Warum Radfahren in Indien ein Imageproblem hat und nicht alle Städte Kopenhagen werden müssen, erklärt der Stadtplaner Chris Kost im Interview.
Erleben wir eine globale Mobilitätswende?
Es verändert sich definitiv viel. Chennai hat eine Strategie für nicht-motorisierte Mobilität verabschiedet, vor fünf Jahren undenkbar. In Kapstadt oder Dar es Salaam wurden hervorragende Kombi-Systeme aus Bussen und Fuß- bzw. Fahrradwegen eingeführt. Das Umdenken hat begonnen. Gleichzeitig gibt es noch viel politischen Druck für den Bau autofreundlicher Infrastruktur.
Fahren Sie Rad in Chennai?
Ich fahre täglich mit dem Rad zur Arbeit. Die Stadt ist überschaubar, man kommt oft schneller voran als mit dem Auto. Nur hinter einem rauchenden Auspuff sollte man nicht zu stehen kommen.
Abgesehen von Ihnen sind es eher arme Menschen, die Rad fahren?
Genau. Wenn in Indien ein Anzugträger Rad fährt, denken die Leute, dass er verrückt ist oder gerade seinen Job verloren hat. Elektroräder haben es unter anderem deshalb schwer, sich durchzusetzen – weil sie aussehen wie normale Fahrräder!
Wie lässt sich das ändern?
Vor allem das Bild des Radfahrens muss verändert werden. Fahrradleihysteme, einfach wie modern, können helfen, das Radeln wieder cool zu machen. Auch Frauen haben so leichter Zugang.
Chris Kost arbeitet für das Institute for Transportation and Development Policy (ITDP), das sich weltweit für ökologisch nachhaltige und gerechte Mobilität einsetzt. Nach sieben Jahren in Indien wird er im Herbst im neu eröffneten Büro in Nairobi zu arbeiten beginnen.
Inwiefern lassen sich Modelle von einem auf den anderen Ort übertragen?
Natürlich sind die Umstände entscheidend. In Indien muss man andere Zugänge finden als dort, wo bereits eine Fahrradkultur existiert wie in Uganda. Das Wichtigste ist, dass sich die Leute sicher fühlen. Dafür braucht es eigene Fahrrad-Infrastruktur.
Oder Begegnungszonen?
Ein Kollege von mir sagt gerne: Begegnungszonen funktionieren, wenn sich nicht alle Verkehrsteilnehmer wie Idioten benehmen. In Indien ist das höchstens in kleinen Straßen umsetzbar. Hier existiert weder Rücksicht noch Vorrang. Sieht man andere Verkehrsteilnehmer, beschleunigt man statt abzubremsen.
Sollten alle Städte Kopenhagen werden?
(Lacht) Kopenhagen ist langweilig im Vergleich zu afrikanischen oder indischen Städten, wo die Straßen lebendig sind. Ein Modell wie New York ist interessanter. Hier wurde mit wenig Budget in kurzer Zeit das Straßenbild verändert. Einiges kam zu kurz, aber das Grundlegende haben sie richtig gemacht: den Raum von den Autos zurückzufordern. Das muss in vielen Städten passieren.
Interview: Christina Bell
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