Die Start-Up Szene in Kairo wächst und wird auch für ausländische Investoren immer attraktiver. Nermin Ismail traf junge Menschen, die mit ihren Unternehmen das Land verändern wollen.
Donnerstagmorgen am „Greek-Campus“ in Kairo. Houda setzt sich mit einem Teller brauner Bohnen zu ihrem Kollegen Abdulrahman. An ihrem Tisch sitzen viele junge Menschen, einige mit Aufklebern in bunten Farben mit Aufschriften wie „Investor“, „Founder oder „Geek“, eine Bezeichnung für Programmierer und andere technisch Begabte. Der Name des Campus erinnert an das Wort und deutet auf das historische griechische Gebäude, das einen Teil des Campus ausmacht.
Hier kennt jeder jeden. Das ehemalige Gebäude der US-amerikanischen Privatuniversität ist ein ruhiger Ort mitten in der stressigen, lauten Innenstadt Kairos. Der Greek-Campus ist der neue IT-Standort Ägyptens, der Mittelpunkt des „ägyptischen Silicion Valley“. Seit 2012 sind große Firmen wie Google, aber auch viele Kleinunternehmen hier angesiedelt. Neben ihrem Studium und einem zweiten Job verbringen die JungunternehmerInnen die meiste Zeit am Campus. Sie sind gebildet, mehrsprachig aufgewachsen und vernetzt.
Ordnung ins Chaos. Jeden Donnerstag bietet ein gemeinsames Frühstück die Chance zum Netzwerken und für neue Inspiration. Heute ist die Marketing-Spezialistin und Gründerin Ludmilla Figueiredo aus Brasilien zu Gast, die über Finanzierung und Herausforderungen im Unternehmertum spricht.
Houda Mahmouds Büro ist klein und minimalistisch eingerichtet. Vor vier Jahren hat die Informatik-Studentin gemeinsam mit Abdulrahman Said „Transi.To“ gestartet, eine App für den öffentlichen Verkehr der Millionenmetropole Kairo. „Wir wollen es den Menschen einfacher machen, von einem Ort zum anderen zu kommen“, erklärt Houda. In Ägypten gebe es keine Ordnung in den öffentlichen Verkehrsmitteln, weder Zeiten noch Stationen seien festgelegt.
Am Anfang haben sie versucht, mit der Regierung zusammenzuarbeiten, doch es zeigte sich schnell, dass der Staat kaum Interesse an einer Verbesserung hatte, erzählt die Gründerin. Deswegen entschieden sie sich, über Crowdsourcing an Daten zu kommen. „In Kairo fahren täglich 989 unterschiedliche Buslinien. Alleine an diese Informationen zu kommen, dauert Jahre“, sagen die GründerInnen. Abdulrahman und Houda sind noch auf der Suche nach Investoren, kürzlich waren sie in Berlin auf einer Konferenz, gleich hat sie ein Skype-Gespräch mit Jordanien. „Hier ist niemand gewillt, mit dir Risiken einzugehen“, meint die 24-jährige Studentin. „Es ist in der Gesellschaft kaum anerkannt, Gründer zu sein. Niemand glaubt an dich.“ Sie würde sich mehr Mentoren wünschen, die junge UnternehmerInnen unterstützen können. Aber sie ist zuversichtlich, dass sich die Mentalität langsam ändert. Houda und Abdulrahman wollen mit Hilfe der Technik ein besser organsiertes Leben in Kairo ermöglichen. Politik und die Revolution sind in fast jedem Gespräch Thema. Die Jungunternehmer kritisieren vor allem das Desinteresse der Regierung an den Menschen.
Freundschaftlich. Auf die Masse bzw. die „Crowd“ wird nicht nur beim Datensammeln Wert gelegt, sondern auch bei der Förderung. „Tennra“ ist ein Projekt, das jungen GründerInnen bei der Suche nach Finanzierung hilft. Die Engländerin Emily Renny hat Arabisch und Französisch studiert. Sie kam nach Ägypten, um ihr Arabisch aufzufrischen, und blieb. Die Mitgründerin von Tennra ist vom Crowdfunding überzeugt: „Wir können Unternehmen dazu bringen zu fördern, aber die Kraft der Masse ist nicht zu schlagen.“ Am Campus hat sie eine dynamische Umgebung gefunden. „Hier kann man Leute kennenlernen, sich vernetzen, um etwas bitten. Wir sind alle Freunde“, erzählt die Engländerin. Tennra versucht vor allem auch, die verbreitete Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Heuer stellte ihr Unternehmen einem 16-jährigen Schüler fast 3.000 via Crowdfunding gesammelte US-Dollar zur Verfügung, sodass er seine Idee zur Erstellung von Businessplänen verwirklichen konnte.
Die Grenze zwischen den vielfältigen Unternehmen am Campus und sozialen Organisationen ist gar nicht so einfach zu ziehen. Die JungunternehmerInnen sind nicht nur profit- sondern auch gemeinwohlorientiert. Ludmilla Figuereido, deren Crowdinvesting-Plattform „Eureeca“ künftig auch in Kairo aktiv werden möchte, wusste bislang nur wenig über die Szene hier. Die aufstrebende Generation junger, engagierter ÄgypterInnen hat einen starken Eindruck auf sie gemacht: „Ich glaube ihr Gründergeist kommt aus ihrer Kultur heraus. Egal wie schwierig es ist, sie machen es“, sagt sie.
Neuer Sinn. Con O’Donell kam eigentlich auch zum Arabisch-Lernen nach Ägypten. 1995 wagte er selbst den Schritt in die Selbstständigkeit und scheiterte mehrmals kläglich. Dann wendete sich das Blatt: Vor kurzem verkaufte er sein erfolgreiches Kairoer Unternehmen an Vodafone. Während des Gesprächs wird er immer wieder von jungen Menschen am Campus angesprochen. Con ist ein Mentor für viele hier. Momentan ist er bei Rise-Up aktiv, das erfolgreich Start-up-Veranstaltungen organisiert. Die Kairoer Start-Up Szene fange langsam an, sich global einen Namen zu machen, meint der Investor. „Diese Generation hat verstanden, dass sie zusammenarbeiten muss. Sie sind bereit zu leiden und den Vorstellungen der Gesellschaft zu trotzen. Sie sind dabei, den Sinn von Arbeit zu verändern.“
Wenn sie es aushalten, denn viele würden auch aufgeben und nach dem ersten Angebot ins Ausland gehen. „Nach der Phase der Hoffnung 2011 befinden wir uns jetzt irgendwo. Aber der Elan der Revolution lebt hier weiter“, so Con. Gründertum sei nicht die Lösung für die politische Krise, aber es könne ein Weg sein. Dass in Ägypten nichts funktioniere, sieht er als Chance. „Wir können vielleicht nicht sofort die Welt verändern, aber wir können die Zahl der Toten auf der Straße vermindern, wir können die Solarenergie endlich verwenden, wir können Müll trennen. Das ist doch genug Arbeit.“
Nermin Ismail ist freie Journalistin in Wien.
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