Ohne Stock und Hut, dafür mit Rucksack und Smartphone ziehen sie aus – die jungen Freiwilligen, die in ärmeren Ecken der Welt Erfahrungen sammeln und einen Beitrag leisten wollen. Was kann daran falsch sein? Und wohin geht die Reise? Das hat sich Redakteurin Nora Holzmann angesehen.
Viele junge Menschen träumen davon, immer mehr machen es auch: eine Zeit lang nach Afrika, Asien oder Lateinamerika gehen, dort etwas Sinnvolles tun und gleichzeitig Land und Leute möglichst intensiv kennenlernen. Freiwilliges Engagement im Ausland liegt im Trend – und darauf reagiert auch der Markt. Die Reise-Bibel „Lonely Planet“ hat schon vor Jahren mit einem dicken „Volunteer-Guide“ auf die neue Mode geantwortet. Und unzählige kommerzielle Anbieter, etwa Reisebüros wie STA Travel oder Reiseveranstalter wie TravelWorks, bieten eine Palette an Angeboten für die, die im Strom der Freiwilligen – sei es auch nur für ein paar Wochen – mitschwimmen wollen. Es geht dabei nicht nur um Sinn und Spaß, sondern auch um den Ernst des Lebens; Freiwilligeneinsätze gehören für höher gebildete Junge schon fast so zum Lebenslauf wie Praktika und Fremdsprachenkenntnisse.
Lisa Kalinka
Ein Jahr Ghana mit Grenzenlos
„Vor zwei Jahren bin ich gleich nach der Matura, mit 18, nach Ghana gegangen, um bei einem Projekt in einer Privatschule in Kumasi mitzuarbeiten. Ich habe dort gemeinsam mit einer ghanaischen Lehrerin eine Klasse von Drei- bis Vierjährigen unterrichtet. Die etwa 4.500 Euro Programmgebühren, die ich gezahlt habe, waren es mir wert. Schließlich handelt es sich um einen kulturellen Austausch, keine Arbeit im herkömmlichen Sinn. Außerdem ist Unterkunft und Verpflegung dabei. Ich bin sehr dankbar, dass ich die finanziellen Möglichkeiten hatte, das zu machen.
Heimweh hatte ich nie, auch keinen Kulturschock. Die Menschen sind so freundlich, und ich liebe die ghanaische Kultur. Die Zeit dort hat mich selbstbewusster gemacht. Ich bin unabhängiger und irgendwie erwachsener geworden, und ich schätze viele Dinge mehr als zuvor.
Ich würde so einen Einsatz jedem empfehlen, es ist eine tolle Möglichkeit, ein Land wirklich kennenzulernen. Mit Ghana bin ich eng verbunden geblieben. Im September fahre ich wieder zu Besuch hin.“
Nachfrage und Angebot. Voluntourismus heißt das Phänomen, das spannenden Urlaub mit dem Gefühl, etwas Gutes zu tun, verbindet. Kann doch nicht schaden, oder? „Kann schon“, meint Daniel Rössler, EZA-Experte und Buchautor. „Ein großer Teil der Vermittlung von Einsätzen wird derzeit von gewinnorientierten Anbietern gemacht. Da findet kaum ein Auswahlverfahren statt, und Vorbereitung und Begleitung der Freiwilligen sind oft völlig rudimentär.“ Rössler weiß, wovon er redet. Er war selbst in Ghana bei einem EZA-Projekt im Einsatz, als er auf die wohl extremste Form des Voluntourismus aufmerksam wurde – falsche Waisenhäuser, die nur existieren, um Freiwilligen aus aller Welt den Wunsch zu erfüllen, zu helfen. Als eine solche Einrichtung geschlossen und die Kinder wieder zu ihren Familien gebracht wurden, schossen einfach neue angebliche Waisenhäuser wie Pilze aus dem Boden. „Die Wurzel dieses Phänomens ist die Nachfrage, etwa aus Europa. Auch Freiwilligentourismus funktioniert nach Marktgesetzen. Ich glaube, die Industrie dahinter ist sich ihrer Verantwortung noch nicht bewusst.“ Auch anderswo als in Ghana würden Geschäfte mit angeblichen Waisen gemacht, sagt Rössler, in Asien wäre Kambodscha besonders betroffen. Die Initiative „Orphanages: Not the Solution“ spricht auf ihrer Website davon, dass drei Viertel aller Kinder, die in kambodschanischen Waisenhäusern leben, eigentlich Familie haben.
Kriterien für Qualität. Nicht nur wegen dieser extremen Auswüchse sehen sich Anbieter von Freiwilligenreisen zunehmend Kritik ausgesetzt. Neben fehlender Vor- und Nachbereitung ist auch die Dauer ein Thema. Je kürzer der Einsatz, desto hinterfragenswürdiger, sind sich die meisten Expertinnen und Experten einig. Reinhard Heiserer, dessen Organisation Jugend Eine Welt mit ihrem Programm „Volontariat bewegt“ jährlich an die 36 Personen ins Ausland schickt, meint: „Aus Perspektive der Projekte und auch im Hinblick auf den eigenen Erfahrungswert ist sicherlich ein Einsatz von bis zu einem Jahr am sinnvollsten.“ „Volontariat bewegt“ gehört zu jenen Initiativen, die – in der Regel aus dem NGO-Bereich kommend – nicht gewinnbringend agieren und eine Reihe an Qualitätskriterien, wie etwa umfassende Begleitung vor, während und nach einem Einsatz erfüllen. Auch die Finanzierung ist transparent – ein wichtiger Unterschied zu kommerziellen Vermittlern, die oft selbst am meisten am Einsatz verdienen und wo die Gewinnbeteiligung der lokalen Organisationen nicht bekannt ist.
