Entwicklungsorganisationen beteuern gerne ihr Engagement gegen Diskriminierung – in den Statuten, im Organisationsleitbild und in ihren Hochglanzbroschüren. Doch wie sieht die Praxis aus – etwa die Personalpolitik in der Entwicklungszusammenarbeit? Wie viele Menschen aus Afrika, Lateinamerika, Asien und Ozeanien arbeiten in Österreich 2015 in einer NGO oder einem Forschungsinstitut der EZA? Hat es nicht etwas von Diskriminierung und Scheinheiligkeit, wenn die Menschen aus dem globalen Süden uns als „Begünstigte“ oder „Zielgruppen“ sehr am Herzen liegen, in den Büros dagegen nicht anzutreffen sind? Haben österreichische NGOs Angst vor unbequemen Fragen? Oder davor, dass von den „echten“ Vertreterinnen und Vertretern des globalen Südens Ideen und Anliegen kommen, die das enge Korsett öffentlicher Förderrichtlinien und interner Regelungen sprengen könnten? Oder handelt es sich hierbei, wie manche behaupten, sogar um Rassismus?
Kommen solche Vorwürfe auf, verwehren sich die betroffenen NGOs: Bekommt man in Wien etwa automatisch einen Job bei IKEA, nur weil man aus Schweden kommt? Oder als Kenianerin bei der eigenen Botschaft in Österreich? Nein, und in professionellen Entwicklungsorganisationen eben auch nicht, aus gutem Grund: Die Herkunft aus und Sozialisation in einem Land des globalen Südens garantiert zwar, neben der Muttersprache, fundierte Kenntnisse über die betreffende Kultur und die Anliegen der jeweiligen Landsleute. Doch das macht nur einen Teil der notwendigen Expertise aus. Und zwar den Teil, den Entwicklungsorganisationen für gewöhnlich durch lokales Personal und Partnerorganisationen vor Ort abdecken.
Die Tätigkeit im Projektreferat einer österreichischen Entwicklungsorganisation bezieht sich nicht nur auf die Projektarbeit vor Ort, sie umfasst auch Kommunikations- und Vernetzungsarbeit im hiesigen Kontext. Und macht daher sehr gute Kenntnisse in Deutsch und Englisch und einen einschlägigen Studienabschluss erforderlich, oft auch berufliche Vorerfahrung. Solcherart hochqualifizierte Fachkräfte aus dem globalen Süden gibt es zwar immer mehr – aber die bewerben sich selten bei einer österreichischen NGO, da sie gute Chancen bei großen internationalen Entwicklungsagenturen haben.
Rassismus scheint als Erklärung für die fast nicht existierende Präsenz des globalen Südens in unseren Projektreferaten nicht passend. Wirklich zufrieden können wir mit dieser Situation trotzdem nicht sein. Sind wir offen genug für Bewerberinnen und Bewerber aus Afrika, Lateinamerika, Asien? Und vor allem: Wie können wir die Expertise der Diaspora des globalen Südens besser in unsere Arbeit integrieren? Oder, noch besser, unsere Aktivitäten zu einer gemeinsamen Arbeit an den globalen Herausforderungen umgestalten? Eine konstruktive Diskussion ohne Rassismus-Keule wäre angebracht.
Thomas Vogel ist Lektor und langjähriger Praktiker in der Entwicklungszusammenarbeit. Abwechselnd mit Petra Navara und Friedbert Ottacher setzt er sich an dieser Stelle kritisch mit Theorie und Praxis dieses Arbeitsfelds auseinander.
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