der Macht ist, sie muss mit dieser Lage fertig werden.
Kein Jahr ist es her, dass die von Tsvangirai geführte MDC fast die Parlamentswahlen gewonnen hätte. Nur eine massive Gewalt- und Einschüchterungskampagne der regierenden Zanu-PF (Zimbabwe African National Union/Patriotic Front) unter Präsident Robert Mugabe verhinderte den Machtwechsel. Und kein Jahr mehr wird vergehen, bevor Tsvangirai und Mugabe sich erneut gegenüberstehen diesmal direkt, denn es stehen Präsidentschaftswahlen an. Aber mitten in dieser bewegten Zeit erscheinen die Gegner des 76-jährigen Autokraten Mugabe mürbe und mutlos.
Die Regierung probt derweil den Durchmarsch. Ein Freiraum nach dem anderen, in den letzten Jahren mühsam erkämpft, verschwindet. Eine offensichtlich von oben organisierte Kampagne von Gewalt und Einschüchterung richtet sich gegen alles, was eventuell einen Hort von Dissidenz darstellen könnte.
Der Beginn war am 11. September letzten Jahres ein Bombenanschlag auf den Sitz der MDC genau zum Jahrestag ihrer Gründung. Es folgte am 5. Oktober die Verwüstung des privaten Capital Radio durch die Polizei. Am 28. Jänner flog die Druckerei der einzigen unabhängigen Tageszeitung Daily News in die Luft. Anfang Februar häuften sich Verhaftungen von MDC-Aktivisten, und die Regierung begann eine Kampagne zur Entfernung kritischer Richter aus dem Obersten Gericht. Am 9. März wurde der Mugabe-treue ehemalige Oberstaatsanwalt Godfrey Chidyausiku zum neuen Präsidenten des Obersten Gerichts ernannt, als Ersatz für den zum vorzeitigen Rücktritt gezwungenen britisch-stämmigen Regimekritiker Anthony Gubbay.
So kommt ein Schritt zum nächsten auf dem Weg in die perfekte Diktatur. Als nächsten Schritt plant die Regierung eine Neuregistrierung aller Nicht-Regierungsorganisationen eine gute Gelegenheit, kritische Stimmen komplett in die Illegalität zu drängen. Ungefähr 800 Gruppen, so vermuten Oppositionelle, könnten ihre Zulassung verlieren.
Es ist die schlimmste Situation in unserer Geschichte, sagt Mike Auret, einer der führenden Abgeordneten der MDC und ihr prominentester weißer Politiker. Die Zanu ist zum Schluss gekommen, dass sie nicht mehr beliebt ist und dass sie die Präsidentschaftswahl nicht gewinnen kann, ohne vorher die Opposition massiv zu beschädigen. Also startet sie eine neue Terrorwelle in den ländlichen Gebieten, vergrößert den Druck auf kommerzielle Farmer und ihre Arbeiter und zerstört die Druckerei der privaten Presse. Wir erleben den kompletten Zusammenbruch von Recht und Ordnung.
Die internationale Aufmerksamkeit für Simbabwe ist heute längst nicht mehr so hoch wie vor einem Jahr. Damals führte die Welle von Farmbesetzungen durch sogenannte Kriegsveteranen in Wahrheit gedungene Milizen zu einer Welle internationaler Empörung.
Übersehen wurde schon damals vielfach, dass neben den Besetzungen eine viel breitere Terrorkampagne gegen die gesamte simbabwische Bevölkerung lief. Neue Farmbesetzungen gibt es heute kaum noch. Aber die Gewalt gegen das Volk und gegen die Opposition nimmt zu.
In Simbabwe herrscht zweierlei Maß. Manche SimbabwerInnen haben alle Rechte. Andere haben überhaupt keine. Manchen ist es erlaubt, sich fremdes Eigentum mit Gewalt zu nehmen und Protest dagegen mit Gewalt zu unterdrücken. Den anderen ist es verboten, sich gegen derartige Übergriffe aufzulehnen. Manche SimbabwerInnen dürfen unter Polizeischutz gegen die freie Presse demonstrieren. Die anderen werden mit der Armee konfrontiert, wenn sie gegen die rapide steigenden Preise auf die Straße gehen. Manche dürfen ihre Feinde öffentlich bedrohen, drangsalieren und sogar ermorden. Die anderen werden vor Gericht gezerrt, wenn sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft predigen. Manche sind an der Macht. Die anderen nicht.
Die Leute haben Angst, meint Pius Ncube, Erzbischof von Bulawayo und einer der prominentesten RegimekritikerInnen Simbabwes. Wer seinen Kopf rausstreckt, kriegt ihn abgeschlagen.
Die Bewohner des Slumviertels Hatcliffe Extension, weit draußen am Stadtrand von Harare, wissen, wie es ist, wenn man keine Rechte hat. Sie wurden 1993 von der Polizei aus einer Farm gejagt, die dem oppositionellen Politiker Ndabaningi Sithole gehört hatte und wo sie zwei Jahre Obdach gefunden hatten. 900 bis 1000 Polizisten kamen, um die Leute zu vertreiben. Nach einer Stunden waren alle draußen, erinnert sich Davious Muvindi, der eine MikrokreditOrganisation leitet.