Postkoloniale Perspektive. Aber auch die besten Kriterien sind nicht gut genug, meint Kristina Kontzi vom deutschen Verein „glokal“. Ihre Kritik am Entsenden Freiwilliger aus den reichen in die armen Weltgegenden ist noch grundlegender: „Hier wird das Bild der ‚weißen Helfenden‘ reproduziert. Globale Ungleichverhältnisse werden stabilisiert anstatt aufgebrochen.“ Man spricht zwar nicht mehr von Hilfe, weil das nicht mehr so gern gehört wird, so Kontzi, sondern von interkulturellem Austausch. Die so genannte „Reverse“-Komponente, dass also auch Freiwillige aus den jeweiligen Ländern zu uns nach Europa kommen, fehle allerdings in der Regel. „Auch beim Lernen stellt sich die Frage: Wer lernt was von wem? Freiwillige werden oft mit Modernität und Fortschritt verbunden – sie bringen etwa Menschen Computer-Skills bei. Von den Leuten in den so genannten Partnerländern lernen sie Dinge, die mit Tradition und Emotionen verbunden sind, etwa Gastfreundschaft.“
Kristina Kontzi hat ein ganzes Buch verfasst, in dem sie Freiwilligenarbeit aus einer kritischen Perspektive beleuchtet. Konkret widmet sie sich darin dem Programm „weltwärts“ des deutschen Bundesministeriums für Internationale Zusammenarbeit. Seit 2008 unterstützt dieser entwicklungspolitische Freiwilligendienst tausende junge Deutsche bei Einsätzen im Ausland. Das Ministerium übernimmt bis zu 75 Prozent der Einsatzkosten, den Rest muss die Entsendeorganisation tragen. Die wertvolle Erfahrung eines Freiwilligeneinsatzes soll so auch für junge Leute aus finanziell weniger privilegierten Schichten möglich sein.
Thema für die Politik. „Weltwärts“ ist ein Programm, von dem – trotz kritischer Stimmen, die es in Deutschland dazu gibt – viele in Österreich nur träumen können. Doch auch die österreichische Politik bemerkt den zunehmenden Wunsch junger Menschen, in anderen Weltgegenden Sinnvolles zu tun, und erkennt das Potenzial, das darin liegt. Im Sozialministerium wird gerade das Freiwilligengesetz reformiert, bis zum Beschluss dürfte es aber noch eine Weile dauern. Fest steht, dass durch verschiedene Angleichungen der Freiwilligendienst im Ausland deutlich besser gestellt werden soll als bisher – etwa soll unter bestimmten Bedingungen ein Weiterbezug der Familienbeihilfe möglich werden. Die Entsendeorganisationen, so heißt es aus NGO-Kreisen, seien im Zuge der Gesetzesänderung ausführlich angehört worden, nun wartet man auf weitere Schritte.
Auch im Außenministerium ist das Thema der Freiwilligen in der Entwicklungszusammenarbeit weiter oben auf die Agenda gerückt. Ein Topf für die finanzielle Unterstützung Freiwilliger ist geplant – wenn er auch weniger gut gefüllt ist als in Deutschland.
Gute Wahl. Von politischer Seite aus wäre es sinnvoll, ein wenig Struktur in den derzeit wild wuchernden Markt an Angeboten von Freiwilligenreisen zu bekommen. „Ein richtiges Qualitätsmanagement für Entsendeorganisationen, das ist etwas, wo wir hinkommen müssten“, meint Reinhard Heiserer von Jugend Eine Welt. Die Organisation ist selbst gerade dabei, eine Servicestelle für Freiwilligenarbeit aufzubauen. Derzeit kommt es vor allem auf das Bewusstsein derer an, die sich auf den Weg nach Afrika, Asien oder Lateinamerika machen möchten. „Der Konsument hat eigentlich sehr viel Macht“, sagt EZA-Experte Daniel Rössler. „Wenn die Leute hochwertige Einsätze nachfragen, die bestimmte Kriterien erfüllen, dann wird sich der Markt auch ändern.“
>Nicht zuletzt können sich Freiwillige auch ganz genau überlegen, welche Projekte sie mit ihrem Einsatz unterstützen möchten. Kristina Kontzi vom Verein „glokal“ meint dazu: „Die Projekte, in die Freiwillige reisen, müssten viel emanzipatorischer ausgestaltet sein.“ Anstatt sich um marginalisierte Bevölkerungsgruppen zu kümmern, könnte man etwa in Projekten mitarbeiten, die Kampagnen gegen Ausgrenzung starten. „In dieser Hinsicht könnten wir viel aus anderen Regionen der Welt lernen.“
Infos
„Freiwillig arbeiten im Ausland“ – Informationsbroschüre der Jugendinfo Wien: www.jugendinfowien.at/fileadmin/daten/jugendinfo/PDF/Infoblaetter/Beratung/Infoblatt_FreiwilligArbeiten.pdf
Deeper Travel – Der Blog für Volunteers und Reisende: deepertravel.de
Tourism Watch – Vom Freiwilligendienst zum Voluntourismus: tourism-watch.de/files/profil18_voluntourismus_final.pdf
Daniel Rössler: Das Gegenteil von Gut … ist gut gemeint. Seifert Verlag, Wien 2015, € 22,95
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