In d(A) Fremde

Von Redaktion · · 2015/09

Rosalie N.T. (46) aus Kamerun. Lebt und arbeitet in Österreich.

Vor 21 Jahren bin ich nach Österreich gekommen. Damals wie heute habe ich mich an das System der Verwandtschaft hier nicht gewöhnt. Ein Beispiel: Hier wird nur die leibliche Mutter „Mutter“ genannt, wenn überhaupt. Oft nennt man sie auch bei ihrem Vornamen. In Kamerun nenne ich alle Frauen, die vom Alter her meine Mutter sein könnten, „Mutter“. Wer 10 bis 15 Jahre jünger ist als ich, den nenne ich „Sohn“ oder „Tochter“. Meine älteren Freundinnen hier in Österreich würde ich vom Gefühl her „Mutter“ nennen, doch da wären sie beleidigt. Und ich habe Hemmungen, sie beim Vornamen zu nennen. Das automatische Wechseln zwischen beiden Systemen finde ich sehr spannend.

In Kamerun nenne ich viele Frauen „Schwester“. Nur bei ernsten Angelegenheiten oder in Dokumenten ist die leibliche Familie – wie sie in Österreich gesehen wird – wichtig. Emotional besteht kein Unterschied.

In meinem Denken habe ich mindestens zwölf Kinder, nicht nur meine leiblichen. Eine Freundin hier hat mich einmal gefragt: „Hast du nicht Angst, deine Kinder könnten glauben, dass deine Schwester ihre Mutter ist?“ Ich verstand die Frage nicht: Sie IST ja ihre Mutter.   ki

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