Simbabwes Inflationsrate liegt bei über 60 Prozent, die Arbeitslosigkeit wird auf bis zu 75 Prozent geschätzt und jeden Monat gehen weitere 20.000 Arbeitsplätze verloren. Die Regierung gibt mehr für ihre Militärintervention in der Demokratischen Republik Kongo aus als für das eigene Gesundheitswesen. Die Farmbesetzungen haben die Volkswirtschaft zerstört: Exporte von Agrarprodukten wie Tabak sind in freiem Fall; Investitionen bleiben aus, weil Farmer, deren Land auf den Enteignungslisten steht, keine Kredite mehr bekommen. Der Staat kann Benzin- und Stromimporte nicht mehr regelmäßig bezahlen; Industriebetriebe und Bergwerke schließen. 40.000 Menschen emigrierten im Jahr 2000, die meisten hoch qualifizierte Arbeitskräfte.
Seit drei Jahren stehen alle Indikatoren auf rot, sagt Oppositionsführer Tsvangirai.
Das ganze Gefüge der Wirtschaft ist zusammengebrochen.
In diesem Jahr kommt eine schwere Dürre dazu. Nur zehn Prozent des Staatsgebietes erhielten in der letzten Regenzeit genug Niederschlag. Im Süden Simbabwes sehen heute, kurz nach der Regenzeit, viele Regionen schon so aus wie nach Monaten Trockenzeit: Die Maisstauden sind kaum mannshoch und welken vor sich hin, der Boden ist staubig, das Gras verdorrt. Dieses Jahr wird die Ernte schlecht, das weiß das ganze Land. Vier Monate noch, so wurde im Februar geschätzt, reichen die staatlichen Maisvorräte. Dann gibt es Hunger. Denn für Importe ist kein Geld da.
Diana Auret, Ehefrau von Mike Auret und im sozialen Bereich engagiert, sieht Simbabwe nicht nur in einer politischen Krise, sondern auch in einer sozialen, die noch viel gefährlicher werden könnte. 350.000 Jugendliche drängen jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt, finden keinen Job oder lassen sich als Tagelöhner für umgerechnet 15 Schilling am Tag anstellen. Wir haben ein ähnliches Szenario wie in Sierra Leone, wo die Jugend sich nur über Gewalt verwirklichen kann. Wir haben 1,2 Millionen Aids-Waisen. Wir erleben das Heranwachsen einer Generation ohne Bildung, prophezeit sie. Auch in Sierra Leone kam vor dem Bürgerkrieg und der Milizenbildung der ökonomische Kollaps durch Strukturanpassung und dann der Zusammenbruch des Bildungswesens durch staatliche Misswirtschaft.
Für Opposition haben die SimbabwerInnen unter diesen Umständen immer weniger Zeit. Zivilgesellschaftliche Gruppen beklagen eine Sinnkrise. Dass es jetzt mit der MDC eine parlamentarische Opposition gibt, sieht gut aus, bringt aber wenig. Das Parlament war eine sehr enttäuschende Erfahrung, meint MDC-Führer Tsvangirai. Die Regierung hat die Opposition marginalisiert.
Zivilgesellschaftliche Gruppen beklagen, Tsvangirais Partei arbeite sich im Parlament ab und kümmere sich nicht mehr um ihre außerparlamentarische Basis. Wir haben unsere Führungen verloren, sagt Tony Reeler von der kirchlichen Gesundheitsorganisation Amani Trust. Brian Wheeler Raphtopolos von der Universität Harare meint: Seit den Wahlen glauben die Leute nicht mehr so stark an Veränderung. Das ist das Ergebnis der Gewalt.
Nach den Parlamentswahlen gab es in der MDC eine Weile lang Planungen für Massenproteste. Tsvangirai drohte sogar öffentlich mit dem Volksaufstand wofür er jetzt mit einem Gerichtsverfahren überzogen worden ist. Aber die Pläne wurden wieder fallen gelassen. Wir haben die weise Entscheidung getroffen, das zu verschieben, sagt Tsvangirai. Wir dachten, wir würden die Uhr des demokratischen Fortschritts zurückdrehen, wenn die Regierung den Ausnahmezustand verhängt. Es ist besser, die Regierung auf den Rechtsstaat zu verpflichten.
Mit dieser Entscheidung hat Tsvangirai Simbabwe vielleicht kurzfristig den Bürgerkrieg erspart, aber viele militante Anhänger enttäuscht. Verschiedene Oppositionelle bestätigen, dass sich in manchen Landesteilen Regimegegner bewaffnen. Selbst der MDC-Chef gesteht dem Volk das Recht auf Selbstverteidigung zu und weigert sich, das zu präzisieren: Selbstverteidigung ist Selbstverteidigung. Das definiert man nicht.
Für Ratlose im Lande, die gerne eine Handlungsanleitung hätten, ist das keine hilfreiche Antwort. Es gibt KritikerInnen der Regierung, die deutlicher werden. Erzbischof Ncube in Bulawayo sagt: Diese Generation ist nicht sehr mutig. Sie ist nicht bereit, ihr Leben zu geben. Die Leute sollten einen Aufstand machen! Das muss kein Krieg sein. Sehen Sie sich Jugoslawien an. Ich glaube an passiven Widerstand: ein Streik, und das Land steht still.
Aber wenn das Land ohnehin schon still steht? Noch weichen die Menschen der Konfrontation aus. Am Tag angekündigter Großdemonstrationen in Harare gehen sich ProtestlerInnen und schwer bewaffnete Soldaten demonstrativ aus dem Weg, aber sie lassen sich gegenseitig ihre Präsenz spüren. Wie in einer Stierkampfarena umkreisen Staatsmacht und Volk einander und warten auf den großen Tag der Abrechnung. Wenn er denn kommt.
Dominic Johnson ist Afrika-Redakteur der Berliner Tageszeitung taz.
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